Du bleibst bei mir - eine Hommage an die unvergessene Dorothea Neff
Ich war damals 14 oder 15 Jahre alt. Vom Theater hatte ich keine Ahnung, wollte sie auch nicht haben. Trotzdem nahm ich auf Drängen meines Berufschullehrers ein Jugend-Abo und ging ins Theater. Dahinter steckte ein Kalkül. Ich merkte, dass jene Schüler, die das Abo nahmen, bessere Deutschnoten erhielten. Das war auch meine Motivation. Da stand ich nun im Volkstheater auf Rang 2, weil's billig war. Der Billeteur herrschte mich an, dass ins Theater in angemessener Kleidung zu erscheinen habe, nämlich Anzug und so. Hose und Pullover waren dem Herrn zu salopp. Wenn ich heute einige Zuschauer in den ersten Reihen kleidungsmäßig betrachte, muss ich darüber schmunzeln. Gerne würde ich dem alten Herren heute bei seinen Bemühungen unterstützen, der Muse des Theaters Melpomene, mehr Respekt zu erweisen.
Damals ging ich angefressen auf meinen Platz und fand es fad (heute würde man sagen: uncool). ''Mutter Courage'' vom Brecht stand auf dem Programm. Trotz meiner Lustlosigkeit fiel mir eine Schauspielerin auf, die mich faszinierte: Dorothea Neff. Erst später erfuhr ich, dass sie ihre Figur nahezu blind gespielt hat; und dass es eine ihrer letzten Vorstellungen war. Gustav Manker, der legendäre Direktor des Volkstheaters, hat sie" genötigt'', diese Rolle zu spielen. Mit sehr großem Erfolg.
An all das erinnerte ich mich als ich in der Volkstheater-Aufführung "Du bleibst bei mir" saß. Ich sah vor meinen Augen eine gebrechliche Frau, die den Leiterwagen in "Mutter Courage" über die Bühne zog. Die den Applaus, an der Hand einer jungen Schauspielerin, genoss. Ich schwelgte in Erinnerung und vergaß fast die Vorstellung, in der ich saß. Es wäre schade gewesen, dieses Mitterer-Stück, dass von den Schauspielern aufgewertet wird, nicht gesehen zu haben. Es geht darin um Dorothea Neff Beziehungen mit Frauen und über ihren Mut, eine Jüdin in der Nazizeit zu verstecken. Ihre Enttäuschung über die Liebe, die ironischerweise nur so lange gedauert hat, wie die braune Herrschaft. Mit List und Bestechung schaffte Neff, sich und ihre Geliebte Lilli über vier Jahre, trotz des Naziregimes am Leben zu erhalten. Auch danach, als die Russen als "Befreier" kamen, konnte sie ihre Frauen-WG vor Vergewaltigungen durch ein paar Worte auf Russisch und Jüdisch retten. Zunehmend erblindend bleibt sie in ihrer Wohnung während ihre bisherige Lebensgefährtin Lilli Wolf nach Amerika fuhr, um die Zeit ihres Versteckens zu vergessen. Eine junge Schauspielerin, Eva Zilcher, wird so zu ihrer neuen Lebensgefährtin, die ihr hilft und begleitet, in der Zeit der Dunkelheit. DIE Neff wird durch Eva auf die Rolle von Mutter Courage durchs Vorlesen des Textes vorbereitet. Von heftigen Zweifeln geplagt betritt sie die Bühne, wird zur Leitfigur des Brecht-Stückes und erfährt große Begeisterung durch Kritiker und Publikum.
Ich war nach fast 40 Jahren wieder in einem Stück, dass mir den Atem verschlagen hat. In einem harmonischen Ensemble glänzt die grandiose Andrea Eckert in der Regie von Michael Sturminger. Vor allem im zweiten Akt ist Andrea Eckert DIE Neff. DIE Neff, die ich zum Glück damals als junger Banause gesehen habe, ohne zu wissen, dass ich eine Sternstunde des Theaters erleben dürfte. DIE Neff, die für ihre Courage, ihre jüdische Mitbewohnerin vor dem Tod im KZ bewahrt zu haben, ist zu einer Mutter Courage in echtem Leben geworden ist. Ein Theaterabend, der Gänsehaut und Tränen in den Gesichter der Zuschauer zauberte. Ein Abend, der dank wunderbaren Andrea Eckert und Martina Stilp (in der Rolle von Lilli Wolf) nicht vergessen werden wird.
Reinhard Hübl
Freier Journalist
reinhard.huebl@direkt.at
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