Gewalt in der Familie
Unterstützen statt wegsehen
- Für betroffene Frauen und Männer gibt es Hilfe.
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Bei Gewalt in der Familie kann man sich bei verschiedensten Institutionen in St. Pölten Hilfe holen.
ST. PÖLTEN. Das blaue Auge wird rasch mit Make-up überdeckt oder lange T-Shirts kaschieren die Prellungen an den Armen. Solche Szenarien sind leider keine Seltenheit, wo sich betroffene Frauen Hilfe suchen können, haben die Bezirksblätter nachgefragt. Jedoch finden auch Männer Beratungsstellen.
Hilfe suchen und finden
Von Gewalt betroffene Frauen vertrauen sich als erstes oft Vertrauenspersonen aus der eigenen Familien oder aus dem Freundes- und Bekanntenkreis an. Um diese Personen dabei zu unterstützen, den betroffenen Frauen möglichst rasch entsprechende Hilfe zukommen zulassen, haben der Verein Wendepunkt und das Land Niederösterreich gemeinsam einen umfassenden Leitfaden ausgearbeitet. Elisabeth Cinatl, Sprecherin der NÖ Frauenberatungsstellen erklärt dazu: „Es wird genau erklärt, wer als Ansprechstelle in schwierigen Situationen zur Verfügung steht und erreichbar ist. Denn nach wie vor ist häusliche Gewalt stark mit Scham behaftet. Darüber zu reden, dass eine Frau von Gewalt betroffen ist, ist schon ein erster Schritt aus der Gewaltspirale.“ Der Leitfaden sowie Kontakte zu den Frauenberatungsstellen, Frauenhäusern und zum Gewaltschutzzentrum in Niederösterreich findet man auf der Website des Landes Niederösterreich.
Frauenhaus St. Pölten hilft
Auch wirkt sich die Pandemie auf das Frauenhaus in St. Pölten aus. So erklärt Leiterin Olinda Albertoni: "Nach dem 1. Lockdown sind weniger Frauen eingezogen, allerdings gab es viele Anfragen – der Entschluss wegzugehen fällt offensichtlich aufgrund der vielen Unsicherheiten zur finanziellen Situation, Arbeitsplatz, Schule, etc. schwerer. Viele Frauen berichten von extremer Kontrolle, die die Kontaktaufnahme zu Hilfseinrichtungen verhindert." Weiters sagt sie: "Außerdem besteht, die aus unserer Sicht unbegründete Angst, eines höheren Ansteckungsrisikos im Frauenhaus. Definitiv hatten wir erst eine einzige erkrankte Frau im Haus, konnten sie gut isolieren und gleichzeitig maximal betreuen. Nach wie vor achten wir streng auf die Hygienevorschriften. Gemeinsames Kochen und Essen ist noch nicht möglich." Doch nach den Lockdowns veränderte sich die Situation. "Jeweils nach den Lockdowns kam es wieder zu vermehrten Einzügen ins Frauenhaus. Derzeit gibt es nur ein einziges freies Zimmer, aber für Notfälle haben ist immer Platz.", so Albertoni.
Schutz suchen
Aus welchen Gründen suchen Frauen hier Schutz? "Frauen und Kinder entfliehen nach wie vor oft physischer und psychischer Gewalt, doch zunehmend sehen wir sie auch mit Stalking, Cyberstalking oder Hass im Netz konfrontiert.", so die Obfrau. Dementsprechend sind auch die Expertinnen vor Ort geschult. "Dies verlangt hohes Fachwissen der Frauenhausmitarbeiterinnen, das ständiger Erweiterung durch Fortbildungen und eines holistischen Blickes auf Gewalt im familiären Nahbereich bedarf."
Anstieg an Kindern
"In den letzten Jahren ist die Anzahl der im Frauenhaus lebenden Kinder stark gestiegen. Für sie sind entsprechende Angebote wie Therapien, Lernmaterialien bzw. –hilfen und Freizeitaktivitäten (seit Covid in noch viel größerem Ausmaß!) nötig.", so Albertoni. "Mehrmals im Jahr haben wir teils hochaggressive Gefährder vor dem Haus. Doch bei Betätigung des Notalarms ist die Polizei der nächstgelegenen Inspektion Traisenpark in 3 Minuten vor Ort. Notrufe aus dem Frauenhaus werden immer priorisiert und wir sind dafür sehr dankbar."
- Olinda Albertoni, Leiterin des Frauenhaus.
- Foto: Georg Hofer
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Rat für Betroffene
"Betroffene Frauen sollten möglichst unmittelbar die Gefahrenzone verlassen und an von einem sicheren Ort aus Hilfe rufen. In einer akuten Gefährdungssituation ist das immer der Polizeinotruf 133. Wenn keine unmittelbare Gefahr besteht ist der Frauennotruf 0800 222 555, das NÖ Frauentelefon 0800 800 810 oder die Nummer des nächstgelegenen Frauenhauses – in St. Pölten das Haus der Frau 02742 466 514 zu wählen. Wichtig ist es, betroffene Frauen zu ermutigen, sich Hilfe zu holen und ihnen Hilfsangebote zukommen zu lassen. Wer Gewalt miterlebt, sollte nicht wegschauen, sondern Hilfe rufen.", erklärt sie.
Caritas Männerberatung unterstützt
Doch nicht nur Frauen können sich Hilfe holen und beraten lassen, auch für die Männer bietet die Caritas St. Pölten eine spezielle Beratung an. "Männerberatung heißt: Männer beraten Männer - mit einer männerspezifischen Sichtweise - in allen Lebenslagen. Die Männer, die ich aktuell berate, sind entweder in schwierigen Partnerschaften oder Berufen, sind getrennt lebende Väter, die Fragen zu Besuchsrecht, Obsorge oder Alimenten haben, oder haben Gewalt ausgeübt oder angedroht, das sind unsere Schwerpunkte. Ein guter Zeitpunkt um zu kommen ist, wenn ich über ein Thema ständig nachdenke und nicht weiterkomme, oder wenn ich in der Beziehung viele giftige Streits habe. Und ich will, dass ein Mann sofort kommt, wenn er die Partnerin oder den Partner schubst, festhält, schüttelt oder auch nur droht, dann ist es brandgefährlich und superwichtig, dass der Mann damit aufhört und mit Profis darüber spricht.", erklärt Erwin Hayden-Hohmann. "Bei uns kann sich ein Mann anonym und kostenlos beraten lassen und wir ersuchen um einen freiwilligen Kostenbeitrag, er kann einmalig kommen oder auch regelmäßig über einen längeren Zeitraum, oft kommt ein Mann für circa ein halbes Jahr zu uns." Aufgrund von Corona sei jedoch kein Anstieg an Beratungen zu verzeichnen. "Das ist schade und ein Zeichen für die Männlichkeitsvorstellungen, die uns so oft einschränken. Das Allein-zurechtkommen-Müssen ist ein so mächtiges Bild in den Köpfen der meisten Männer, das macht es vielen Männern schwer, mit anderen über schwierige Sachen im Leben zu reden. Und in einer Pandemie verlangen die meisten Männer von sich noch mehr, dass sie Fels sein sollen und gleichzeitig sind innen drin Unsicherheit, Ungewissheit und Sorgen. Das ist sehr anstrengend, wenn bei mir Drinnen und Draußen so unterschiedlich sind, da kann Reden - mit einem Freund, mit der Partnerin/dem Partner bei der Entlastung helfen."
Androhung von Gewalt
Wenn ein Mann kurz davor ist Gewalt auszuüben, helfen die Experten weiter. "Wir hören zu, wir fragen nach, wir reden, was der konkrete Mann zuhause in heiklen Situationen tun kann. Wir finden gemeinsam heraus, wann er wütend wird, wie er sich in einem Streit verhält und suchen dann nach seinem individuellen Weg, wie er ohne Gewalt oder Drohungen mit Partner*in oder Kindern leben kann.", so Hayden-Hohmann. "Wir arbeiten mit dem Mann in einem 'Anti-Gewalt-Programm' an ganz konkreten Schritten für seine Konflikte zuhause, an Alarmsignalen und Ausstiegs-Szenarien, dafür nehmen wir uns viel Zeit. Die Männern lernen, dass sie die Verantwortung für die Gewalt haben und sie die einzigen sind, die damit aufhören können. Und ein gewalttätiger Mann hört auf mit seiner Gewalt, wenn er anfängt, ehrlich zu sich zu sein, seine eigenen Grenzen zu bemerken und zu schützen, denn dann merkt er auch die Grenzen der anderen, mit denen er zusammenlebt, und er findet neue und gewaltfrie Möglichkeiten, zB seine Wünsche zu äußern und für sich einzutreten."
Erhöhte Nachfrage
Die angebotenen Gewalttrainings werden sehr gut angenommen. So erklärt er: "Es kommen mehr Männer, die konkret danach fragen: Wie kann ich Partner sein oder Vater sein und nicht mehr drohen oder schlagen? Und viele Männer bekommen ein Anti-Gewalt-Training als Auflage von Gericht, von der Führerscheinbehörde und kommen am Anfang nur, weil sie müssen, und sehen dann recht schnell, dass sie davon profitieren können. Das sind wir wieder bei der Nachfrage. Wir wollen hier auch die Partner ermutigen, dass sie von dem Mann, vor dem sie sich manchmal fürchten, verlangen, dass er zur Männerberatung geht. Warum verlangen wir es nicht von den Männern? Von denen verlangen wir es auch. Und wir sehen jeden Tag, dass viele Männer sich schwer tun, etwas für sich zu tun, aber oft gerne kommen und sich dazu 'überwinden', wenn ein Mensch, der dem Mann wichtig ist, ihn dazu auffordert. Und das ist der größte Schritt für viele: ich mache nicht allein weiter, ich gehe zur Beratung, ich rede mit anderen Menschen über meine Sorgen. Und dafür sind wir bei der Männerberatung da und hören zu und unterstützen."
Beratungsstellen
Caritas Männerberatung: 0676/83 844 7376 oder auf der Website der Caritas Männerberatung
Frauennotruf: 0800/222 555
NÖ Frauentelefon: 0800/800 810
Frauenhaus: 02742/466 514
Wegweisungen im Jahr 2021
Die Bezirksblätter fragten beim Bezirkspolizeikommando St. Pölten – Land nach, wie viele Betretungs- und Annäherungsverbote heuer und vergangenes Jahrausgesprochen worden sind. 2021 waren es im Vergleichszeitraum 01.01.2021 – 31.07.2021 gesamt 126. Im Vergleichszeitraum von 2020 waren es 100. Ingesamt gab es im Jahr 2020 160 Verbote. "Auf Grund der vorliegenden Zahlen kann im Vergleichszeitraum in den Jahren 2020/2021 von einem Anstieg gesprochen werden. Die Anzahl der Aussprüche fluktuieren jedoch monatlich weshalb von einer generell ansteigenden Trendlinie nicht gesprochen werden kann.", so Hauptmann Christian Schuller. Als Rat gibt der Hauptmann mit: "Wenn Personen Opfer von häuslicher Gewalt werden sollten die Gewalttaten nicht bagatellisiert werden sondern sofortige Hilfe von der Polizei oder sonstigen Opferschutzeinrichtungen in Anspruch genommen werden."
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