Konzerthaus: Lang-Lang und andere Feinheiten
Draußen ist es kalt. Das Gulasch vom Gmoakeller konnte mich auch nicht wirklich aufwärmen. Obwohl es das beste Gulasch von Wien, wenn nicht gar der Welt ist. Ein Stück Fleisch mit viel Saft und ein herrliches Salzstangerl aus der Wachau dazu, das ist Genuss pur. Der Wirt am Heumarkt ist eine einzigartige Erscheinung am kulinarischen Himmel. Man wird dort vom Personal, man sollte eher sagen, von den Servierkünstlern, ohne gespielte Attitüde, freundlich und mit Charme bedient und so auf einen harmonischen Konzert-Abend eingestimmt. Der winterliche, kalte Abend kann die gute Stimmung und dem lukullisch befriedigten Leib nichts mehr anhaben.
Eine Minute rüber ins Konzerthaus, schon ist man von der Atmosphäre der Musik gefangen. Der große Saal, das von Instrumenten gerammelt volles Podium, die vom Unbill des Wetter mit Galoschen herein schlurfenden Menschen, das bringt Stimmung. Ich komme zwischen einem ungewaschen jungen Mann und einem entrückten, näselnden Menschen zu sitzen, der seinem Nachbarn erzählt, er werde seine Stiftung in die Schweiz verlegen, weil die Roten diese nach der Wahl die Stiftung horrend – er sagt das Wort „horrend“ gleich zwei Mal, besteuern werden. Der Waschmichnicht-Fuzzi entschwand nach der Pause, und neben mir nahm eine wohlriechende Dame Platz.
Noch bevor ein Dialog zwischen den Stiftungsmenschen zustande kommt, erklimmt der Chefdirigent des Symphonieorchestern des Österreichischen Rundfunks, Cornelius Meister, das Pult. Die ersten leisen Klänge der kleinen Trommel lassen den Bolero erahnen, der sich dann in einem musikalischen Gewitterdonner entlädt. Die martialischen Töne, der Rhythmus, die Instrumentation: es kann alles sein, Krieg, Corrida, Begleitmusik für einen römischen Kaiserempfang, oder auch wie beim gleichnamigen Film aus den 80en, eine lustvolle, extatische, körperlicher Liebe.
Der Baske mit französischen Einschlag, schuf ein einzigartiges Werk der Musikgeschichte. Ravel verlangt hier außer den richtigen Tempi, dass die Musiker dem Publikum, die gewaltigen Gefühle, die dieses Werk zu erzeugen vermag, Note für Note vermitteln. Er will es langsam, aber was ist langsam? Möglichst lange das Crescendo hinauszögern, die einzelnen Instrumentengruppen heraus hören, um am Ende in einem Inferno des eigenen Gehirnkinos zu versinken. All das und wahrscheinlich noch viel mehr, wird sich Ravel gedacht haben. Der deutsche Maestro, der aus einer Musiker-Familie stammt – Vater, Mutter, Bruder sind Musiker – lässt seinem Orchester viel Freiheit. Kerzengerade steht er am Pult, und mit minimalistischen Taktschlägen erzeugt er den schönsten Donnerhall der Musik. Der sehr gute Schlagzeuger Patrick Prammer ist der Wegbereiter in diesem epochalen Stück, dass von einigen Neidern als Artefakt bezeichnet wurde. Wenn interessiert das. Das Publikum liebt es. Ein Stück, mit dem das RSO dem Komponisten huldigt. Genau so soll der Bolero klingen.
Ein Zeitgenosse Ravels beglückt die Neue Welt. Er hat einen ganz anderen Zugang zur Musik. Mit seiner „Rhapsody in Blue“ ist George Gershwin wie Ravel in die Musikgeschichte eingegangen. Ursprünglich nur für zwei Klaviere geschrieben, wurde die Komposition später in ein symphonisches Jazzwerk umgewandelt. Der signifikante Stil in der gesamten, höchst originellen Komposition, fand nicht gleich ungeteiltes Lob. Doch der Broadway hatte Gershwin entdeckt, und von dort begann sein unaufhaltsamer weltweiter Erfolg. Die „Rhapsody in Blue“ verlangt einen virtuosen Pianisten. Ohne Zweifel wurde in Lang-Lang einer der Besten gefunden. Er erscheint im Konzertsaal mit einer Präsenz, die alle und alles verstummen lässt. Sein Outfit mit weißem T-Shirt unterm Sakko, schlaksigen Trittes entern er das Klavier. Man hat fast den Eindruck, dass er gerade vor einer Stunde dem Bett einer Nobelherberge entstiegen ist. Das ändert sich mit den ersten Tönen, die er anschlägt. Mit der Leichtigkeit eines Genies spielt er nicht nur, sondern lebt mit jeder Faser seines Körpers die schwierigen Noten. Die hoch versicheren Hände gleiten über die Tasten. Der Dirigent und der Pianist spielen sich die Bälle zu. Ihr Lächeln zeigt, man schätzt einander, man will gerne miteinander musizieren, und man ist mit dem Ergebnis zufrieden, ja sehr zufrieden. Das Publikum sieht es genauso. Frenetischer Applaus „zwingt“ Lang-Lang zu zwei Zugaben. Mit dem Minutenwalzer und der Etüde in As-Dur von Frederic Chopin gelingt dem Pianisten ein zartes, feines Zwischenspiel unter drei wuchtigen Werken. Es ist mausestill im Saal, wenn er meisterlich seine schlanken Finger über die Tasten schweben lässt. Berechtigte Ovationen nach den Zugaben. Man könnte schon jetzt beseelt nach Hause gehen, wäre da nicht noch das „Heldenleben“ von Richard Strauss.
Ich sage es ehrlich, Richard Strauss ist nicht so mein Ding. Aber dennoch, ich will mich dem Werk stellen. Heldenleben ist eine Musikschöpfung, eine martialischen Ausformung des „Übermenschen“. Strauss war auch Zeitgenosse von Ravel und Gershwin. Er entwickelte eine neue Tonsprache, die in erstem Moment verstörend klang. Heute muss man dem muskulösen Mammut-Werk anders begegnen. Was ist ein Held? Ist ein Held einer der Kriegsauszeichnungen erhält, einer der aus der Stratosphäre springt, oder eine Erfindung macht, die die Menschheit revoluziert. Oder ist ein Held jemand, der einem anderen das Leben rettet, ein Wissenschaftler der ein Medikament gegen eine tödliche Krankheit erfindet, ein Mensch, der selbstlos mit anderen teilt. Richard Strauss war ein Kind zweier Weltkriege. Ich maße mir nicht an, ob dies bei Heldenleben eine Rolle gespielt hat. Für mich ist Heldenleben ein Mythos, der in einer kraftvollen Form seine Berechtigung findet. Das RSO spielt das Musikwerk spannend, manchmal etwas rau, aber immer stimmig. Die Konzertmeisterin des RSO, Maighréad McCrann legt einen Solopart hin, der zurecht vom Publikum mit Sonderapplaus bedacht wird. Und Cornelius Meister hat drei Meisterwerke meisterlich dem Publikum näher gebracht.
Mich hat diese Tondichtung mit Richard Strauss versöhnt.
Reinhard Hübl
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