MusikerInnen im Conchita-Fieber
War es das Lied, der "Damenbart" oder die Botschaft für mehr Toleranz? Ganz Österreich diskutiert über den Sensationserfolg von Conchita Wurst beim Song Contest.
KLOSTERNEUBURG (cog/rw). Hätte der "Phönix" auch abgehoben und gewonnen, wenn ein junger Mann in Jeans ihn gesungen hätte oder war es das extravagante Auftreten? Die Bezirksblätter haben Profis aus Klosterneuburg zum sensationellen Erfolg einer großartigen Künstlerin befragt.
"Ein Moment der Menschlichkeit"
Klosterneuburg hat bekanntlich selbst Songcontest-Erfahrung – in persona Gary Lux. Der Musiker hat sogar mehrfach teilgenommen: als Solist sowie als Background-Sänger. Was hält er vom Wurst-Spektakel? Lux: "Ich glaube, dass man Phänomene wie Conchita nicht zerteilen kann in Einzelteile. Sie war nicht in Jeans und sie hat ein Kleid getragen und einen Bart gehabt und wurde als Gesamterscheinung erfolgreich. Was ihren Erfolg ausmacht, ist sie und ihr Wille, es zu schaffen – akzeptiert zu werden, ihre Philosophie, trotz Verletzung, Verachtung nicht zu verlassen." Er ist voll des Lobes für die Künstlerin, die seiner Meinung nach gesellschaftspolitische Geschichte geschrieben hat: "Sie hat Menschen berührt, sie hat Klischees relativiert und sie hat Politiker zu Statements gebracht. Schön, dass das in unserer so berechnenden Zeit noch möglich ist. Die Menschen haben sich für einen Moment wieder zur Menschlichkeit bekannt!"
"Wir sind Europa"
Auch Susanne Urteil, Obfrau der Stadtkapelle Klosterneuburg, ist hin und weg von Conchita Wurst: "Die Interpretin hat ihre Sache in jeder Hinsicht gut gemacht hat. Das Lied geht ins Ohr und bleibt dort." Sie erkennt in Österreichs Songcontest-Beitrag aber auch eine größere, übergeordnete Bedeutung abseits von Geschlechtidentität und Respekt diverser Lebensentwürfe: "Conchita Wurst hat ein Zeichen gesetzt für Toleranz und Frieden. In diesen Zeiten der europäische Zusammenhalt besonders wichtig ist – wir sind Europa."
"Sprachrohr des Volkes"
Profi-Schlagzeuger Max Mohn ist kein großer Fan vom Songcontest. Dieser sei jedes Jahr ein "qualitativ relativ schwaches Event". Conchita Wurst habe aber rein stimmlich herausgestochen, auch wenn der Song selbst ebenfalls wenig aufregend sei: "Ein verdienter Sieg, gestützt, aber nicht verursacht, von einer eindeutigen Bewegung Europas in Richtung Freiheit und Gleichberechtigung." Ihm gefällt die Frage nach dem "Show-Faktor" von Wursts Auftritt wenig: "Ist Show nicht ein essentieller Teil von Entertainment? Soll Musik nicht Entertainment von Menschen für Menschen sein? Darauf wird heutzutage viel zu oft vergessen. Entweder die Show wird an erste Stelle gestellt und die Qualität geht baden oder man geht das Ganze viel zu intellektuell an, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass diese Musik auch anderen Ohren als deinen eigenen gefallen sollte. Balance ist alles!" Der Berklee-Absolvent hält darüber hinaus allerdings auch viel von Musik als Sprachrohr eines Volkes: "Zu jeder Zeit in der Geschichte hat Musik einen nicht unbeträchtlichen Teil zum Umdenken von ganzen Generationen beigetragen und dies ist immer noch so. Also warum nicht! Es liegt für mich absolut im Bereich des Möglichen das Conchita Wurst so manche Menschen zum Nachdenken gebracht hat und noch wird."
Zur Sache: Begrifflichkeiten
• Rund um Conchita Wurst haben sich bei vielen Wissenslücken in Sachen Geschlechteridentitäten und Travestie vs. Transgender aufgetan. Zum Nachlesen: transgender.info
• Auf der Website von Conchita Wurst heißt es: "Zwei Herzen schlagen in meiner Brust. Sie sind ein eingespieltes Team, das nur im Duo funktioniert. Und das, obwohl sie einander nie zu Gesicht bekommen – und im Spiegel regelmäßig um Augenblicke verpassen. Die Privatperson Tom Neuwirth und die Kunstfigur Conchita Wurst respektieren und schätzen einander von ganzem Herzen. Sie sind zwei eigenständige Persönlichkeiten mit ihren eigenen Lebensläufen, die gemeinsam ein markantes Zeichen für Toleranz und gegen Diskriminierung setzen. (...) Conchita verdankt ihre Geburt dem Umstand, dass Tom Zeit seines Lebens mit Diskriminierung zu kämpfen hatte. Also schuf er eine Frau mit Bart. Als auffälliges Statement. Als Katalysator für Diskussionen über Begriffe wie 'anders' oder 'normal'. Als Ventil, mit dem er seine Botschaft unübersehbar und unüberhörbar in alle Welt tragen will."
ZUM NACHLESEN:
Pressekonferenz am Flughafen
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