Tonkünstler: Feine Mischung zwischen Brahms und Mahler
Ja, ich liebe die NÖ Tonkünstler, Ja, ich liebe sie auch deswegen, weil sie monumentale Werke in ihr Programm aufnehmen, und ja, ich liebe sie für den USP, die Einzigartigkeit, die sie sich erarbeitet haben und nochmals Ja, weil sie so einen souveränen Chefdirigenten haben, der sich leider in der Saison 2014/15 in Richtung Housten und Hessen verabschiedet. “Jeder ist seines Glückes Schmied“, wussten schon die Römer. Dass sich dieser Top-Mann aus Wien zurückzieht, ist unverständlich. Was kann Amerika und deutsche Provinz bieten? Wir werden es wohl kaum erfahren.
Aber noch ist der kleine Mann aus Kolumbien hier. Er zeigt seine starke Präsenz im Sonntagsnachmittags-Konzert. Andrés Orozco-Estrada ist das, was man als Mann mit Prinzipien beschreiben kann. Zwei Brahms-Werke, die tragische Ouvertüre in d-moll op 81 und die Symphonie Nr. 3 in F-Dur op 90. Darin eingebettet Gustav Mahlers „Kindertotenlieder“. Die Mezzosopranistin Bernarda Fink singt das Werk berührend, mit leichten Schwächen in der tiefen Tonlage. Mahler ist schon sichtlich von der Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts beeinflusst, vertont Gedichte von Friedrich Rückert. Die Solistin im Duett mit dem Fagott singt (sie) ernst, der Würde des Augenblicks entsprechend. Welches Leid Kinder erfahren, macht sie ausdrucksstark deutlich, auch wenn die Texte heute sehr veraltet klingen.
Die Tragische, die keine ist, sagt auch Brahms selbst. Er hatte „kein bestimmtes Trauerspiel als Sujet im Sinne“. Es ist eine dramatische Ouvertüre, die in der Besetzung mit Posaunen und Tuba einen dunklen, festlichen Klangcharakter bekommt. Bei den Tonkünstlern klingt sie fast fröhlich, ausgelassen.
Die 3. Symphonie kommt getragen, mit der Wucht des gesamten Klangkörpers rüber. Die Blech-Instrumente sind die bestimmende Kraft in diesem Werk. Andrés Orozco-Estrada dirigiert im Einklang mit jenen Emotionen, die von dieser Komposition ausgehen. Freudig folgen ihm die Orchestermusiker. Fein abgestimmt, mal kaum hörbar, dann wieder mit aller Kraft der Klangfarben, kommt zu Tag wie die „herrlichen Melodien“ (Antonín Dvořák) erschallen sollen.
Clara Schumann äußerte sich über die Sinfonie in einem Brief an Brahms wie folgt: „Welch ein Werk, welche Poesie, die harmonischste Stimmung durch das Ganze, alle Sätze wie aus einem Gusse, ein Herzschlag, jeder Satz ein Juwel! – Wie ist man von Anfang bis zu Ende umfangen von dem geheimnisvollen Zauber des Waldlebens! Ich könnte nicht sagen, welcher Satz mir der liebste? Im ersten entzückt mich schon gleich der Glanz des erwachten Tages, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume glitzern, alles lebendig wird, alles Heiterkeit atmet, das ist wonnig! Im zweiten die reine Idylle, belausche ich die Betenden um die kleine Waldkapelle, das Rinnen der Bächlein, Spielen der Käfer und Mücken – das ist ein Schwärmen und Flüstern um einen herum, dass man sich ganz wie eingesponnen fühlt in all die Wonne der Natur. Der dritte Satz scheint mir eine Perle, aber es ist eine graue, von einer Wehmutsträne umflossen; am Schluss die Modulation ist ganz wunderbar. Herrlich folgt dann der letzte Satz mit seinem leidenschaftlichen Aufschwung: das erregte Herz wird aber bald wieder gesänftigt, zuletzt die Verklärung, die sogar in dem Durchführungs-Motiv in einer Schönheit auftritt, für die ich keine Antwort finde.“ Profunder kann man es nicht sagen.
Nächstes Konzert der Tonkünstler:
Fr, 24. Mai 2013, um 19,30 im Musikverein
INTERPRETEN
Vadim Gluzman, Violine
Michail Jurowski, Dirigent
PROGRAMM
Michail Glinka
Ouvertüre zur Oper «Ruslan und Ludmilla»
Pjotr Iljitsch Tschaikowski
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35
Modest Mussorgskij
«Bilder einer Ausstellung» (Instrumentierung: Maurice Ravel)
Reinhard Hübl
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