14. Dezember 2016: Weltkulturerbe wird für Wien zur Prüfung
WIEN. Kennen Sie den "Canaletto-Blick"? Die historische Perspektive der Innenstadt kann man vom Oberen Belvedere aus sehen. Natürlich kennen Sie ihn, zumindest seitdem es um die Trübung desselben mit dem Bauprojekt am Heumarkt geht. Ob das als Argument für die Aberkennung des Weltkulturerbes für die Wiener Innenstadt reicht, sei mal dahin gestellt. Der einzige Einwand ist das freilich nicht. Das Ensemble der Innenstadt werde durch die Umgestaltung wesentlich gestört, das Areal für alle Zeit verschandelt, so der Internationale Rat für Denkmalpflege. Wie bitte? Der 1960er Jahre Betonklotz des Hotel Intercontinetal ist auch heute keine besondere Augeweide, das WEV-Areal samt Straßenfront im Grunde ein Schandfleck. Zurecht beschrieb Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou die Gegend als "vergessenes Eck". Bei allem Respekt vor den Kritikern, aber jede bauliche Veränderung vor Ort wäre eine Aufwertung.
Wenn die Stadt bei dem nun präsentierten Entwurf bleibt, dann werde Wiens historischer Innenstadt 2018 der Weltkulturerbe-Status aberkannt, prophezeit die UNESCO in der Tageszeitung "Die Presse". Diese "Drohgebärden" stoßen nicht nur dem Wiener Tourismuschef Norbert Kettner sauer auf. Quer durch die Stadt echauffiert man sich einerseits über das Projekt und andererseits über den drohenden Verlust des Weltkulturerbes.
Seit 1996 steht das Schloss Schönbrunn auf der geschützten Liste der UNESCO, seit 2001 das historische Stadtzentrum von Wien. Das Hotel Intercontinental, der WEV und das Konzerthaus liegen am Rand der inneren Schutzzone. Der Kerngedanke des Weltkulturerbes ist ja durchaus ein nobler: Die herausragenden Kultur- und Naturstätten dieser Erde sollen nicht als Eigentum eines Staates angesehen werden, sondern als ideeler Besitz der gesamten Menschheit gelten. Diesem Anspruch kann man schwer widersprechen.
Anspruch und Wirklichkeit kommen sich jedoch oft in die Quere. Eine Großstadt ist kein Musuem. Sie muss sich entwickeln, muss offen für Neues sein. Grundsätzlich. Niemand wird widersprechen, wenn wir darauf bedacht sind, die Wiener Innenstadt in ihrer historischen Substanz zu erhalten. Doch beim konkreten Heumarkt-Projekt kann man weder von einer Verschandelung noch von Altstadt sprechen. Architektonische Geschmäcker sind natürlich verschieden. Beim Status-Quo ist man sich jedoch relativ einig: Der ist fürchterlich.
Streng genommen muss man sich die Frage stellen, welche kulturellen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Weltkulturerbe-Status für die Stadt hat. Kommen deswegen mehr Touristen in die Stadt? Sind wir damit in der Lage, uns vor Bausünden effektiver zu schützen? Ersteres ist zu bezweifeln. Wenn wir letzteres nicht können, wäre das grundsätzlich traurig.
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