Baukultur & Stadtentwicklung
Gemeinnütziger Wohnbau aktuell
5 Thesen zum gemeinnützigen Wohnbau in (Nieder-)Österreich. Vieles könnte zukunftsfähiger und gemeinnütziger geplant und gebaut werden im Sinne von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit.
1. Monopolstellung
Nach eigener Recherche gab es mit Juli 2020 auf dem Gemeindegebiet von Scheibbs zirka 50 sofort verfügbare Wohnungen unterschiedlicher Größen. Dabei sind neben ein paar privaten Vermietern verschiedene gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften in der 4000-Einwohner-Gemeinde angesiedelt. Davon werden geschätzt 80% von der Alpenland abgedeckt.
2. Fehlinterpretation
Die Begriffsbedeutungen von „gemeinnützig“ und „Genossenschaft“ dürfen bei den quasi privatwirtschaftlich agierenden Bauträgergesellschaften hinterfragt werden. Offenbar sehen sie sich eher ihren „Genoss*innen“ oder Gesellschafter*innen bzw. Vertreter*innen aus der Kommunalpolitik oder Vorstandsmitgliedern verpflichtet. Der Eindruck wäre ein anderer, würden sich die Gemeinnützigen mehr für bessere Aufenthaltsflächen im Freien kümmern anstatt eine Ausgleichsabgabe zu zahlen um sich den gesetzlich vorgeschriebenen Spielplatz zu ersparen. Es ist auch nicht gemeinnützig, wenn jeder Quadratmeter, jede Bebauungshöhe vor allem für maximalen monetären Profit ausgenutzt wird.
3. niedrige Preise durch mehr Angebot?
Entgegen der häufigen Behauptung, ein größeres Wohnungsangebot würde die Mietpreise senken, ist genau das Gegenteil der Fall: die vielen schein-ökologisch neu gebauten Vielparteien-Wohnhäuser treiben die Preise in die Höhe. Die Verwaltung, Genossenschafter*innen, Golden Handshakes, Abfertigungen, Vermittlungshonorare oder Posten für Politiker*innen usw. müssen irgendwie bezahlt werden. Private Vermieter*innen orientieren sich an den vorgelebten „Marktpreisen“ der Genossenschaften. In der Konsequenz steigen die Mietpreise in der gesamten Gemeinde. „Gemeinnützige“ lassen nicht gemietete Wohnungen eher leer stehen, als sie günstiger zu vermieten.
4. Nachverdichtung vs. Bodenverbrauch
Es wird neuerlich trendgemäß argumentiert, dass verdichtete Wohnbauten verhältnismäßig weniger Land verbrauchen. Das kann nur bedingt gelten, denn die angesprochenen Fälle von „genossenschaftlichen“ Wohnbauten opfern Wohnqualität und nachbarschaftliche Beziehungen für die Maximierung von Wohnfläche. Es gibt bereits viele geglückte Beispiele von zeitgenössischen Gemeinschaftswohnbauten. Bei den zeitgenössischen „Gemeinnützigen“ in Österreich fehlt aber in vielen Fällen jegliches Nachbarschaftsgefühl. Dort wird ungeachtet der Blickbeziehungen auf die Effizienz der Ausnutzung von vermietbaren Quadratmetern und maximaler Gebäudehöhe geplant. Damit erfolgt eine Irreführung der möglichen Mieter und eine Verballhornung des Sinns von verdichteter Bebauung zur Verhinderung von Bodenverbrauch.
5. Neubau trotz Leerständen
Wohnraumschaffung trotz sinkender Einwohnerzahl
„Was [bei der Prognose der Bevölkerungsentwicklung] auffällt, ist die eher negative Entwicklung, die wir der Stadtgemeinde Scheibbs voraussagen können, wenn so weiter gemacht wird wie bisher. So wird die Bevölkerungszahl im schlechtesten Fall von 4.196 Einwohner*innen im Jahr 2018 (=Bezugsjahr) auf 3.878 Personen [im Jahr 2035] zurückgehen, was einem Verlust von 540 Einwohner*innen entspricht.“ (Scheibbs im Zentrum, Studienprojekt 2020)
Die Stadtgemeinde Scheibbs ist wie alle Landgemeinden von Bevölkerungsrückgang betroffen. Nun könnte versucht werden, die guten Qualitäten dieser Gemeinde zu erkennen und darauf aufbauend zukunftsfähige Projekte zu bevorzugen. Der klassische Weg der österreichischen Wohnbaugenossenschaften wird das nicht bieten können, wie es scheint. Anstatt sich um bestehende und leerstehende Bausubstanz zu kümmern wird bevorzugt auf ebenen und fruchtbaren Ackerflächen gebaut. Das ist natürlich für den Bauprozess günstiger, dafür ist es aber alles andere als ökologisch (oder sozial) nachhaltig. Für die Allgemeinheit und künftige Generationen ist es in Summe teurer.
Plädoyer für verantwortungsvollen Umgang
Die Diskussionen über den unverantwortlichen Bodenverbrauch sowie über leistbaren Wohnraum werden in den nächsten Jahren noch lauter werden. Denn Wachstum hat Grenzen, die Landwirtschaftsflächen in Österreich schrumpfen rascher als sonstwo. Es darf auch nicht so weitergehen, dass jede Generation ihren Nachfahren einen Haufen Sondermüll aus lauter Verbundbaustoffen hinterlässt.
Die Kompetenz zum verantwortungsvollen Umgang bei Baukultur und Bodenverbrauch liegt bei vielen Akteuren. Die Gesetzgeber (Land NÖ), allen voran, haben die Novelle des Raumordnungsgesetzes (Oktober 2020) als "Bodenschutzpaket" ausgelegt. Die Baubehörde erster Instanz (Bürgermeister*innen) müssen das Raumordnungsgesetz (ROG) unter Zuhilfenahme ihrer Bauämter oder auch Stadtbaubeiräte und Sachverständige in diesem Sinne in allen Bewilligungsverfahren und in den Bebauungsplanerstellungen umsetzen. Die Bauherr*innen (Wohnbauträger und -genossenschaften wie auch private Häuslbauer) sollten nicht nur den gesetzlichen Rahmen ausreizen, sondern auch ethisch und bewusst handeln bei der Planung und Errichtung. Denn letztendlich heißt es immer wieder: "Der Konsument entscheidet."
"Der Konsument" wiederum sagt aber landläufig: "Solange es rechtlich möglich ist..."
Natürlich will niemand mehr Einschränkungen der jeweils eigenen Handlungsfähigkeit haben. Aber Rahmenbedingungen im Sinne des Gemeinwohls stellen erfahrungsgemäß einen Leitfaden für die Gestaltung von Lebensraum dar. Sie zu kreativeren Lösungen, die nicht immer teurer sein müssen.
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Wir müssen von gemeinnützigen Wohn- und Baugenossenschaften mehr erwarten dürfen als...
...Holzfassaden auf Polystyrol-Dämmung im obersten Geschoss (Wohlfühlcharakter? Ökologischer Gedanke?)
...Wohnzellen dicht an dicht mit gegenseitigem Blick in die Wohnräume
Zukunftsfähige Wohnbauten...
...verwenden wirklich ökologische Baumaterialien, vermeiden Verbundstoffe so gut es geht
...schauen auf eine gute Ausrichtung und Abstimmung der Einzelwohnungen aufeinander
...sehen qualitätsvolle Aufenthaltsbereiche (Spielplätze, Aussichtsplätze, Schattenbäume,...) vor
...bevorzugen Fuß- und Radwegeverbindungen (mit den Ortskernen) vor KfZ-Verehr
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Weiterführende Quellen:
Forschungs- und Studienprojekt 'Scheibbs im Zentrum'
in PDF-Langfassung mit Analysen und Perspektiven der Stadtentwicklung
(https://www.unet.univie.ac.at/~dominike95/Scheibbs/Bev%C3%B6lkerung_und_Prognosen.html
mit animierten Diagrammen zum besseren Verständnis [leider nicht mehr online seit Frühjahr 2021])
(Gesammelte Forschungs- und Studienprojekte zur Stadtentwicklung in Scheibbs
seit 2018 [muss erst wieder eingearbeitet werden in die neue Website der Stadtgemeinde])
NÖ Raumordnungsgesetz
siehe allem voran §1 Begriffe und Leitziele, Abs.1, Punkt 1
https://kommunal.at/die-neue-niederoesterreichische-raumordnung
Erläuterungen zur NÖ Raumordnungs-Novelle
https://kommunal.at/wie-man-den-flaechenvielfrass-auf-diaet-setzt
Beitrag über Bodenverbrauch und Auswege
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