Poesie und Musik
Sigi Maron, Georg Kreisler …. nicolas robert lang
Andreas S.:
Herzlich willkommen nicolas robert lang. Es gibt ein neues Programm - vielleicht aber noch einmal kurz zurück zu ihrem Debütalbum "Abendmahl südlich von Rimini".
Dietmar Hoscher, Geschäftsführer bei CONCERTO zu nicolas robert lang: „Seit Sigi Maron hat man keine Texte derartiger, direkt ins Antlitz der Scheinheiligkeit fetzender, Deutlichkeit mehr vernommen" - über "Gschichten aus der Sakristei". Und: „Lang vermengt seine Sozialkritik mit beißendem Humor, durchaus, aber auch mit Melancholie und Poesie. Trotz seiner Jugend sind Wortwitz und Sprachgewandheit faszinierend in wunderbar sorgsam instrumentierte Melodien gepackt, nach denen sich manch weit ältere Kolleg*innen vergeblich bemühen. ... in der textlichen Dimension ... eines Georg Kreisler.“ Das sind schon große Namen, mit denen Sie hier verglichen werden.... ... wie geht es Ihnen damit?
nicolas robert lang:
Es fühlt sich so an, als hätte hier jemand endlich verstanden, was meine Lieder sein sollen: vertonte Politikpoesie mit hohem musikalischen und song-writerischen Anspruch. Und genau das vereint meiner Meinung nach auch vermeintlich unterschiedliche Welten wie die von Sigi Maron und Georg Kreisler. Auch wenn ich ungern in den Vergleich gehe, möchte ich trotzdem kurz veranschaulichen, was ich damit meine: vor allem, wenn ich Texte von anderen Musiker*innen höre, denke ich mir oft "das schreibt dir ein jeder Volksschüler in zehn Minuten". Und hier sieht man auch wieder das Problem, dass viele „schreibende Menschen“ glauben, sie seien das Genie, dem die genialen Wort-Konstrukte einfach so zuschweben. Der erste Einfall ist selten der beste. Ich sitze schon wirklich lange und feile an meinen Texten. Ich reiß´ mir den Arsch auf, damit das inhaltlich wie poetisch hieb- und stichfest ist. Und das ist vollkommen okay, denn das ist mein Job. Es wäre aber auch der Job der anderen Musiker*innen, und hier orte ich dann doch teilweise präpotente Arbeitsverweigerung.
Andreas S.:
Ihr neues Programm fortschritt-rückschritt-gleichschritt - was kann ihr Publikum da erwarten, und haben Sie in der derzeit politisch sehr aufgeheizten Stimmung Befürchtungen?
nicolas robert lang:
Kurz zusammengefasst: mehr Text und weniger Musik. Dem Programm liegt die Frage zugrunde, ob der vielgepriesene technische Fortschritt nicht oft einen Rückschritt auf humanistischer Ebene mit sich bringt. Das ist ein Thema, wo ich mit 3-Minuten-Songs an meine Grenzen stoße. Insofern nehmen, ähnlich wie bei meinem Kreisler Programm "Hurra, wir sterben!" Gedichte und Texte einen großen Raum ein. Nur, dass sie eben diesmal aus meiner Feder stammen. Und zur politischen Stimmung: Furcht bzw. Befürchtungen sind kontraproduktiv, weil sie uns in die Passivität führen. Ich würde also eher Empörung, Wut und utopisches Denken als Emotionen empfehlen, um nicht immer nur moralisch zu kritisieren, sondern kritisch zu handeln. Ich empfinde die Stimmung oft nur als vermeintlich aufgeheizt. Während die faschistischen Kräfte sich organisieren, menschliche und finanzielle Ressourcen für ihre Ideen auftreiben, begnügt sich ein Großteil der demokratischen Gesellschaft mit Social-Media "Aktivismus" und gegenseitigem auf die Schulter klopfen, weil man alle paar Jahre auf eine Demo geht. Das wird nicht reichen und wir sind hier also noch nicht aufgeheizt genug.
Andreas S.:
In den letzten Monaten habe ich mehrere Interviews im Falter gelesen- Gerhard Stöger fragt Mathea, inwiefern es sie interessiert, die Bühne für Gesellschaftskritik zu nutzen. Darauf Mathea "Ich war aber schon Teil von diversen Charity-Veranstaltungen". Und später dann "... im Endeffekt sind wir immer noch Künstlerinnen und keine Aktivistinnen". Sie haben da ja eine ganz andere Herangehensweise, oder?
nicolas robert lang:
Willi Resetarits alias Ostbahn Kurti hat nie politische Musik gemacht. Trotzdem war sein gesellschaftliches Engagement immer konsequent und wichtig. Er nutzte seine Bekanntheit als Unterhaltungskünstler, um gesellschaftspolitische Arbeit zu machen. Ich verlange also von keinem*r Künstler*in politische Kunst zu machen. Was ich aber verlange, ist ein Bewusstsein dafür, welche Verantwortung eine öffentliche Bühne mit sich bringt und, dass diese auch dementsprechend wahrgenommen werden sollte.
Andreas S.:
Politische, gar gesellschaftskritische Zeilen finden sich auf dem Album "Wiener Schickeria" von Bibiza keine. „Da müsste ich selbst lachen über mich“, sagt Bibiza. Musik müsse Gefühle transportieren, Traurigkeit etwa. Und das Leben, Party.
nicolas robert lang:
Ich liebe unpolitische Kunst. Der Großteil der Musik die ich konsumiere von den Rolling Stones, über Joni Mitchell bis hin zu Bruckner ist per se vollkommen unpolitisch. Viel problematischer ist die vermeintlich politische Kunst, die vollkommen oberflächlich, ohne ideologische Grundlage dem Bildungsbürger:innentum Happen zur Gewissensberuhigung hinwirft. Das lenkt dann effektiv ab von den wirklichen Problemen, vermittelt aber sowohl für die Künstler:innen als auch für das Publikum das Gefühl "eh aktiv zu sein". Also entweder politisch mit Kante oder eben nicht, aber bitte nix Schwammiges dazwischen.
Andreas S.:
Sigrid Horn macht eine Platte zu 45 Jahre Zwentendorf, finanziert von der EVN. Lobenswert, sie beschäftigt sich mit Klima und somit Zukunft. Was sagen Sie dazu?
nicolas robert lang:
Ja eh. Wieso nicht. Soll Schlimmeres passieren…
Andreas S.:
Welche Lieder auf ihrem Debütalbum "Abendmahl südlich von Rimini" bezeichnen Sie als frei von Politik und Gesellschaftskritik - oder "muss" man in allem, was Sie tun, etwas "Kritisches" finden?
nicolas robert lang:
Der Großteil des Albums ist unpolitische Unterhaltungsmusik. Nur der erste Track über Missbrauch in der Kirche und das titelgebende "Rimini" über ertrinkende Menschen im Mittelmeer sind dezidiert politisch. Die Vermischung von Gesellschaftskritik und Unterhaltung halte ich für wichtig und effektiv. Wenn ich ein Protestlied nach dem anderen spiele, dann gewöhnt sich das Publikum daran und wird dementsprechend auch nicht sonderlich aufgerüttelt sein. In einer größtenteils humoristisch-poppigen Atmosphäre hingegen kann der ein oder andere Schockmoment zwischendurch durchaus etwas auslösen.
Andreas S.:
Sie beschäftigen sich seit einiger Zeit sehr intensiv mit den Arbeiten von Milo Rau, dem Intendanten der Wiener Festwochen. In seinem Buch "Die Rückeroberung der Zukunft" beschreibt er die 5 Reiter der Posthistorie. Kurz aufgezählt handelt es sich um die Reiter der Überinformiertheit, der Kritik, der Abgrenzung, des Moralismus & des Realismus.
Welcher der Reiter beschäftigt Sie derzeit am meisten und warum bzw. wie spiegelt sich das in ihrer künstlerischen Arbeit?
nicolas robert lang:
Zuerst einmal würde ich allen Menschen ans Herz legen, dieses Buch zu lesen. Nicht nur versteht man dann, was Rau mit diesen fünf Reitern genau meint. Mir hat es vor allem extrem geholfen, ins Tun zu kommen und nicht darauf zu warten, dass jemand anderes aktiv wird. Ich persönlich denke, dass vor allem der Reiter des Moralismus in meinem Umfeld der ist, den ich mit meiner Arbeit bekämpfen möchte. Es geht darum Solidarität wieder zu entdecken, indem wir uns nicht in identitätspolitische Splittergruppen spalten lassen. Egal ob grün oder rot, radikale Antifa oder biedere Gewerkschaft, transfeministische Aktivist*in oder Biobauer: wir alle, die wir aktiv NEIN sagen und in irgendeiner Art und Weise an den bestehenden, hierarchischen Strukturen rütteln, wir alle kämpfen den selben Kampf und das können wir nur gemeinsam!
Andreas S.:
Gerhard Stöger vom Falter verwendet den Begriff "Gute Laune Granaten" bzw. bezieht das auf die Lieder von Sigrid Horn, dass diese eben das nicht sind. Ihre Lieder und Texte nicolas robert lang sind das ja auch nicht wirklich. Ein Musiker, der zuletzt nach ihnen in der Volksoper gespielt hat, hat gemeint, es war sehr schwierig emotional für ihn, nach "Dann wäre Wien noch Wien" zu singen. Wie bauen Sie ihr Publikum wieder auf oder wollen sie das eh nicht?
nicolas robert lang:
Das Gegenteil von „gute Laune verbreiten“ muss ja nicht „Menschen in die Depression stürzen“ sein. Ja, die Themen meiner Lieder sind oft keine leichte Kost. Aber keineswegs will ich das Publikum damit deprimieren. Vielmehr sollen die Menschen meine Musik hören und sich angesprochen fühlen, dass sie mit ihren Worten, Taten und Handlungen ihr Umfeld, die Gesellschaft und somit die ganze Welt beeinflussen. Wenn wir diese Haltung alle mehr etablieren, dann hat das einen immensen Effekt und meine Musik ist dazu im besten Fall ein Stein des Anstoßes.
Andreas S.:
Ana Ryue bemerkte in einem mica Interview: „Yung Hurn - als Rapper mit sexistischen Texten wird auf die Festwochen eingeladen. Es gibt so viele österreichische Rapper:innen, die ohne sexistische Zeilen auskommen.“
Wo läuft da was falsch? Beim Künstler oder bei Kunstveranstaltern?
nicolas robert lang:
Eines der größten Probleme unserer Zeit ist die individualisierte Suche nach Schuldigen. Natürlich trägt in diesem Fall der Künstler die Verantwortung für seine sexistischen Texte und die Veranstalter die Verantwortung, wenn sie diesem Künstler eine Bühne bieten. Der Fehler liegt aber wie so oft im System. Wenn Sexismus gesellschaftlich akzeptiert wird, respektive eine breite Masse dafür bereit ist, Geld zu zahlen, dann werden diejenigen, die damit Geld verdienen können, das auch tun. In diesem Fall wäre der effektivste Weg wahrscheinlich, den Kapitalismus mit seinen eignen Waffen zu schlagen. Das kapitalistische System ist ideologielos. Wenn Geld mit feministischer Kunst gemacht werden kann, dann kann diese auch Mainstream sein.
Andreas S.:
Nachdem Sie 2023 Ihren Auftritt bei der Styriarte mit einer "Gedenkminute an 29 Femizide" beendeten, der Titel "fortschritt-rückschritt-gleichschritt" ebenfalls etwas erwarten lässt: haben Sie auch das Gefühl, "nicht ausreichend aktiv zu sein", wie Anna Mabo bezüglich ihres Engagements zur Zerschlagung des Patriarchats bemerkt?
nicolas robert lang:
Ich kenne dieses Gefühl, von dem Anna Mabo spricht. Man fühlt sich ohnmächtig gegenüber den kranken Machtstrukturen, in denen wir leben. Und wahrscheinlich ist man auch nie ausreichend aktiv. Dieses Gefühl ist aber auch die wichtigste, treibende Kraft, ein intrinsischer Antrieb aktiver, lauter und präsenter zu sein, wenn man NEIN sagt. Das Gegenteil davon ist ein lethargisches Akzeptieren, oder noch schlimmer ein Gefühl der Selbstgefälligkeit, dass man eh schon genug tut. Natürlich ist es manchmal anstrengend, permanent das Gefühl zu haben, aktiver im Kampf gegen das Patriarchat und den Kapitalismus sein zu müssen. Gefährlich für eine demokratische Gesellschaft ist aber, wenn genau dieses Gefühl dem Großteil der Menschen abgeht.
Andreas S.:
Geoffrey de Lagasnerie formuliert in seinem Buch "Die unmögliche Kunst" den Satz: Kunst ist die Melancholie der gescheiterten Revolte. Sie scheinen Revolte und Kunst zu verbinden - oder Kunst und Revolte?
nicolas robert lang:
Revolte ist in starkes Wort. Ich bewege mich immer noch innerhalb der Rechtsstaatlichkeit, also kann meine Kunst im klassischen Sinn kein revolutionärer Akt sein. Ich verstehe meine Kunst aber durchwegs nicht als melancholischen Abgesang der Revolution. Und ja, mein Ziel ist es, auf jeden Fall mithilfe der Kunst aktiv die Strukturen unseres Zusammenlebens zu beeinflussen. Mit der Musik stoße ich da immer mehr an meine Grenzen, aber eines ist sicher: da kommt noch Vieles, was den Rahmen meiner bisherigen, künstlerischen Beschäftigung um einiges ausdehnen wird.
Andreas S.:
Michael Ternai, Redaktionsleiter des Musikmagazins von mica austria schrieb "Dass Austropop nicht gleich Austropop ist, und dieser sehr wohl einen eigenen Charakter entwickeln kann, beweist der junge oberösterreichische Liedermacher Nicolas Robert Lang auf seinem im Herbst 2023 erschienenen Debütalbum “Abendmahl südlich von Rimini”. Wie nimmt man das auf - mehr als 4 Monate nach der Veröffentlichung seines Debütalbums?
nicolas robert lang:
Positives Feedback ist zeitunabhängig natürlich immer erfreulich. Außerdem ist es schön zu sehen, dass hier jemand, auch innerhalb eines Genres, den Willen hat, zu differenzieren. Kein*e Musiker*in lässt sich gerne in eine Schublade stecken, es bleibt einem aber nichts Anderes übrig, wenn man permanent die Frage "und was für eine Musik machst du?" gestellt bekommt. Ich glaub´, mein Austropop ist oft relativ weit von dem entfernt, was man landläufig darunter versteht, und insofern ist es schön zu hören, dass das nicht nur ich so sehe.
Andreas S.:
Wann und wo kann man Sie mit Poesie und Musik von und mit nicolas robert lang hören und sehen?
21. März 2024 19:00 fortschritt-rückschritt-gleichschritt im Literaturhaus Graz
27. März, 20 Uhr - Cafe Schopenhauer, Wien
04. April, 18:30 Uhr, Buchplus Literaturcafe, Linz
Andreas S.:
Und wie tut man am besten, das man das nicht verpasst?
nicolas robert lang:
Einfach anmelden bei meinem Newsletter - und es gibt natürlich auch noch mein Album zu kaufen im Online-Shop: "Abendmahl südlich von Rimini" .
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.