5 Minuten: Mit offenen Augen
WIEN. Beinahe zwei Millionen Menschen wohnen und leben in Wien – und dazu kommen noch die ganzen Pendler und Besucher, die sich in der Stadt aufhalten. Das ergibt ein anonymes Gewühl, bei dem man vor lauter Leuten die Menschen nicht mehr sieht.
Es stimmt schon: Gegen London ist Wien immer noch sehr intim. Aber auch bei uns ist es oft schon bedenklich. Wenn es etwa kaum mehr auffällt, dass der Nachbar nicht mehr da ist. Hand aufs Herz: Wann haben Sie Ihren Nachbarn das letzte Mal gesehen? In meiner früheren Wohnung habe ich bestimmte Menschen oft ein Jahr lang nicht im Haus getroffen.
Aber vor allem auf der Straße fällt auf, dass die Leute nur mehr weiterhetzen und kaum noch auf die Umgebung oder die Leute rundum achten. So fallen auf Parkbänken Schlafende kaum mehr auf. Man regt sich immer nur auf, wenn man in seiner Ruhe oder im ästhetischen Empfinden gestört ist.
Nur wenige Menschen gehen mit offenen Augen und Herzen durch die Straßen. Meine Frau ist da die rühmliche Ausnahme: Sie bemerkte vor kurzem eine Frau, die offensichtlich erschöpft war. Sie blieb stehen, schien ein wenig zu schwanken und lehnte sich an die Hausmauer. Besorgt ging meine Frau auf sie zu und fragte, ob sie ein wenig helfen könne. "Nein, danke", kam die Antwort. Es wäre ihr nur heiß und sie suche den spärlichen Schatten. "Aber vor einem halben Jahr, da hätte ich sie gebraucht", so die ältere Dame. "Damals hatte ich einen Kollaps, fiel hin und keiner hat mir geholfen. Ich bin damals fast nicht auf die Füße gekommen." Tja, leider kann meine Frau nicht überall sein…
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