Sprachdebatte in Kindergärten
Expertin rät: Vielfalt als Chance sehen

Nina Redlich, Expertin für Elementarpädagogik | Foto: privat
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REUTTE (rei). Kinder mit nicht deutscher Muttersprache in der Überzahl: Wie man damit umgeht, wird derzeit heiß diskutiert.

Mit einer klaren Botschaft an der Eingangstüre zum Kindergarten möchte man in Reutte der deutschen Sprache zu ihrem Recht verhelfen. Denn die Mehrheit der Kindergartenkinder hat eine andere Muttersprache als die deutsche. Das Sprachwirrwarr ist groß. "Ab hier wird Deutsch gesprochen". Es ist unmissverständlich, was man sich in den Reuttener Kindergärten von den Burschen und Mädchen erwartet, ebenso auch von den Eltern oder anderen Angehörigen, wenn sie die Kinder in eine der Betreuungseinrichtungen der Marktgemeinde bringen.

Diskussion losgetreten

Seit die Schilder hängen, ist die Diskussion breit losgetreten. "Richtig so", finden die einen, für überzogen, gar kontraproduktiv, halten es andere. Zu letzterer Gruppe gehört Nina Redlich. Sie ist Koordinatorin im Fachbereich "Elementarpädagogik" bei der GemNova, einem Dienstleistungsunternehmen für Tiroler Gemeinden. Ein ressourcenorientierter Umgang mit der Vielsprachigkeit in Kindergärten und Schulen ist eines ihrer Spezialgebiete. 
Nina Redlich steht Kindergartenerhaltern und -teams beratend zur Seite, wenn Hilfe benötigt wird. So auch zu interkulturellen Fragestellungen bzw. zu möglichen Lösungsansätzen im Umgang mit sprachlicher Vielfalt.

Schild ist wenig geeignet

Ein Schild, "ab hier wird Deutsch gesprochen" findet sich nicht unter jenen Maßnahmen, die sie für geeignet hält, um Kulturen und Sprachzugehörigkeiten miteinander zu verbinden.
Dass eine gemeinsame Sprache verbindet, sei unbestritten. Eine andere Sprache, und damit auch eine andere Kultur, auszusperren, ist nach Ansicht von Nina Redlich aber nicht im Sinne der Sprachentwicklung sowie der sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern.
"Wir alle müssen uns in unserer Gesellschaft mit dieser Vielfalt an Sprachen und Kulturen auseinandersetzen. Es ist wichtig, sich auf Neues einzulassen", sagt Redlich. Sie rät, nicht nur auf den gemeinsamen Nenner zu schauen, sondern insbesondere den Blick auf Unterschiedlichkeiten zu richten.
Für die Arbeit der Pädagog/innen bedeute dies, nicht die Gruppe, sondern jedes einzelne Kind in seiner individuellen Entwicklung im Auge zu haben: "Jedes Kind bringt seine eigene Identität mit." Dem müsse man  Rechnung tragen.

Vielfalt als Chance

In der großen Vielfalt an unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, wie man sie in den Reuttener Kindergärten und Schulen vorfindet, sieht die Spezialistin in Sachen Elementarpädagogik eine große Chance: "Es braucht ja niemand Angst zu haben, dass unsere eigene Sprache verschwindet. Vielmehr erwerben einsprachige Kinder im Umgang mit anderen Sprachen und Kulturen grundlegende soziale Fähigkeiten. Die Mehrsprachigkeit in den Kindergärten und Schulen ist da von Vorteil!" Umgekehrt profitieren auch die türkischen Kinder in allen Entwicklungsbereichen enorm von der Quersprachigkeit, sofern sie auch beide Sprachen freibestimmt verwenden können.
Die Schilder  "ab hier wird Deutsch gesprochen" hängen nun aber in den Reuttener Kindergärten. "Brennpunkt-Kindergärten" mit einem Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund von weit über 50 Prozent, wie in Reutte, gibt es natürlich auch andernorts. Dass dort dem Beispiel von Reutte gefolgt wird, ist denkbar. Nina Redlich hofft, dass das aber nicht passieren wird, und auch in Reutte die Schilder wieder abgenommen werden.
Basierend auf heutigem Wissen müsse man in der pädagogischen Arbeit neue Wege gehen. Nachdem eine günstige Aufteilung von ein- und mehrsprachigen Kindern oft nicht sicherzustellen ist, wie Redlich weiß, sei es vor allem notwendig, dass Pädago/innen Zeit für individuelle sprachliche Begleitung von Kindern finden. Dies gelingt, wenn Tagesstrukturen verändert werden und sich Bildungsziele und pädagogische Tätigkeiten am einzelnen Kind orientieren.

Eltern "ins Boot holen"

Von besonderer Bedeutung ist für sie, dass man die Eltern "ins Boot holt". Sowohl jene, die fremde Wurzeln haben, als auch die Einheimischen. "Es gilt den Benefit, der mit der Mehrsprachigkeit von Schul- und Kindergartengruppen verbunden ist, darzustellen." Das gelinge über Elternabende, Beziehungsräume, Elternfeste etc..
Eine grundsätzliche Ablehnung fremder Sprachen und Kulturen in Spiel-, Gruppen- und Klassenräumen hält Nina Redlich für wenig sinnvoll: "Es geht hier um Menschen! Da darf man nicht in 'Schubladen' denken."
Hinweisschilder, wie jene in Reutte, seien kontraproduktiv: "So baut man nur Mauern auf."

Zur Sache

Nina Redlich, Spezialistin im Fachbereich Elementarpädagogik, kann dem Wunsch so manchen Elternteils, "wäre mein Kind doch nur mit Einheimischen zusammen", nicht viel abgewinnen. Sie ortet gar Nachteile für all jene Kinder, die in den kleinen Gemeinden oft nur mit Einsprachigkeit zu tun haben. Denn die Realität in unserer Gesellschaft sehe ja völlig anders aus. Ab der Mittelschule, dem Gymnasium oder spätestens  im Berufsalltag sei man mit anderen Kulturen konfrontiert. "Das ist die Realität!“ In einem frühen Umgang mit dem "Anderen" sieht sie daher Vorteile. Redlich: "In Kindergärten, in denen es überhaupt keine mehrsprachigen Kinder gibt, muss man sich dennoch überlegen, wie man Kinder für ein soziales Miteinander in einer vielfältigen, mehrsprachigen Gesellschaft sensibilisiert. Passiert das nicht, denken die Kinder, 'wir sind alle gleich!' Aber dem ist nicht so."

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Nina Redlich, Expertin für Elementarpädagogik | Foto: privat
Über diesen Hinweis wird intensiv diskutiert. | Foto: Reichel
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