Norwegische Träume
Es ist meine erste Fahrt im Jahr 2018 nach Grafenegg. „Norwegische Träume“ nennt sich das Programm. Mit Norwegen verbinde ich Kälte und Regen. Bergen ist – angeblich - die Hauptstadt des Regens. Habe ich selbst erlebt. Mit dem Kreuzfahrtschiff dort angekommen, schüttete es von früh bis spät. Mit dieser Vorahnung lege ich während der Autofahrt eine CD mit heißen Rhythmen ein. Der Ex-Chefdirigent des Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Andrés Orozco-Estrada, hat mit dem Houston Orchester die beachtenswerte CD „Music the Americas“ mit Werken von Bernstein und Gershwin eingespielt (Kauf empfohlen), die ich mir in ohrenbetäubender Lautstärke anhöre. So fühlt sich die Fahrt schneller an, und der Swing vermittelt Drive.
Regnen tut’s nicht, aber die Kälte lässt mich in der Pause die Winterjacke auspacken. Aber so weit sind wir noch nicht.
Bei einer gefühlten Temperatur von 10 Grad schwingt Jun Märkl das Zepter, um mit den Tonkünstlern Prélude À L'Après-Midi D'Un Faune von Claude Debussy den Anfang zu machen. Weiche Orchestertöne, die Flöte eines Hirtenbuben, duftige Schalmeien-Klänge um ein Fabelwesen – ein französischer Auftakt ist etwas Feines. Den Atlantik vergessen wir. Wie auch in anderen Werken beschäftigte sich Debussy mit dem Wesen des Geheimnisvollen - ein Destillat von Sein und Mystischem. Der Pariser ist ein Vertreter des musikalischen Impressionismus. Besonders zeigt sich das in La Mer.
Frédéric Chopin ist der zweite Gast im Wolkenturm. Wieder spielt das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter dem Dirigat von Jun Märkl. Mit dabei ist der Pianist Ivo Kahánek. Der tschechische Musiker spielt das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-moll op. 11 technisch brillant, es fehlt jedoch etwas an Empathie. Ich kann das beurteilen. Vor einigen Jahren war ich im Łazienki-Park in Warschau, wo oft Chopin-Konzerte gespielt werden, meist von Studenten, aber auch von arrivierten Künstlern. Allen ist eines gemeinsam: die Hingabe für die Werke Chopins. Erst bei der Zugabe „Fantasie-Impromptu cis-Moll op. 66“ von Chopin zeigt der Pianist sein wahres Können und spielt das Stück extrem warmherzig. Ein großer Applaus ist ihm sicher.
Nach der Pause geht es tatsächlich in den Norden. Zwei Suiten von Edvard Grieg sind so feurig, dass man durchaus von einem Vulkan-Ausbruch sprechen kann. Von Brautraub bis Morgenstimmung ist alles dabei. Dem Orchester und dem Dirigenten dürfte auch kalt sein, so schnell spielen sie die mit Ohrwürmern durchsetzten Werke des Nordlichts.
“Am Schluss” meint Dirigent Märkl mit einem Augenzwinkern “spielen wir noch Johannes Brahms’ Ungarischen Tanz”, damit sie fröhlich die Heimreise antreten können”. Das Raunen der Menge ist als Zustimmung zu werten.
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Die neu geschaffene Grafenegg Academy, die noch bis 8. Juli stattfindet, widmet sich dem Thema «Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Europa 2018». Unter dem Dirigat von Dennis Russell Davies, Rebecca Miller und Leon Botstein erarbeiten 80 internationale Musikerinnen und Musiker als Grafenegg Academy Orchestra vier Orchesterkonzerte, davon eine Matinee mit konzertanten Kurzopern. Zwei kammermusikalische Préludes ergänzen das Programm. Solistinnen und Solisten sind u.a. Thomas Hampson, Elisabeth Kulman und Christopher Maltman. Zu hören sind Werke von Béla Bartok, Karl Amadeus Hartmann, Paul Hindemith, Ernst Krenek, Max Reger, Dmitri Schostakowitsch, Othmar Schoeck, Arnold Schönberg, Richard Strauss, Karol Szymanowski und Kurt Weill.
Infos und Tickets: www.grafenegg.com
Reinhard Hübl
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