Eine Wolke in Gelb, zarte Klänge im Wolkenturm
Ich sehe mich im Wolkenturm - dem Konzertsaal von Grafenegg in Freiluft - einem gelben Meer gegenüber. Ratlos, weil ich es nicht gewohnt bin, frage ich jemanden. Das sind die Raiffeisler, werde ich belehrt. Bei genauem Hinsehen ist alles klar. Die Chefs und die zukünftigen Chefs sind hier bei einem kulturellen Event - was ja an sich nichts Schlechtes ist. Einige Emeritierte sind auch dabei, ebenso wie Geschäftsfreunde. Einer hat die Töchter der Töchter geschickt und ein Herausgeber eines „unabhängigen“ Magazins und eine abgetakelte Intendantin zelebrieren ihren Pseudo-Promi-Status. Es ist fast eine soziopsychologische Studie: Je mehr einer abhängig von der Gunst des Oberen ist, desto tiefer wird die Verneigung. Die Oberen sitzen näher beim Orchester, was weniger dem Kulturgenuss dient, sondern mehr dem uninteressanten Ausblick, ob die Schuhe der Geiger gut oder schlecht geputzt und wie zierlich die Füße des nicht besonders schlanken Pianisten sind. Ehrlich, das ist nicht so interessant. Mein schlecht verzinstes Geld sehe ich zwar in gelben Decken, aber mein anfänglicher Groll wird gemildert, als eine Lautsprecherstimme sagt, dass ich das Handy abschalten soll (Einbrecher ausgepasst, ich lasse meines immer im Auto) und dass die Genossenschafter das Konzert gesponsert haben und gute Unterhaltung wünschen - was keine Aufforderung zum Schwätzen ist. Kultur ist immer noch besser, als Bandenwerbung beim Fußballverein von Hintertupfing. Die Londoner hätten sich Grafenegg ohne kräftiges Sponsoring nicht leisten können, erfahre ich später.
Also zum Konzert: Die Londoner, das ist das London Symphony Orchestra, einer der Top-Klangkörper der Welt. Dass sie in Grafenegg gastieren, ist nicht nur dem Geld zuzuschreiben, sondern vor allem den exzellenten Kontakten des Intendanten Rudolf Buchbinder. Der sich auch gleich ans Klavier setzt, um mit den Briten zu musizieren. Da ist das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 von Ludwig van Beethoven genau das Richtige. Unter der Stabführung von Antonio Pappano, einem Engländer mit italienischem Migrationshintergrund, reift das in C-Dur geschriebene Werk zu einem authentischen Erlebnis. Man merkt die Harmonie von Dirigent, Pianist und Orchester. Lyrische und idyllische Gedanken stehen im Vordergrund des Werkes. Drei kontrastreiche Sätze halten die Spannung aufrecht. Besser kann man das nicht spielen.
Das gilt auch für den zweiten Teil: Pjotr Iljitsch Tschaikowskis „Der Nussknacker“. Teile daraus hat der Dirigent klug zusammengestellt. Die Kindergeschichte handelt von dem Mädchen Klara, das von ihrem Patenonkel am Weihnachtsabend einen Nussknacker als Geschenk bekommt. Im Traum erscheint ihr dieser. Er kämpft mit den Spielzeugsoldaten gegen das Heer des Mäusekönigs und gewinnt das Duell. Aus der hölzernen Figur wird ein Prinz, der alsbald mit Klara ins Reich der Süßigkeiten entflieht. Dort residiert die Zuckerfee, die zu Ehren der Gäste ein Fest veranstaltet. All das wird auf der Opernbühne in ein Ballett verpackt. Wem das zu kindlich und schwulstig ist und mit einem Ballett nichts am Hut hat, möge die Augen schließen und sich in die musikalische Parabel vertiefen. Das London Symphony Orchestra verfügt über Solisten mit einer beeindruckenden Ausdrucksskala, die alle Register ihres Könnens ziehen und damit dem Werk den richtigen USP geben. Da gibt es keine selbstverliebten Sentimentalitäten, nur klare, weiche Linien. Willkommen in der Bel Etage! Ein Hinweis an die Fotoagentur: Das Pressefoto von Antonio Pappano lässt einen Langeweiler vermuten. Stattdessen ist er ein sehr vitaler Orchesterleiter, dem die Freude am Musizieren ins Gesicht geschrieben ist. Und mit einer rasanten Zugabe erobert er die Herzen der Grafenegger Besucher. Salut Raiffeisen! Salut dem Festival auf höchstem Niveau!
Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich mir die hingebungsvollen Töne eines anderes Meisters am Klavier an: Lang-Lang.
Next: Das Tonkünstler-Orchester am 30.8.2014, Dirigent: Lawrence Foster, Klavier: Irena Gulzarova. Mit Werken von Carl Maria von Weber, Franz Liszt und Ludwig van Beethoven.
Achtung: Beginn bereits um 19:15 Uhr im Wolkenturm
Infos und Tickets: www.grafenegg.com
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