Kommentar
Wer alles weiß, hat keine Ahnung

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Das ist nicht nur der neue Buchtitel des deutschen Kabarettisten Horst Evers, sondern zeigt deutlich die derzeitige Situation auf, in der wir uns alle befinden. Täglich werden wir mit unzähligen Informationen aus allen Himmelsrichtungen regelrecht bombardiert. Noch nie war die Chance, wirklich aufgeklärt zu sein, so groß wie jetzt. Und dennoch verlieren wir uns in diesem Informationschaos. Informationen als solches sind prinzipiell gut. Durch sie entstehen Meinungen. Meinungsbildung ist grundsätzlich nichts Schlechtes, aber wenn sie aus Informationen entsteht, die unreflektiert übernommen und leider oft auch nicht verifiziert wurden, kann sie ganz schnell sehr gefährlich werden. Wie oft macht man sich lustig über die sogenannten Stammtischgespräche in den Wirtshäusern? Und wie oft passiert genau dies derzeit überall, wo man sich mit anderen unterhält oder Informationen einfach medial konsumiert werden. Die vier Gewalten im Staat haben derzeit ein gewaltiges Imageproblem. Neben Exekutive, Legislative und Judikative befindet sich auch die mediale Gewalt - öffentliche Medien, Presse und Rundfunk - bezüglich der Informationswiedergabe in einem Dilemma. Und neben all diesen vier genannten Gewalten stehen andere, diesen konträre Informationsquellen gegenüber. So ist eine generelle Verteufelung DER Medien sehr schwierig, denn woraus bezieht man die gegenteilige Information und damit eine gegenteilige Meinung? Mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Internet und dabei spielen die Quellen dann keine Rolle mehr. Immer wieder hört man: „In den Medien haben sie geschrieben/gesagt, dass... Ich habe aber im Internet gelesen, dass...“. Alle Quellen werden in einen Topf geworfen und zu einem Einheitsbrei umgerührt.

Am Ende geht es also darum, dass wir alleine in Österreich über acht Millionen Experten haben. Egal zu welchem Thema. Wir haben die Chance, uns immer und jederzeit zu allen Themen auf der Welt eine Meinung zu bilden. Dennoch bleibt die berechtigte Frage, ob jede persönliche Meinungsbildung gleichzusetzen ist mit der Aussage eines wirklichen Experten? Ab einem gewissen Zeitpunkt muss ich mich auf die Meinung eines Experten verlassen, denn das ist seine Profession, sein Job. Und genau dabei tritt unser aller Dilemma auf. Was, wenn der Experte unrecht hat? Dann hole ich mir eine zweite Meinung ein. Parallel recherchiere ich im Internet und stoße auf unzählige andere vermeintliche und zumindest titelkonforme Expertenmeinungen. Plötzlich habe ich nicht nur eine Aussage zu einem Thema, sondern ganz viele. Was ist denn nun aber die richtige Aussage? Worauf kann ich mich wirklich verlassen? Ist es am Ende doch nur mein Bauchgefühl oder auf der moralisch-ethischen Ebene ein Gefühl der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit?

Ja, wir sind alle mittlerweile extrem Lockdown- und Pandemiemüde geworden. Das zweifelt niemand an. Eine Sache zeigt sich aber immer mehr und das habe ich schon am Anfang der Pandemie befürchtet: Das, was vor der Krise nicht gut gelaufen ist, wird durch die Pandemie verstärkt. Darunter fallen eben auch Meinungsbilder und Missinterpretationen von Daten, Fakten und Themen. Falls Sie nun einen Lösungsvorschlag von mir erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen. Auch das Geschriebene ist die Meinung von mir. Es ist mir nur wichtig zu erwähnen, dass ein Miteinander nur dann funktionieren kann, wenn man auch andere Sichtweisen anhört und zulässt. Ob man sie dann akzeptiert oder ablehnt, liegt am Ende an der eigenen Meinungsbildung. Noch nie war die Chance so groß, sich über ein Thema so umfangreich zu informieren. Und noch nie war die Gefahr so groß, Sachverhalte falsch zu interpretieren und aus diesem Einheitsbrei nicht die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wer alles weiß, hat keine Ahnung.

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