Er folgt einer alten Tradition
Peter Becker aus Antiesenhofen ist seit kurzem auf der Walz
Der gelernte Schlosser Peter Becker aus Antiesenhofen hat sich für eine mehr als 800 Jahre alte Tradition entschieden: Seit wenigen Tagen ist er auf der Walz. Viele Monate lang wird er nun auf Gesellenwanderung sein und dabei einige Regeln befolgen, wie uns seine Mutter Catrine Becker berichtet.
Hallo Frau Becker. Dass ich dieses Interview mit Ihnen und nicht mit Ihrem Sohn führe, hat einen guten Grund, richtig?
Catrine Becker: Ja das stimmt. Peter ist seit vergangenen Freitag auf der Walz und darf dabei kein Handy mit haben. In den ersten drei Monaten gilt auch komplettes Kontaktverbot zur Familie. Darum kann ich auch nicht sagen, wo er jetzt ist.
Können Sie mir erklären, was man sich unter der Walz genau vorzustellen hat?
Diese alte Tradition gibt es seit mehr als 800 Jahren. Besonders unter den Zimmerern wurde diese Wanderschaft über die Jahrhunderte hinweg aufrecht erhalten. In Deutschland in höherem Ausmaß als in Österreich. Die Gesellen können entweder als Freireisende, also auf eigene Faust, unterwegs sein, oder als Mitglied einer Wandergesellenvereinigung, auch Schacht bezeichnet.
Wofür hat sich Peter entschieden?
Für die Gesellschaft Freie Vogtländer Deutschlands. Dadurch hat er einige Vorteile, muss aber auch einige Regeln befolgen.
Fangen wir mit den Regeln an...
Seine Wanderung wird drei Jahre und einen Tag lang dauern. Grundsätzlich dürfen nur Gesellen auf die Walz geben, die völlig ungebunden sind, also keine Kinder und auch keine Schulden haben. Sie sollen ihren Kopf völlig frei haben. Da die Walz nur dem Erwerb von Wissen und nicht dem Erwerb von Profit dient, musste er mit nur fünf Euro in der Tasche losziehen und darf nur mit fünf Euro wieder heimkommen. Weiters muss er sich im deutschsprachigen Raum bewegen, darf sich nicht länger als drei Monate an einem Ort aufhalten und darf für seinen Transport und Nächtigungen nichts bezahlen. Außerdem darf er kein Handy mit sich führen und sich seinem Heimatort bis 50 Kilometer Luftlinie nicht nähern. Und in den ersten drei Monaten hat er völliges Kontaktverbot mit der Familie.
Das sind ja ganz schön strenge Regeln. Und was sind die Vorteile?
Zum Beispiel, dass er in der ersten Zeit von einem Altgesellen begleitet wird, der ihn in die Bräuche und Kommunikation einführt. Die Wandergesellen kommunizieren mit verschiedenen Zeichen, zum Beispiel auf Laternenmasten oder auf Autobahntafeln. Anhand von bestimmten Kürzeln weiß man, wer aus seinem Schacht bereits hier war. Es ist wie ein Leben in einer Parallelwelt. Ein weiterer Vorteil ist, dass viele Mitglieder, die früher selber auf der Walz waren, den Gesellen Quartier geben. Natürlich gibt es auch viele Quartiergeber, die selber nicht auf der Walz waren. Wer einen Wandergesellen bei sich aufnimmt, muss auch nie fürchten, dass sich dieser schlecht benimmt. Denn da gibt es auch eine strenge Regel: Benimm dich immer so, dass der nächste Wandergeselle auch noch gerne aufgenommen wird.
Gibt es auch Rituale, welche die Wandergesellen befolgen müssen?
Ja. Schon beim Abschied. Zum einen musste Peter ein Loch graben und darin eine Flasche Schnaps sowie eine Flasche, in welcher sich ein Zettel mit einem guten Wunsch befindet, vergraben. Wenn er heimkommt, wird er die Flaschen wieder ausgraben. Zudem wurde er auf seine Versprechen festgenagelt, im wahrsten Sinne des Worte, mit einem Nagel durch das Ohr. In dieses Loch kommt der für Wandergesellen typische Ohrring hinein. Sollte er sich nicht an die Regeln halten, wird der Ohrring heraus gerissen und er als "Schlitzohr" erkennbar. Weiters haben die anderen Wandergesellen ihn und sein Gepäck – das traditionell geschnürt wurde – zum Abschied auf die Ortstafel gehoben. Nachdem er herunter gesprungen war, durfte er sich nicht mehr umdrehen und zog mit den anderen Gesellen davon.
Sie sprachen von anderen Gesellen. Waren bei der Abschiedsfeier mehrere Wandergesellen vor Ort?
Ja, das war wirklich sehr spannend. Die Wandergesellen haben ja kein Handy, und trotzdem tauchten am Tag der Feier aus allen Himmelsrichtungen andere Wandergesellen bei uns auf. Irgendwie erfahren sie davon und kommen herbei. Zu uns kamen viele Zimmerer und Tischler, welche an der schwarzen Kleidung erkennbar sind. Auch eine Klavierbauerein und ein Maler, dieser in weiß gekleidet, waren dabei. Peter bekam als Schlosser blaues Gewand. Auch Peters früherer Chef, Franz Einfinger aus Tumeltsham, war bei der Abschiedsfeier dabei. Da Peters Musikverein aus Eggerding leider verhindert war, kam stellvertretend eine Delegation aus Antiesenhofen, die ihm das Ständchen "Muss i denn zum Städtele hinaus" spielten.
Das klingt wirklich alles sehr verrückt. Wie ist Peter auf diese Idee gekommen?
Er war ein dreiviertel Jahr lang mit den Grünhelmen bei einem Hilfseinsatz in Afrika und hatte dort gemeinsam mit einem Kollegen die Bauleitung für eine Schule und eine Krankenstation über. Unter den Zimmerern waren einige, die früher selber auf Wanderschaft waren. So ist er auf diese Idee gekommen.
Waren Sie von dieser Idee begeistert?
Begeistert ist wohl übertrieben. Aber ich dachte mir, wenn er das machen will, dann jetzt. Als Eltern muss man seine Kinder loslassen und sie ihren Weg gehen lassen. Ich bin mir sicher, dass er einen guten Weg finden wird. Ich unterstütze alle meine Kinder, ich habe vier, so gut ich kann bei allem, was sie machen wollen. Es ist ja ihr Leben und nicht meines.






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