"Armut ist bei uns ein Tabu"

Jeden Donnerstag, Freitag und Samstag hat Geschäftsführer Herbert Willer den Samariterladen in Purkersdorf geöffnet. | Foto: Archivfoto: Waculik
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BEZIRK. Der Bezirk jubelt: Nicht nur hat das Bundesland Niederösterreich im Kaufkraft-Ranking nun Wien überholt und liegt aktuell auf Platz eins, auch der Bezirk Wien Umgebung liegt mit einer durchschnittlichen Pro-Kopf-Kaufkraft von 24.310 Euro im Jahr 2013 im landesweiten Vergleich auf Platz zwei hinter Mödling und vor Korneuburg (Quelle: RegioData Research). Doch der Schein trügt: Hinter so manchem Villengemäuer sieht es oft anders aus, als man denkt.

Kein täglich Brot
"Ich kenne Geschichten von Leuten, die in Villen sitzen, wo aber nur ein Raum beheizt ist", berichtet Claudia Zwingl, Pressesprecherin von SOMA Klosterneuburg-Betreiber SAM NÖ. Eine Klosterneuburgerin berichtete ihr, dass sie nun drei Kilogramm zugelegt habe, weil es ihr durch den SOMA wieder möglich war, täglich Brot zu essen, so Zwingl weiter. Produkte, die noch zum Konsum geeignet sind, aber durch Verpackungsschäden oder Mindesthaltbarkeit nicht mehr in den Verkauf dürfen werden im SOMA Menschen mit geringem Einkommen zu einem günstigen Preis angeboten. Bewusst werden die Waren nicht verschenkt, sondern verkauft, denn man soll sich als Kunde und nicht als Bittsteller fühlen. Dabei werden ausschließlich kostenlos zur Verfügung gestellte Waren angeboten. Einkaufen darf jeder, der bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreitet (siehe Zur Sache). Durch einen speziellen Pass wird dies bei jedem Einkauf nachgewiesen. In Klosterneuburg sind aktuell 198 solcher Pässe ausgestellt. Das Konzept funktioniert: "Es ist auch ein Sozialtreff, wo man sich wertgeschätzt fühlt", betont Claudia Zwingl.

Alles außer Lebensmittel in Purkersdorf
Einen etwas anderen Zugang wählte man im Samariterladen "SamLa" Purkersdorf: "Wenn wir mit Sozialpässen arbeiten würden, würde niemand mehr kommen weil es einfach ein Tabuthema ist", ist Geschäftsführer Herbert Willer überzeugt. Im Juni feiert man heuer das fünfjährige Bestehen des Ladens, in dem Textilien, Möbel, Geschirr, Medien, Werkzeug und vieles andere angeboten wird. Einkaufen darf jeder, unabhängig vom Einkommen: "Wir wollten helfen ohne die Leute abzustempeln", erklärt Willer. Die Ware stammt größtenteils aus Sachspenden, oft auch in Form von Wohnungsräumungen oder Entrümpelungen: "Sachspenden sind jederzeit gern gesehen", betont er.

Sozialer Druck ist enorm
Vor allem Erlebnisse aus seiner Rettungsdienst-Laufbahn öffneten ihm die Augen. So auch ein Einsatz in einer Jahrhundertwendevilla, deren Bewohner im Keller mit kaputten Fenstern und ohne Heizung wohnt. "Es gibt hier einfach genügend Leute, wo es zum Monatsende knapp wird", weiß Herbert Willer. Zugeben will das jedoch kaum jemand: "Der soziale Druck bei uns ist extrem groß", weiß er, daher ist Armut meist tabu. Claudia Zwingl stimmt dem auch in Klosterneuburg zu: "Ich denke schon, dass es in Klosterneuburg vielen schwerer fällt zuzugeben dass sie Bedarf haben."
Umso größer ist die Freude, dass die Konzepte funktionieren: "Als ein Großgrundbesitzer neben einem alleinerziehenden Vater an der Kasse stand, der sich nach zwei Jahren endlich eine Küche kaufen konnte, und keiner den anderen schief anschaute, wusste ich: Es funktioniert", freut sich Herbert Willer.

ZUR SACHE:
Für die SOMAs in Niederösterreich gelten folgende Netto-Einkommensgrenzen: Bei Einpersonenhaushalten 870 Euro, bei Zweipersonenhaushalten 1300 Euro und für jede weitere Person zusätzliche 110 Euro. Die Kundenstruktur des SOMA Klosterneuburg zeigt, dass rund 67 Prozent der Kunden weiblich, rund 33 Porzent männlich sind. Ebenso handelt es sich bei 34 Prozent um Pensionisten, bei 66 Prozent um andere. 84 Prozent der Kundschaft stammt aus Österreich, der Rest stammt aus anderen Nationalitäten. Die SOMAs sind zugleich sozialökonomische Betriebe, in denen Langzeit-Arbeitslosen auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt vorbereitet und professionell begleitet werden.

Der Samariterladen in Purkersdorf besteht seit 17. Juni 2009. Neben der Kostendeckung der Verkaufs- und Lagerhalle sowie dem Gehalt zweier Mitarbeiter werden mit dem Erlös aus dem Verkauf Sozialprojekte finanziert und Unterstützung für Menschen in Notsituation, vorwiegend aus der Region, geboten.

Als Kaufkraft wird die Fähigkeit einer Person oder eines Haushaltes verstanden, mit verfügbarem Geld in einem bestimmten Zeitraum Güter, Dienstleistungen und Rechte erwerben zu können. Sie erfasst somit all jene Geldmittel, die iener Person oder einem Haushalt zur Verfügung stehen, die Pro-Kopf-Kaufkraft ist also nicht mit den Gehalt einer Person gleichzusetzen. Mit 24.310 Euro durchschnittlicher Pro-Kopf-Kaufkraft im Jahr 2013 liegt der Bezirk Wien Umgebung in einer aktuellen RegioData Research-Studie niederösterreichweit auf Platz zwei hinter Mödling (25.674 Euro) und vor Korneuburg (23.465 Euro). Die durchschnittliche Pro-Kopf-Kaufkraft für das Jahr 2013 betrug österreichweit 19.970 Euro.

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