„Die Feinheiten lernt man nur im täglichen Umgang“

Rosa Rumetshofer-Karlinger bringt Flüchtlinge mit engagierten Linzerinnen und Linzern zusammen.
  • Rosa Rumetshofer-Karlinger bringt Flüchtlinge mit engagierten Linzerinnen und Linzern zusammen.
  • hochgeladen von Nina Meißl

Stellen Sie sich vor, Sie mussten im Krieg alles hinter sich lassen – Ihre Familie, Ihre Freunde, ihr gesamtes Hab und Gut. Stellen Sie sich weiter vor, Sie wohnen jetzt in einem kleinen Zimmer in einem fremden Land, Sie können die Sprache nicht, dürfen nicht arbeiten und keinen Menschen außer ein paar Betreuungspersonen und ein paar Flüchtlingen, denen es ähnlich ergeht wie Ihnen? Was würden Sie sich wünschen?

Emotionale Bindung fehlt

Rosa Rumetshofer-Karlinger ist seit Oktober für den Freiwilligenbereich der Volkshilfe zuständig. Sie will das Projekt „ dUNDu“, das es bereits seit fünf Jahren sehr erfolgreich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gibt, auf Erwachsene ausweiten. „Wir haben viele junge Männer, die ohne Familie hier sind. Sie sind zwar über 18 und damit volljährig, haben aber dieselben Bedürfnisse wie Minderjährige. Sie haben alles hinter sich gelassen, es fehlt ihnen die emotionale Bindung und sie wünschen sich nichts sehnlicher, als Kontakt zu finden mit Menschen aus Österreich“, sagt Rumetshofer-Karlinger. Der Kontakt ist besonders wichtig für die Integration. Während es für Jugendliche leichter Anknüpfungspunkte gibt, etwa in der Schule, haben es erwachsene Asylwerber oft schwer, mit Einheimischen zu sprechen und Freundschaften zu schließen – auch durch das ihnen auferlegte Arbeitsverbot.

Beziehung bietet Rückhalt

„Unsere Bewohner haben nur sehr wenig Geld zur Verfügung. Mit 5,50 Euro Verpflegungsgeld pro Tag kann man nicht einfach so ins Kino oder ins Kaffeehaus gehen und so vielleicht jemanden kennenlernen“, sagt Gabi Haiden, die ein Flüchtlingswohnheim in Linz betreut. Das neue Projekt dUNDu Plus zielt jedoch nicht auf finanzielle Unterstützung ab. „Wir möchten erwachsene Flüchtlinge mit engagierten Linzerinnen und Linzern zusammenbringen, damit sie gemeinsam Zeit verbringen“, ruft Rumetshofer-Karlinger Interessierte auf, sich zu melden. Ziel ist es, eine längerfristige Beziehung aufzubauen, aus der beide Seiten gleichermaßen Freude und Nutzen ziehen können. „Aus dem Jugend-Projekt haben wir sehr gute Rückmeldungen. Die sogenannten Buddies bieten den Flüchtlingen viel Rückhalt. Die Buddies selbst bekommen einen unvergleichlichen Einblick in eine andere Kultur und ein Gefühl dafür, warum Menschen flüchten müssen“, so Rumetshofer-Karlinger. Gesucht werden offene, kontaktfreudige Menschen, die psychisch belastbar sind und genügend Zeitressourcen mitbringen.

Problem: Anonymität in der Stadt

Das Pilotprojekt startet in Linz, weil es für Flüchtlinge im städtischen Bereich noch einmal schwieriger ist, Kontakte zu knüpfen, als auf dem Land, wo sich meist rasch eine große Helfergemeinschaft um die in einem Ort lebenden Asylwerber kümmert. Ein besonders wichtiger Teil der im Idealfall einmal wöchentlichen Treffen ist das Deutsch-sprechen. „Auch wenn jemand studiert hat – wenn er die Sprache nicht kennt, kann er sich nicht ausdrücken. Erst als ich die Sprache beherrschte und einen Job als Krankenpfleger fand, konnte ich mich richtig integrieren“, so Muhamet Binaku, der selbst vor 25 Jahren aus dem Kosovo nach Österreich kam und sich heute lächelnd an so manches Missverständnis erinnert: „Im Kurs lernt man zwar die Schriftsprache. Die Feinheiten des Dialekts lernt man jedoch nur im täglichen, persönlichen Umgang.“ Auch Binaku, der heute als Flüchtlingsbetreuer tätig ist, musste schnell feststellen: „Während man bei uns mit jedem, den man trifft, spricht oder einen Kaffee trinkt, lernt man hier in Österreich niemanden einfach so auf der Straße kennen. Die Mentalität ist eine andere, die Menschen viel verschlossener. Es dauert normalerweise lange, Freundschaften aufzubauen.“

Ängste abbauen

Abdelhai und Abdelhanan, zwei Syrer, die nun in Linz leben, hoffen daher darauf, bald Buddies zu bekommen. „Viele Menschen hier haben Angst vor den Flüchtlingen. Sie glauben, dass wir vom IS sind oder dass wir bitterarm sind und nur Geld wollen“, sagt Abdelhai. Beiden ist wichtig, diese Vorurteile zu zerstreuen. „In Syrien hatten wir alles – eine Wohnung, eine Familie, einen guten Job. Jetzt haben wir nichts. Meine Wohnung ist zerbombt, mein Vater hatte einen Schlaganfall und kann sich nicht mehr um meine Frau und meine zwei Kinder kümmern. Meine Tochter war noch so klein, als ich gehen musste, dass sie kaum mehr weiß, wer ich bin und mein Sohn fragt ständig, wann sie endlich zu mir kommen können“, sagt Abdelhanan. Währenddessen kann der Elektriker nur herumsitzen und auf sein erstes Asyl-Interview und den Ausgang seines Verfahrens warten. „Ich bin ein Mensch wie jeder andere. Manchmal bin ich traurig oder wütend. Ich habe so viele Worte, aber keine Möglichkeit, mit jemandem zu sprechen.“

Eine Chance geben

Treffen und Ausflüge mit einem Buddy können dazu beitragen, die Flüchtlinge ablenken und sie aus ihrem Gedankenkarussel befreien. Das Volkshilfe-Team hofft zudem, dass die Linzer Buddies als Multiplikatoren im Bekanntenkreis wirken und von ihren Erfahrungen berichten. „Viele Menschen, die Angst haben, hatten noch nie Kontakt mit einem Flüchtling“, so Rumetshofer-Karlinger. „In jeder Stadt findet man gute und schlechte Menschen, in Linz genauso wie in meiner Heimatstadt in Syrien. Doch hier denken viele, alle Flüchtlinge sind keine guten Menschen. Ich hoffe, dass die Menschen hier nie selbst erfahren müssen, was Krieg und Flucht wirklich bedeuten“, berichtet der Pädagoge Abdelhai von alltäglicher Ignoranz und Zurückweisung, die ihm auf den Straßen begegnen. Was sich die beiden Asylwerber wünschen? „Eine kleine Chance. Wir wollen kein Geld. Wir wollen arbeiten, Deutsch lernen, Freundschaften schließen, respektiert werden“, so Abdelhai. Ein zutiefst menschlicher Wunsch, zu dessen Erfüllung das Projekt dUNDu Plus etwas beitragen kann.

Das Projekt wird professionell begleitet. Es gibt regelmäßige Treffen der Buddies, Vorträge zu relevanten Themen sowie Einzelberatungen bei akuten Problemen. Interessierte können sich bei Rosa Rumetshofer-Karlinger unter Tel. 0676/8734 7085 oder per Mail an rosa.rumetshofer@volkshilfe-ooe.at melden.

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