Hunger, Schmuggel und Kriegsgefangenschaft - Mittelburgenland vor 100 Jahren
Historiker Oswald Gruber aus Lutzmannsburg zeichnet das Leben während des Ersten Weltkrieges anhand seiner eigenen Familiengeschichte und Zeitzeugenberichten nach.
BEZIRK OBERPULLENDORF (kv). Aus den Postkarten des Großvaters Franz Stirling mit seinen Schwestern Maria und Barbara gewann der Historiker und ehemalige Geschichte- und Geografielehrer am Gymnasium Oberpullendorf viele Erkenntnisse über das Leben von vor 100 Jahren.
Kriegsgefangenschaft
Im Alter von 22 Jahren wurde Franz Stirling aus Neckenmarkt (Sopronnyék) am 27. Juli 1914 in das 76-er Regiment nach Ödenburg einberufen. An der Karpatenfront kam er mit seiner Einheit unter Beschuss und landete bereits im Kriegsgefangenenlager nach Taschkent und Osch in Turkesztan.
"Es scheint heute wie ein Wunder, dass mein Großvater 1918 gesund in sein Heimatdorf Neckenmarkt heimkehrte." (Oswald Gruber)
Zeitgleich entstand in seiner Heimat das k. u. k. Kriegsgefangenenlager Sopronnyék am heutigen "Galgenriegel". Es war eines der größten Lager der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Es hatte einen eigenen Eisenbahnanschluss sowie ein Elektrizitäts- und Wasserwerk. 1916 standen über 70 Großbaracken zur Verfügung, am Kriegsende 1918 bestand das Lager immer noch aus 500 Gebäuden. Die rund 40.000 Kriegsgefangenen stammten Großteils aus Bosnien-Herzegowina, Italien oder der Ukraine. Bis zu 10 Kinder kamen pro Tag dort auf die Welt. Rund 400 Gefangene überlebten das Lager nicht.
Barbara Stirling verliebte sich in Gézá Vanek, einem Reserveleutnant im Kriegsgefangenenlager.
Hunger hält Einzug
Der Erste Weltkrieg forderte auch im Mittelburgenland seinen Tribut. "Das allgemeine Kriegsübel, die Teuerung, die jedem Krieg folgt, blieb auch bei diesem nicht aus. 1 q (=Zentner/100 kg) Weizen kostet 40 Kronen, ebensoviel kosteten das Korn und die Gerste
", schreibt Pfarrer Karl Fiedler der evangelischen Gemeinde A. C. in Lutzmannsburg im Jahr 1915.
1916 berichtete der Pfarrer von einem schweren Unwetter: "Am 27. Juni zog ein strenges Gewitter mit Hagel verbunden über unsern Hotter und vernichtete in unseren Weingärten noch das wenige, das die Peronospora verschonte.
"
Durch den Mangel an Rohstoffen und Lebensmitteln kam es auch in Westungarn zum Schmuggel von Mehl, Brot, Zucker, Fleisch und Kartoffeln. 1917 kam es zu Lebensmittelrationierungen. 1918 kam es zu Hungerdemonstrationen.
Schreckensjahr 1918
Das Jahr 1918 steht nicht nur für das Ende des Ersten Weltkrieges, sondern auch für das Ende der Österreichischen Monarchie. Trotzdem der Waffenstillstand am Papier feststand, ging der Schrecken für die burgenländische Bevölkerung weiter.
Karl Weber schreibt in „Erinnerungen eines Grenzlandbauern im 20. Jahrhundert“ über die damalige Situation: "Nach Beendigung der Kämpfe an den Fronten kamen die Soldaten meist mit voller Waffenrüstung in die Heimat und machten die Gegend unsicher. Raub, Mord und Plünderungen waren an der Tagesordnung. Auch in unserer Gemeinde - Locsmánd (Lutzmannsburg) - kam es öfter vor, daß gewissenlose Verbrecher in die Wohnungen eindrangen, raubten und plünderten und wenn sich jemand wehrte, gebrauchten sie auch ihre Waffen.“
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