Küssen ist keine Sünd* - Tag des Kusses am 6.7.
‘‘Deine Worte sind sanft, noch sanfter aber ist der Kuss, den ich Dir gestohlen habe", sagt Heinrich Heine.
Gestohlen ist die richtige Wortwahl. Ich erinnere mich mit Grauen, als ich Omis, Opas, Tanten, Onkeln, Neffen und noch paar Kussgierige abschmusen musste. "Komm, gibt der Omi ein Bussi", klingt es noch in meinen Ohren. Den Ekel habe ich noch heute intus. Sie stanken, oft weil sie den ganz bestimmten Altersgeruch hatten, sich wegen mangelhaften Badeeinrichtungen selten wuschen. Ich kann mich an keinen erinnern, der nicht einen unangenehmen Geruch hatte. Dieser Gestank hätte mich immun machen sollen, aber in der U-Bahn rieche ich heute noch ähnliches. Manch einer sollte einen Zahnarzt kontaktieren oder/und die Häufigkeit des Aufenthalts in seiner Badewanne oder Dusche entscheidend erhöhen oder eine Gastroskopie machen lassen. Odol oder Listerine wäre auch eine Möglichkeit den Munddistikt in Ordnung zu halten.
Küssen in Geschäftsleben.
Ich hatte Vorstände eines großen Versicherungskonzerns als Vorgesetzte, denen in einem Manager-Seminar als teambildende Maßnahme beigebracht wurde, sich zu küssen. Das hat damals intern und extern - sagen wir mal - zu Irritationen geführt. Der Küsserei haben sich alle Vorstandsmitglieder unterworfen, obwohl ich weiß, dass es einigen zuwider war. Eines Tages kam der Finanzdirektor eines Medienkonzerns zu einem Meeting mit dem Vorstand. Alle Vorstandsmitglieder trafen sich, weil die Sache - vermeintlich - so wichtig war. Manche glaubten, so auch mein damaliger Vorstand, sich durch ein solches Treffen Vorteile und eine gute Presse kaufen zu können. Und schon flogen Bussis links und Bussis rechts durch den Raum. Der Gast verfolgte das Schauspiel teils amüsiert, teils fassungslos. Dann begann die Besprechung, bei der die wenigsten verstanden, worum es ging. Dennoch lieferte jeder seinen inkompetenten Beitrag ab. Bei der Verabschiedung das gleiche Kuss-Prozedere. "Sagen sie einmal, was war das jetzt", frug mich der Gast, als sich die Vorstände, rundum zufrieden, in ihre palastähnlichen Zimmern zurück gezogen hatten. Als Pressesprecher des Konzerns drückte ich herum. "Die haben das auf einem Seminar gelernt. Der Kuss sollte die Vertrautheit und Nähe vermitteln, die man in einem eingespielten Team benötigt, um erfolgreich zu agieren‘‘, sagte ich und dabei musste ich an den Judaskuss denken. Kopfschüttelnd stieg er in den Lift. Dass wir eine gemeinsame Besprechung haben sollten, hatte er glatt vergessen. Supplementi: das Kuss- Seminar verschlang 100.000,-
Küssen in der Kirche
Vatikanische Küsse sind im Moment nicht sehr gefragt. Seit Dokumente vom Schreibtisch des Papstes gefladert wurden, gleicht der römische Kirchenstaat einer Intrigenburg. Wer küsst wem oder nicht. Jeder ist verdächtigt. Und schon wieder kommt der Judaskuss ins Spiel. Küssen und sonst andere Klügeleien waren im Priesterseminar St. Pölten beliebt. Unappetitlich sind und waren Küsse mit Minderjährigen. Ein System, das dem Kuss verächtlich macht.
Küssen soll ja bekanntlich sehr gesund sein. "Wer viel küsst, tut gleichzeitig etwas für sein Immunsystem. Durch den Austausch von Viren und Bakterien wirkt ein inniger Kuss ähnlich wie eine Schluckimpfung. Das Immunsystem lernt die fremden Mikroben kennen und kann in Zukunft schlechter von ihnen überrannt werden. Wichtiger ist allerdings der wohltuende Effekt für die Seele. Denn alles, was die Stimmung hebt, beflügelt auch die körpereigenen Abwehrkräfte. Über ausgeschüttete Hormone beeinflusst die Psyche direkt das Immunsystem, im Positiven wie im negativen Sinne. Küsse und andere Zärtlichkeiten sind da ganz besonders wohltuend", berichtet das Expertenportal "hilfreich.de".
Wie küsst man richtig, weiß ihr persönlicher Berater von Experto.de: ‘‘Erotische Küsse sind wie ein Versprechen.
Küsse können magisch sein. Sie reichen von sinnlich, zärtlich, wild, erotisch, intim, feucht, lustvoll bis zum ekstatischen Oral-kuss. Küsse auf den Mund. Ein perfekter Zungenkuss. Küsse über den ganzen Körper, in den intimen Zonen. Fußküsse, Beinküsse, Handküsse. Küsse finden überall ihren Platz und entlocken wohlige Schauer und sexuelle Genüsse. Sex ohne küssen ist langweilig. Küssen entfacht Leidenschaft. Sex ohne küssen ist für viele Menschen völlig unvorstellbar. Viel zu langweilig. Küssen turnt an, bringt die Sinne auf Trab. Küssen schaltet das Kopf-Kino an. Küsse können verzaubern und die Lust richtig entfachen. Gut küssen sollte jeder gute Liebhaber - natürlich auch eine Liebhaberin. Küssen ist einfach unglaublich vielfältig.“
Küsse werden auch per sms verschickt, tausendfach von Teenagern, denen dann die Eltern auf Grund der vielen elektronisch verfassten und versandten Küsse J ob der hohen Rechnung das Handy sperren lassen. In meiner Sturm und Drang-Periode sind wir halt beim dem Haustor gestanden und haben Zärtlichkeiten ausgetauscht. Oder mann/frau fuhren auf den Leopoldsberg und gingen in einen Busch, um sich ‘‘näher‘‘ zu kommen. Das waren noch Zeiten.
Auf Grund des Erwachsenwerdens konnte ich mich schließlich von dem Kusszwang lösen. Dann war's auch mit den Küssen der Eltern vorbei. Jahrzehntelang entzog ich mich dem Ritual. Meine Hemmungen gingen sogar so weit, dass ich anfangs meinen Lebenspartner nicht küssen konnte. Damals bräuchte ich eigentlich seelische Unterstützung, um diese kindliche ''Kuss-Vergewaltigung'' zu verarbeiten. Inzwischen bin ich Kuss-sozial geworden. Ich kann gute FreundInnen umarmen, ihnen stilvoll und herzlich einen Wangen-Kuss geben. Es ist Weihnachten, Ostern oder sonst ein wichtiger Feiertag. Man trifft sich im Freundes- und Bekanntenkreis, um zu feiern. Heuer habe ich an einer polnischen Weihnacht teilgenommen. Ich befürchtete Schreckliches. Die Polen sind ja kusswüchtig. "Ich küsse niemanden, außer dir", tat ich meinem Co schon vorher kund. Das Versteifen der Hand habe ich geübt, um Distanz zu signalisieren und halten. "Dich wird niemand küssen. Ich habe ihnen schon gesagt, dass du kussuntauglich bist", versprach mir mein Lebenspartner, ein gebürtiger Pole. Hallo, winkte ich der Weihnachtsschar zu, ohne jemanden zu berühren. Das ist ja noch einmal gut gegangen, alles ohne Blessuren überstanden.
Küssen aus Dankbarkeit
Fast hätt ich's vergessen. Ich werde in einer Klinik, die ich nach schweren Erkrankung aufgesucht und als geheilt wieder verlassen konnte, ein Küsserkönig genannt. Wenn ich zur vierteljährigen Kontrolle komme, werden alle - die zu meiner Heilung beigetragen - haben geküsst. Den Onkologen-Papst natürlich nicht. Aber alle anderen darunter. Die Ärztin, die mir zur Blutabnahme, die Nadel in der Körper rammt, der Osteopathe, die Physiotherapeutin, die Diätassistentin und sogar das Reinigungspersonal. Ich bin aus Dankbarkeit unerbittlich und lasse meinen Gefühlen freien Lauf durch das Verteilen von Küssen. Es geht das Gerücht um, dass manche sich einen Tag Urlaub nehmen, wenn sie wissen, dass ich nahe. Mir ist es egal.
Kuss in Kunst
Künstlerisch denke ich da an den Kuss von Gustav Klimt. 1907 hat er ihn geschaffen und das Bild ist zu seinem Markenzeichen geworden. Es wird tausendfach als Souvenir an allen möglichen Utensilien an Touristen verkauft. Das Original ausgestellt in Belvedere in Wien vermittelt Sinnlichkeit, umfangen von den vorherrschenden Goldtönen, die Glorifizierung der Liebe ausdrückt. Das Paar scheint verschmolzen und ist von göttlichem Glanz umgeben, der durch seine spiralhafte Bearbeitung Unendlichkeit andeutet: die Liebe ist unvergänglich. Die Spannung in der Darstellung entsteht durch den Widerspruch: ihre Verschmelzung findet vor einem Abgrund statt, der die Endlichkeit allen Seins darstellen könnte. Mit dieser Deutung kann ich nichts anfangen. Es ist für mich einfach schön.
Politisches Küssen
Küssen, das machen auch Politiker. Man erinnert sich an die Küsse der Diktatoren aus den ehemaligen Oststaaten (Z.B.: Breschnew und Honecker). Heulerisch, unehrlich, dem damaligen Protokoll unterworfen. Der Benetton-Fotograph Oliviero Toscani hat da im hervorragender Weise an Plakaten persifliert. Auch Merkl und Sarkozy waren eifrige Küsser. Die ganze EU-Mannschaft ist im Kuss-Rausch. Es wird sogar Rauch-Kallart geküsst. Mahlzeit!
Tag des Küssens
Man sollte es nicht glauben, welche Tage es gibt: der Tag des Windes (!); des Sieges (gerne im vergangenen und heutige Ostblock zelebriert), des Schlafes (der gefällt mir, habe aber keine Ahnung wann der ist), des Sports (für alle, die beim Fernsehen einschlafen). Warum soll es keinen Tag des Kusses geben? Na, eben. Am 6.7. gibt ist es wieder soweit. Im europäischen Westen und Nordamerika hat sich die Küsserei durchgesetzt. Die Franzosen setzen gleich vier Schmatzes auf die Wangen des Gegenübers. Im Islam ist das Küssen der Wange ein Friedensgruß (!) Gefährlich sind öffentliche Küsse in einigen Kulturkreisen, wo das Küssen unter Erwachsenen verschiedenen Geschlechts, die nicht miteinander verwandt oder verheiratet sind. Und das Guinness-Buch darf auch nicht fehlen. Der längste Kuss der Welt fand vom 6. Juli zum 7. Juli 2005 in London zwischen James Belshaw und Sophia Severin statt und dauerte 31 Stunden, 30 Minuten und 30 Sekunden.
So, es ist alles gesagt. Ich bin erschöpft. Der Kuss hat mich geschafft. Ich schmatze meinen Liebsten zur Nacht an, und auch der Hund bekommt ein dickes Bussi auf die Stirn, und ich schlafe ein.
* Edmund Eysler, aus "Die goldene Meisterin" (1927)
Reinhard Hübl
Freier Journalist
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