Volkswirt Güntner im Interview
"Inflation könnte noch auf 10 Prozent steigen"

Die Inflation könnte die 10-Prozent-Marke noch überspringen meint der Linzer Volkswirt Jochen Güntner.  | Foto: panthermedia/goos_Lar
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Volkswirtschafts-Professor Jochen Güntner von der Linzer Johannes Kepler-Universität (JKU) spricht im BezirksRundSchau-Interview über Inflation, Energiepreise und darüber, was uns wirtschaftspolitisch in den nächsten Monaten erwarten könnte. 

BezirksRundSchau: Gab es in den letzten Jahrzehnten in Österreich schon einmal eine vergleichbare Inflation?
Güntner:
Wir hatten seit Ende der 1970er-Jahre nicht mehr eine so hohe Inflationsrate. Damals führten ein Ölembargo und der Iran-Irak-Krieg zu starken Anstiegen bei den Rohölpreisen. Man kann also sagen, dass die damalige und die heutige Entwicklung recht ähnliche Ursachen haben.

Also das Öl als Inflationstreiber.
Ja, das sind wirklich deutliche Parallelen. Damals kamen die Anstiege mehr oder weniger aus dem Nichts, speziell in den USA ist der Ölpreis in den 1970er-Jahren sprunghaft angestiegen. Das hat wiederum zu Inflationsraten von bis 15 Prozent geführt. In den letzten 40 Jahren gab es in Mitteleuropa keine so hohe Inflation mehr. Und jetzt kommt es aufgrund ähnlicher Gegebenheiten zu ähnlich hoher Inflation.

Damals folgte eine Phase der Stagflation, also Inflation ohne Wirtschaftswachstum. Droht dieses Szenario aktuell wieder?
Das hängt auch stark davon ab, wie die Europäische Zentralbank (EZB) auf die gestiegene Inflation reagiert. Es ist das oberste Ziel der EZB, dass sie die Preissteigerungen bei zwei Prozent hält – und davon sind wir derzeit meilenweit entfernt. Die Stagflation in den 1980er-Jahren in den USA war einem Paradigmenwechsel in der Geldpolitik geschuldet. Man wollte die hohen Inflationsraten ganz bewusst durch noch höhere Zinssätze in den Griff bekommen. Man hat die Wirtschaft quasi „abgewürgt“. Die hohen Inflationsraten sanken aber nur langsam und gleichzeitig wirkten die Folgen einer restriktiven Geldpolitik auf die Wirtschaft, so dass das Wachstum gehemmt wurde.
Und ja, derzeit droht ein ähnliches Szenario. Die EZB wird höchstwahrscheinlich die Zinsen nur sehr langsam erhöhen, was auch gerechtfertigt ist. Weil der Treiber der Inflation, also die Energiepreise, fast komplett von außen importiert ist. Wenn der Grund für starke Inflation also von der Angebotsseite kommt, dann ist Geldpolitik eine schlechte Wahl. Denn man hat dann die Bekämpfung der Inflation auf der einen und das Bremsen des Wachstums durch höhere Zinsen auf der anderen Seite.

Eine Zinserhöhung hat also wenig Auswirkung auf die Inflation, weil die von den Energiepreisen kommt ...
… nur insofern, als durch eine Zinserhöhung die Nachfrage gebremst wird. Ein Effekt, den man in dieser Situation eigentlich vermeiden möchte. Aber eine Zinserhöhung soll trotzdem dazu führen, dass die Energiepreise und im Anschluss die Verbraucherpreise weniger stark steigen. Aber das hat natürlich enorme wirtschaftspolitische Implikationen, wenn etwa zu den hohen Inflationsraten noch steigende Arbeitslosigkeit dazu kommen sollte.

Die Inflation wird zumeist negativ diskutiert, aber gibt es auch positive Seiten? Für Schuldner ist das ja nicht ganz verkehrt.
Ja, wenn jemand ein hohes negatives Nettovermögen hat, also Schulden oder Verpflichtungen, profitiert er oder sie durch die hohe Inflation und die gleichzeitig niedrigen Zinsen. Aber wenn ein Privatschuldner die positiven und negativen Effekte der hohen Inflation abwägt, überwiegen trotzdem die negativen. Wenn, dann ist eine so hohe Inflation für verschuldete Staaten, Gemeinden oder Unternehmen positiv, da sie ihren realen Schuldenberg verringern können.

Jochen Güntner ist Volkswirtschafts-Professor an der Johannes Kepler-Uni in Linz. | Foto: Privat
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… weil ein verschuldeter Arbeitnehmer ja nicht jedes Jahr acht oder zehn Prozent mehr verdient. Würde der Zuwachs beim Einkommen so hoch sein wie die Inflation, dann könnte die Person ihre Schulden ja schneller abbauen.
Ja, ganz genau. Das ist ein wesentlicher Nachteil, dieser sprunghaft steigenden Inflationsraten. Die österreichische Volkswirtschaft ist gar nicht auf so hohe Inflationsraten eingestellt. Das betrifft die Kollektivvertragsverhandlungen – da ist man immer gut gefahren, wenn die Preissteigerungen planbar waren. Genau diese Planbarkeit scheint nun ins Wanken zu geraten. Würde man sich aber über einen längeren Zeitraum an hohen Inflationsraten gewöhnen und dementsprechend den Verhandlungsprozess daran adaptieren, dann könnte man sagen: Grundsätzlich ist es egal, ob man zehn Prozent Inflation und zehn Prozent Nominallohnsteigerung hat oder ein Prozent Inflation und ein Prozent Lohnsteigerung. Aber das betrifft natürlich nur diejenigen, die überhaupt in Arbeit sind. Besonders kritisch sind diese sprunghaften Preisanstiege jedoch für die unteren Einkommensschichten, die keine oder wenige Ersparnisse haben. Diese Personen haben oft nur von außen festgelegte Summen, also etwa Sozialleistungen, zur Verfügung. 

Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, Gabriel Felbermayr, hat zuletzt gefordert, die Sozialleistungen an die Inflation anzupassen, damit genau diese Personengruppe, die es derzeit hart trifft, entlastet wird. Fänden Sie das auch sinnvoll?
Es erscheint eigentlich nur fair, wenn es eine Art der Indexierung gibt. Wenn man das bei Lohnverhandlungen macht, dann sollte man das auch in diesem Bereich in Betracht ziehen.

Womit rechnen Sie in den nächsten Monaten – müssen wir uns mittelfristig auf höhere Inflationsraten einstellen?
Manche meiner Kollegen schienen zuletzt in Interviews nicht so pessimistisch zu sein. Ich bin da ehrlich gesagt ein bisschen skeptischer. Wenn man sich die Inflationsdaten vom April im Detail ansieht da kann einem schon mulmig werden. In den Daten sind drei Indizes, beispielsweise der Erzeugerpreisindex, drinnen, die alle über 20 Prozent liegen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Teil der Preisanstiege auf Großhandelsbasis noch gar nicht an die Verbraucher weitergegeben wurde. Somit machen manche Unternehmen derzeit niedrigere Gewinne oder gar Verluste, weil sie das nicht weitergeben. Meine Befürchtung ist schon, dass wir die zehn Prozent bei der Inflation in diesem Jahr noch reißen werden. Danach könnte jedoch eine gewisse Beruhigung eintreten.

Das klingt jetzt nicht so richtig positiv …
… ja, aber es gibt einen Aspekt, der etwas positiver ist. Die Energiepreise kamen nach Corona von einem sehr niedrigen Niveau und haben sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs nur mehr seitwärts bewegt. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Ölembargo gegen Russland nun auswirken wird, aber es gibt Anzeichen dafür, dass beim aktuellen Preis die Erwartungen eines Embargos schon eingepreist sind. Die Hoffnung ist somit, dass sich der Preistreiber Energie in der zweiten Jahreshälfte weniger stark auf die Inflationsrate auswirkt.

Die Inflation könnte die 10-Prozent-Marke noch überspringen meint der Linzer Volkswirt Jochen Güntner.  | Foto: panthermedia/goos_Lar
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