Übers Sterben reden: Visionen vom weißen Reiter und unschöne Abschiede

Pflegedienstleiterin Michaela Tanzler und Palliativbeauftragte Margareta Toy | Foto: Cornelia Grobner
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KLOSTERNEUBURG. Seit knapp zwei Jahren wird im Agnesheim Palliativpflege verwirklicht – nicht auf eine einzelne Bettenanzahl beschränkt, sondern als Konzept für das ganze Haus. Damit ein Heim diese Zertifizierung erhält, müssen 80 Prozent der MitarbeiterInnen eine entsprechende Schulung haben. Die Bezirksblätter haben mit Pflegedienstleiterin Michaela Tanzler und der Palliativbeauftragten Margareta Toy über das Sterben gesprochen – es ging dabei erstaunlich viel um das Leben.

Worum geht es in der Palliativpflege?
TANZLER:
"In erster Linie um Schmerzfreiheit. Palliativpflege ist jedoch eine Lebensbegleitung, bei der das Hinhören ganz wichtig ist."
TOY: "Genau, was braucht ein Mensch wirklich. Das sind oft kleine Dinge, die aber eine große Wirkung haben. Und sei es, einer Sterbenden den Wunsch nach schön lackierten Nägeln zu erfüllen. In einem Fall, der mir erinnerlich ist, haben wir das der Tochter machen lassen. So konnte sie in einer Situation, in der man glaubt, hilflos zu sein, etwas tun."
TANZLER: "Es geht auch darum, Dinge auszusprechen: Wie wollen Sie sterben. Auch die Angehörigen sollen wieder aktiv am Sterbeprozess teilnehmen, so wie früher in der Großfamilie, als daheim gestorben wurde und die Toten ein paar Tage aufgebahrt blieben. Wir versuchen jene die gehen, aber auch jene, die bleiben, zu unterstützen."

Ist der Tod das letzte Tabu unserer Gesellschaft?
TANZLER:
"Ja, der Tod wurde einfach ausgelagert und institutionalisiert. Er gehört nicht mehr zum Leben. Alle arbeiten, keiner hat Zeit. Wenn es ums Sterben geht, sind auch die Angehörigen verunsichert."
TOY: "Früher hat man ein Jahr lang schwarz gertragen, als Zeichen der Trauer. Heute geht man zum Begräbnis und muss am nächsten Tag wieder funktionieren."

Die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross spricht von fünf Phasen des Sterbens: Nichtwahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Ist das Sterben eine kollektive Erfahrung?
TOY:
"Was ich beobachtet habe, ist es schon individuell."
TANZLER: "Diese Phasen treten schon auf, aber sie wechseln sich ständig ab. Aber – und das muss man auch sagen – es gibt auch Leute, die nicht schön sterben, die den Tod bis zuletzt nicht akzeptieren wollen. Wir sind auch hier, um diesen Übergang wohin auch immer leichter zu machen. Ich sage immer, man stirbt, wie man gelebt hat. Wenn man immer aktiv auf Dinge zugegangen ist, tut man sich auch zuletzt leichter beim loslassen."
TOY: "Viele Menschen, die zu uns kommen, kennen ihre Diagnose auch schon länger. Es ist ein ständiger Abschied: Man verlässt die Wohnung, verliert die Hör- und Sehfähigkeit ... parallel dazu muss bis zuletzt Neues gelernt werden. Stellen Sie sich vor, Sie wohnen dreißig Jahre alleine und dann werden Sie im Pflegeheim plötzlich Teil einer Wohngemeinschaft."
TANZLER: "Ja, es ist ein Kreislauf von Loslassen und Neueslernen. Bis zuletzt."

Was sind die großen Themen, die Sterbende beschäftigen? Gibt es Ähnlichkeiten?
TANZLER:
"Es gibt natürlich auch die, die nicht über den Tod reden wollen, das muss man auch akzeptieren. Aber viele lassen ihr Leben Revue passieren und wollen die verbliebene Zeit noch nutzen, um Dinge zu regeln, emotionale Dinge und Dinge im Unreinen bereinigen."
TOY: "Manche geben uns dann Ratschläge, wie wir unser Leben führen sollen. Eine Frau hat mich einmal eindringlich darauf hingeweisen, ja nicht Haus zu bauen und zu sparen. Das sei alles nur für die Erben, meinte sie. Die Menschen erzählen dann eindringlich, wie sie es gemacht haben." (lacht)
TANZLER: "Ja, oder machen hätten wollen. Die Lebensphilosophie wird bis zum Schluss gelebt, das ist schon sehr individuell."
TOY: "Ein großes Thema ist aber der Krieg und die Vertreibung."
TANZLER: "Viele sind wirklich traumatisiert, wenn sie nie darüber geredet haben, was sie gesehen oder selber gemacht haben. Bei Frauen ist da Vergewaltigung ein großes schmerzhaftes Thema."

Die Vergangenheit lässt einen auch im Sterben nicht los?
TOY:
"Nein. Die Biografie ist immer ein großes Thema. Für Angehörigen kann das auch belastend sein. Aber es kommt auch zu lange fälligen Aussprachen."
TANZLER: "Das schätze ich. Diese Ehrlichkeit. Es geht nicht mehr um Prestige oder sozialen Status, sondern um existenzielle Dinge."
TOY: "Es ist menschlich."
TANZLER: "Genau, es menschelt total. Es zeigt auch uns immer wieder, worum es geht: Wie lebe ich, was bin ich für ein Mensch, was gebe ich weiter? Eigentlich ist das für uns ein großes Geschenk."

Ein großes Geschenk, ist diese Arbeit für manche nicht auch eine große Belastung?
TANZLER:
"Ja, manchen ist das zu viel. Das gibt es schon."
TOY: "Vor allem jungere MitarbeiterInnen oder solche, die frisch von der Ausbildung kommen. Hier wird man plötzlich mit der Realität konfrontiert. Die Situation mit den Angehörigen kann auch belastend sein und in der Langzeitpflege bauen wir auch Beziehungen auf. Wenn jemand stirbt, trifft uns das auch. Natürlich wird einem auch die eigenen Vergänglichkeit bewusst. Wo geht er jetzt hin, frage ich mich oft. Es ist auch für uns nicht immer leicht."
TANZLER: "Es bedarf enormer Gespräche im Team. Da sind alle dabei, vom Pflegepersonal bis zur Reinigungskraft."

Die Reinigungskraft?
TANZLER:
"Ja, manche Menschen reden nicht mit den Schwestern, sondern mit der Reinigungskraft. Diese Informationen sind bei Fallbesprechungen natürlich wichtig, um herauszufinden, was die Menschen brauchen."

Sehen Sie den Tod kommen?
TANZLER:
"Als erfahrene Schwester ja. Ich kann nicht genau sagen wann, aber ich sehe, wenn es dem Ende zugeht."
TOY: "Ja, doch. Die Nase verändert sich, wir reden von der 'g'spitzten Nase' und auch der Blick. Viele greifen mit den Händen vor sich ins Leere, das nennen wir 'aufräumen'. Ich habe auch schon Menschen erlebt, die Visionen hatten und etwa einen weißen Reiter im Raum stehen sahen oder Musik hörten."
TANZLER: "Die Leute selber wissen es auf alle Fälle. Und dann, wenn der Mensch tot ist, dann merkt man einen Unterschied. Dann ist die Seele weg oder was auch immer, jedenfalls bleibt dann nur mehr eine Hülle. Wir geben den Angehörigen dann die Möglichkeit, als letzten Respekt sozusagen, den Verstorbenen zu waschen und schön anzuziehen."

Was sind die großen Herausforderungen in der Palliativpflege?
TOY:
"Menschen mit anderen Religionen. Da werden wir auch geschult, um zu wissen, welche Wünsche und auch Vorschriften es gibt."
TANZLER: "Wir haben auch einen multikulturellen Verabschiedungsraum. Wir sind gewappnet. Glücklicherweise haben wir auch MitarbeiterInnen mit migrantischem Hintergrund, die dann auch sprachlich aushelfen können. Denn auch wenn man schon 30 Jahre in Österreich lebt und perfekt Deutsch spricht, am Ende kommen wir wieder zum Basalen zurück, dann ist die Muttersprache wieder wichtig. Für uns ist wichtig, uns dann auch mit der Geschichte der unterschiedlichen Herkunftsländer auseinanderzusetzen. Gerade für Menschen aus Ex-Jugoslawien ist der Krieg auch ein einschneidendes Thema."

Würden Sie sich wünschen, dass Sterbehilfe gesamtgesellschaftlich mehr thematisiert wird?
TANZLER: "Ja, ich finde es gut, wenn immer wieder diskutiert wird. Es muss alles auf den Tisch, man sollte nichts tabuisieren. Ich bin jedoch gegen aktive Sterbehilfe."
TOY: "Ich bin absolut gegen aktive Sterbehilfe. Wenn wir mit Sterben, Schmerzen und Behinderungen anders umgehen würde, bräuchten wir diese Diskussion nicht."
TANZLER: "Ja, die Menschen haben große Angst vor dem Ausgeliefert-Sein und davor keine Kontrolle mehr zu haben. Nach dem Motto: Da fahr' ich dann in die Schweiz, weil dann bestimme ich noch selber, wann und wo ich sterbe. Aber es spricht sich natürlich leicht, wenn man nicht in der Situation ist."

ZUR SACHE: Palliative Care
Palliative Care ist ein Betreuungsansatz, der allen BewohnerInnen auf dem letzten Stück ihres Lebensweges zuteil werden soll. Dabei geht es um ganzheitliche Pflege, palliativmedizinische Versorgung und Schmerztherapie, Linderung der Symptome und das Eingehen auf psychische, soziale und spirituelle Wünsche der BewohnerInnen und Angehörigen.

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