Tarnanzüge, Liebesleid, Mord und Tod
Oh Gott, nicht schon wieder Tarnanzüge! Wenn Regisseuren nichts Anderes einfällt, müssen Soldaten entweder als Nazi-Schergen oder in Ami-Tarnanzügen auftreten. „ Inszenator“ Elmar Goerden tut sich überhaupt schwer, was Personenführung angeht. Und er kann sich nicht entschließen, in welcher Zeit seine Geschichte spielt: Premiere von „Carmen“ im neuen Linzer Opernhaus. Da treten Gauner, Ganoven -die Schmuggler -getarnt als gestylte Spekulanten auf. Sie lassen die Fabrikarbeiterinnen alles, was beim Ausverkauf im Elektromarkt zu haben ist, über die Grenze bringen. Ein christusähnlicher Zombie, wohl ein Schicksalsbote, schleicht regelmäßig über die Bühne. Ein kleines Mädchen taucht immer wieder in der Nähe von Carmen auf. Metaphern, Anspielungen ??? ….Ich bin in der Stimmung eine interessante Aufführung zu erleben und will mich nicht mit dem Gedanken beschäftigen, was uns der Regisseur mit diesen Figuren sagen will. Einen Boxkampf gibt es auch. Bedeutet das, jeder muss sein eigenes Schicksal erkämpfen? Alles nicht wirklich stimmig. In Bizets „Carmen“ geht es um Liebe, Hass, Ausbeutung, Leidenschaft, Stolz - also Emotionen pur – und das erzählt auch Bizets Musik.
Trotz aller Regieverwirrungen sind die Sängerinnen und Sänger - mit ein paar wenigen Ausnahmen - erste Güte. Don Jose (Petro Velazquez Diaz) ist ein strahlender Tenor, der sich in intimen Szenen zurückzunehmen weiß. (Das kann man von der Lichtregie nicht behaupten.) Glänzend seine Stimme, phrasierend eingesetzt, ein gottbegnadetes Timbre, einfach herrlich. Die Titelfigur singt die Tschechin Katerina Hebelkova, ein tätowiertes Vollblut-Punk-Weib, die die Männer zu umgarnen weiß. Sie entscheidet sich letztendlich sich für den Machotypen des Torero, und verteidigt die Beziehung mit Vehemenz. Das bestimmt ihr Schicksal und sie stirbt durch den Messerstich des enttäuschten Don Jose. Die Mezzosopranistin hat eine der Rolle entsprechende raue Stimme, im Liebesduett findet sie die richtigen Nuancen der Sinnlichkeit. Eine Ausnahmeerscheinung ist Myung Joo Lee als Miceala. Ihre feine, lyrische Stimme ist das Highlight der Aufführung. Sie ist der ruhende Punkt im wilden Geschehen. Escamillo (Seho Chang) hält dem durchwegs sehr homogenen und sehr disziplinierten Ensemble stimmlich nicht stand. Es ist nicht seine Rolle, Schwächen in der Tiefe, unkontrolliert in der Höhe, obwohl das Brucknerorchester unter Daniel Linton-France ihn gut unterstützt. Aus dem Orchestergraben kommen präzise Tempi, einfühlsame Farbklänge, Liebe zum Detail, Musik vom Feinsten.
Wer spanische Folklore erwartete, wurde enttäuscht. Ein Sängerfest war es allemal. Jubel für die SängerInnen und das Orchester, Buhs für die Regie.
Daher: Wiener nichts wie hin, auf nach Linz: Westbahn ab 17,40, Rückkehr mit dem Railjet um 23,15 ab Linz, Ankunft 00:30, wenn er nicht gerade verspätet ist.
Die nächsten Carmen –Aufführungen sind ausverkauft. Karten gibt es wieder für die Vorstellung am 15. Juni.
Infos und Tickets: www.landestheater-linz.at
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