Marcel Hirscher im Gespräch mit RollOn-Obfrau Marianne Hengl zum Thema: „Sieger haben viele Gesichter“

Foto: RollOn Austria
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Der eine ist ein sportlicher Sieger, der im Rampenlicht steht und eine sportliche Bilderbuch-Karriere hingelegt hat. Die andere ist eine Siegerin im Stillen. „Für einen schwer behinderten Menschen ist es ein ebenso großer Sieg, wenn er nach drei Jahren erstmals ohne fremde Hilfe aus der Badewanne steigen kann“, sagt Marianne Hengl, die Obfrau des Vereins RollOn Austria.
Von ihr stammt auch die Idee für dieses ungewöhnliche Interview zwischen zwei Siegern aus zwei völlig verschiedenen Welten.

Hengl: Vor ein paar Wochen war in meiner ORF III -Fernsehsendung „Gipfel-Sieg“ Kira Grünberg zu Gast. Auf die Frage, was in der Zeit nach ihrem Unfall der größte Erfolg war, meinte Kira strahlend: „Ich wollte als erstes unbedingt lernen mir wieder alleine die Zähne zu putzen, anfangs war das gar nicht so leicht und jetzt funktionieren die Handgriffe schon wieder ganz normal.“ Marcel, wenn dich so ein Schicksal ereilen würde, wie würdest du dein Leben in den Griff bekommen?

Hirscher: Das alles ist schwer vorstellbar. Wenn ich so eine Geschichte höre, macht mich das natürlich sehr betroffen. Für jemand, der sich in seinem Leben wie ich vergleichsweise nur mit Luxusproblemen herumgeschlagen hat, ist dies nicht zu beantworten.

Hengl: Ich bin mir sicher, du würdest es mit deiner Lebensfreude schaffen.

Hirscher: Das wäre ich mir gar nicht einmal so sicher. Ich habe im Vorjahr Kira persönlich getroffen, und es ist unglaublich welche Lebensfreude sie ausstrahlt.

Hengl: Erzähl uns von einem Sieg, der nichts mit Sport zu tun hat.

Hirscher: Da gibt es einige, aber welcher wäre erzählenswert? Nun, die einzige schwere Verletzung, die ich je erlitten habe, war ein Fußbruch. Als ich erstmals wieder ohne Krücken gehen konnte, das war ein Erfolg für mich. Aber so etwas vergisst man sehr schnell, wenn man nicht mehr auf Krücken angewiesen ist.

Hengl: Stell Dir einen Menschen vor, der so wie ich keinen Sport betreiben kann. Welche Gefühle und Erfahrungen hat dieser nie gemacht, von denen du ihm gerne erzählen würdest?

Hirscher: Was mir am Sport taugt, ist die innere Ruhe und Zufriedenheit nach einer großen Belastung. Da kann man manchmal eine halbe Stunde Laufen nach einer langen Autofahrt im Winter Wunder wirken.

Hengl: Ich konnte mich als Kleinkind am Boden liegend nicht alleine aufsitzen, es war für mich wie Leistungssport, bis ich es dann geschafft habe. Kannst du das nachvollziehen?

Hirscher: Ja, absolut. Es geht doch nur darum, welche Ressourcen jeder mitbekommen hat. Nehmen wir den Skisport: Viele meiner Konkurrenten haben genauso so hart für den Erfolg gearbeitet, aber keine solchen Erfolge erleben dürfen. Aber was du beschrieben hast, dass ist auf jeden Fall Leistungssport.

Hengl: Stell Dir vor, du wärst in der Wüste, in einem Land ohne Eis und Schnee. Wie würdest du einem Menschen dort dein Talent beschreiben?

Hirscher: Ich würde ihm von meinen Durchhaltevermögen erzählen, das ist ja auch etwas, das man in der Wüste ganz gut gebrauchen kann.

Hengl: Marcel, du bist in Österreich ein Superstar. Wie findest du noch einen Draht zu ganz normalen Leuten?

Hirscher: Den Draht zu den Menschen habe ich durch mein ganz normales Leben, meine Freunde, meine Familie. Das sind alles ganz normale Menschen, meine Freunde sind ganz normale Österreicher. Daheim sitze ich auch in den Wollsocken vor dem Fernseher. Den Kontakt habe ich sicher nie verloren.

Hengl: Aber viele Sportstars schweben auf Wolke sieben.

Hirscher: Nein, früher oder später nicht mehr. Das Leben ist kein Ponyhof. Schicksalsschläge treffen früher oder später jeden und dann wird sich bei jedem zeigen, wie sehr man mit beiden Beinen im Leben steht.

Hengl: Hast du für dich deinen Lebensweg schon gefunden?

Hirscher: Meine Lebensaufgabe ist derzeit sicherlich der Sport, aber rückblickend wird das wahrscheinlich auch verschwinden. Sagen wir, ich würde 80 Jahre alt, und ich hoffe, dass ich das werde, dann wären die ersten 30 Jahre dem Sport gewidmet, dann wird es ein Leben bis zum 60er geben und dann will ich mit 60 schon noch die Kraft haben, dass ich etwas ganz anderes anfange. Sport wird am Ende meines Lebens vielleicht sogar der geringste Teil meines Leben sein.

Hengl: Ich versuche meine Lebensaufgabe so werteorientiert als möglich zu erfüllen, um in einem anderen Leben vielleicht aus dem Rollstuhl zu steigen und Tanzen zu können, was mein Truam wäre. Was sind deine Werte?

Hirscher: Werte sind mir in meinem Leben unheimlich wichtig. Aber Werte sind auch etwas so privates und intimes im Leben, dass ich das nicht in der Öffentlichkeit breit treten möchte.

Hengl: Letzte Frage: Was zeichnet für dich einen guten Menschen aus?

Hirscher: Hmm, noch eine gute Frage. Ich würde sagen: Wenn man anderen Menschen nicht schadet, wenn man andere nicht verletzt, dann hat man schon viel erreicht in seinem Leben. Dann kann man wohl sagen, dass man ein guter Mensch ist.

Foto: RollOn Austria
Marcel Hirscher im Interview mit Marianne Hengl / Foto: Kolarik Andreas 07.10.2016
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