„Dann müssen wir wieder betteln gehen!“
Nach den neuesten Missbrauchsvorwürfen wollen viele Gläubige aus der Kirche austreten. Leidtragende sind aber vor allem die kleinen Pfarreien, die auf den Kirchenbeitrag angewiesen sind.
(bar). Eine Grafik auf dem Opferstock zeigt genau an, wieviel Euro noch für die Orgelrenovierung fehlen. 35.000 Euro wurden bisher gesammelt, noch weitere 13.000 sind notwenig, um das monumentale Instrument wieder in Schuss zu bringen. Jeden Sonntag gehen die Kirchenbesucher der Pfarre St. Ägyd an der Gumpendorferstraße am Opferstock vorbei und jeden Sonntag füllt er sich ein wenig mehr. Dennoch könnte eine renovierte Orgel in weite Ferne rücken, da die drohende Austrittswelle auch für St. Ägyd finanzielle Einschränkungen bedeuten könnte.
Eine Million will austreten
Das Bekanntwerden einer Reihe von Missbrauchsfällen in den letzten Wochen hat das Image der katholischen Kirche auch in Österreich schwer in Mitleidenschaft gezogen. Laut einer Umfrage des Integral-Instituts würden 17 Prozent der rund 5,6 Millionen Kirchenmitglieder einen Austritt erwägen. Das entspräche fast einer Million, die der katholischen Kirche den Rücken kehren wollen. Treffen würde dies nicht nur die Diözesen, sondern auch die Pfarreien, die mit einem Anteil des Kirchenbeitrags ihr Dasein bestreiten müssen.
In der Erzdiözese Wien gibt man sich noch sehr zurückhaltend: „Es liegen noch keine genauen Zahlen vor. Erst am Ende des Monats können wir über das tatsächliche Ausmaß urteilen“, meint dazu der Sprecher Erich Leitenberger.
Othmar Alber arbeitet schon seit 1975 in der Eucharistinerpfarre St. Ägyd. In seiner Laufbahn als Pfarrer hat er sowohl eine Außen- als auch eine Innenrenovierung der Kirche miterlebt. „Dennoch tauchen immer wieder Projekte auf, für die man Geld benötigt“, erläutert der 74-Jährige. Neben der Orgelrenovierung wurden auch bauliche Verbesserungen des Pfarrhauses bei der Erzdiözese Wien beantragt, bisher aber noch nicht bewilligt.
Kein Geld für neue Orgel
„Die Austrittswelle ist noch nicht abzuschätzen“, meint auch Alber, „doch falls diese wirklich solche Dimensionen haben sollte, dann hätte das ernste Auswirkungen auf unser Pfarrleben: Wir müssten in diesem Falle den Gürtel deutlich enger schnallen.“
Mit einem jährlichen Budget von 160.000 Euro im Jahr kommt die traditionsreiche Pfarrei in Mariahilf gerade einmal über die Runden. Der zur Verfügung stehende Betrag ist abhängig von der Anzahl der Kirchenmitglieder, die der Pfarrei zugeordnet sind. Durch einen komplizierten Schlüssel wird ein Betrag ermittelt, der umso größer ist, je mehr Mitglieder eine Pfarrei hat. Mit diesem Betrag müssen dann die Kirchengemeinden selbständig alle Ausgaben bestreiten: die Bezahlung der Pfarrer und Angestellten sowie die Erhaltung der Infrastruktur. Ein Rückgang der Kirchenmitglieder könnte also einen empfindlichen Einschnitt für die Gemeinden bedeuten.
Auch in St. Ägyd ist man über diese Entwicklung sehr besorgt: „Wir müssten die anstehenden Projekte dann ruhigstellen und vor allem einmal die laufenden Kosten bestreiten“, erklärt Pfarrer Alber.
Leidtragende sind für den Ordensbruder aus Südtirol vor allem die Gläubigen, die noch Kirchenmitglieder sind: „Dadurch werden die Kirchengeher noch mehr belastet. Neben den Beitrag, den sie normal entrichten, müssen sie dann noch bei der oder bei jener Spendenaktion etwas beisteuern. Wenn die Finanzmittel geringer werden, hilft nur eines: Dann müssen wir wieder schnorren und betteln gehen.“
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