Kommentar
Zeit für ein Dankeschön

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Zugegeben, ich bin kein großer Fan von Bild oder bild.de. Aber schon alleine aus beruflichen Gründen schaut man sich zumindest die Schlagzeilen an. Letzte Woche war auf der Titelseite des Onlineportals ein Dank an alle Kinder und Jugendlichen, die diese Pandemie durchstehen. Zuerst dachte ich mir, dass dies wieder typisch Bild ist, denn der Zusatz „Wir bedanken uns, weil ihr liebe Regierung (hier ist die deutsche Regierung gemeint) es nicht tut!“ schon sehr polemisch wirkt.

Die Grundaussage, einmal Danke zu sagen, finde ich hingegen absolut richtig. Wir schreiten mit der Durchimpfung und jetzt auch für Jugendliche immer mehr in einen stabileren Alltag. Zumindest sind die schweren Krankheitsverläufe prozentual zurückgegangen und die berühmten Inzidenzwerte sinken oder bleiben zumindest stabil. Das bedeutet auch, dass die Zahl der Intensivpatienten, die an COVID-19 erkrankt sind, deutlich zurückgegangen ist. Die Richtung des langen Weges zu einem normalen Miteinander scheint also zu stimmen.

Ob dieser Schein trügt, werden wir mit Bestimmtheit in den kommenden Monaten sehen. Was aber übrig bleibt, sehen wir schon jetzt. Gerade bei den Kindern und Jugendlichen. Es bleibt eine Narbe im Gedächtnis übrig, die über ein Jahr eine offene Wunde war. Das ist, wenn man diverse Berichte von sozialen Einrichtungen liest, keine Übertreibung. Spricht man dann auch noch mit Kindern und Jugendlichen über die vergangenen Monate, dann stimmt einen das persönlich nicht nur traurig, sondern kommt auch schnell zum Schluss, dass die Pandemiezeit ein verlorenes Kinder- beziehungsweise Jugendjahr war. Und es war/ist ja mehr als nur ein Jahr. Sozial schwächer gestellte Kinder und Jugendliche fallen dabei völlig durch den Rost und können nur teilweise professionell aufgefangen werden. Die psychologischen Dienste sind aufgrund von Personalmangel unterbesetzt und Schulpsychologen fehlen in fast allen Schulen! Das Suchtverhalten gerade in Bezug auf Bildschirmzeit bei Smartphones und Spielekonsolen hat dramatisch zugenommen. Depressionen bei Kindern und Jugendlichen sind auf einem negativen Höchststand. Hinzu kommt noch die immer größer werdende Armutsgefährdung in vielen Vorarlbergern Haushalten und damit verbunden auch Ängste und Sorgen vieler Familien. Bei all diesen Aufzählungen sind Versäumnisse wie Abschlussfeste, Maturabälle, Partys und so weiter gar nicht mit einberechnet. Aber auch das sind Teilursachen für die seelischen Narben.

Wenn wir also zukünftig von einer Corona-Generation sprechen werden, dann sollten wir immer daran denken, was diese Generation geleistet hat. Ein großes Dankeschön und Respekt gelten den Kindern und Jugendlichen. Viele wundern sich jetzt, warum es öfter zu Meldungen von Exzessen und wilden Partys von Jugendlichen gibt. Liebe Erwachsene, erinnern wir uns doch einmal an unsere eigene Jugendzeit zurück. Wie unbeschwert waren die Sommer, wie unkompliziert waren die Verabredungen für Feiern egal wo und egal wann. Wie toll waren die Klassenfahrten, Skiwochen und „Abschlussfäschtle“.

Ja, all dies wird in irgendeiner Form wiederkommen, aber leider nicht für viele Kinder und Jugendliche, die über ein Jahr ihrer Freiheit und der Chance zur Abnabelung von zu Hause beraubt wurden.

Vielleicht sagen Sie sich, ja meine Güte, was ist schon diese kurze Zeit in einem langen Leben? Am Ende sind es Momente, die nie wiederkehren werden, weil sie eben nie passiert sind.
Liebe Corona-Generation, danke für euer Mittun im Kampf gegen die Pandemie und Verzeihung für all die Versäumnisse in der letzten Zeit.

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