Auf Achse für einen guten Zweck
Flüchtlingskrise 2019 -Lokalaugenschein Vućjak
Am späten Dienstagabend hält ein weißer VW Kombi in der Badener Innenstadt. Der Fahrer, Rapper„Kid Pax“ aus Wien, hilft Vivien Rose die gesammelten Hilfsgüter der Organisation „Flamme des Friedens“ für den Winter und Medizinischer Bedarf seitens der Badener Bevölkerung einzuladen für das Flüchtlingslager Vućjak nahe der bosnisch - kroatischen Grenze. Brigitte Holzinger, die liebevoll von ihren Schützlingen auch „Afghanenmana „ genannt wird erwartet die Beiden bereits ungeduldig im oberösterreichischen Kremsmünster. Dort werden die restlichen Spenden, organisiert durch Holzinger, Heidi Pohl aus Tirol sowie die OÖ Volkshilfe zugeladen. Mittwoch, Punkt 5:00 Uhr früh rollt der Dreier Konvoi der Nächstenliebe Richtung Bosnien los.
Seit Ungarn die Südgrenzen im Herbst 2015 mit Zäunen und Sperren abschottete, hat sich die Balkanroute nach Westen verlagert: Sie führt von Serbien und Montenegro über Bosnien ,Kroatien, Slowenien nach Westeuropa.
270 Kilometer liegen zwischen der nordwestbosnischen Stadt Bihać und der österreichischen Südgrenze bei Spielfeld. An der kroatisch - bosnischen Grenzstation gibt es das übliche Einreiseprozedere für einen internationalen Spendentransport. Dem bürokratischen Teil aus Frachtpapieren und Einfuhrgenehmigungen begegnet Hairudin Druzanovic, ein bosnischer Landsmann und Begleiter des österreichischen Hilfskonvois mit einem Lächeln.
Die 50.000 Einwohnerstadt Bihac schmiegt sich malerisch in den Talkessel des Flusses Una im bosnischen Kanton Una-Sana ein, der etwa so groß ist wie das österreichische Waldviertel.
Auf den Straßen fallen in größeren und kleineren Gruppen Menschen südländischen Aussehens auf: Flüchtlinge und Migranten, zumeist aus Pakistan und Afghanistan, die auf eine Gelegenheit warten, über die nahe "grüne" Grenze ins benachbarte EU-Land Kroatien zu gelangen.
Der Deutsche Journalist, Fotograf und Humanist Dirk Planert erwartet den Hilfstransport bereits in Bihac. Seit 3 Monaten ist er vor Ort und berichtet über die aktuelle Lage. Mittlerweile hat er ein Krankenhauszelt durch die Kompetenz der wechselnden europäischen Mediziner aufgebaut. Nach einer kurzen Lagebesprechung, werden die Hilfsgüter dem Rotem Kreuz Bihac übergeben.
Lokalaugenschein Vucjak
Das Camp Vučjak liegt etwa 20 Minuten vom Zentrum der bosnischen Stadt Bihać entfernt. Auf dem Weg dorthin funktioniert das Internet und somit Google Maps nicht. Die asphaltierte Straße verwandelt sich zu einem schmalen Sandweg. Regenpfützen verstecken die Schlaglöcher. Links ein Container und ein Polizeiauto. Dirk steigt aus und unterhält sich mit dem Polizisten. Ein weiterer Polizist kommt dazu, schaut zu uns nach hinten und winkt uns vorbei. Die Behörden in Bihać haben das Camp Vucjak Mitte Juni 2019 auf einer ehemaligen Mülldeponie westlich der Stadt errichtet.
Auf den ersten Blick sieht es hier einfach nur unglaublich traurig aus: Weiße Zelte mit türkischer Aufschrift, die Spende einer türkischen NGO , ragen in den Himmel hinauf, Wäsche die zum trocknen aufgehängt ist. Die Zelte stehen auf einem provisorischem Boden aus Sand und Steinen.
Es ist Mittagszeit, eine lange Menschenschlange wartet draußen vor dem Roten Kreuz Zelt. Zweimal am Tag wird von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Roten Kreuz Bihac eine Mahlzeit ausgeteilt. In dem Lager gibt es weder Strom noch fließendes Wasser. Das Krankenhauszelt wird von einem kleinen privaten Generator versorgt. Die Zelte sind in Länder unterteilt, "Afghanistan" steht auf einem, "Pakistan" auf einem anderen. Ein Zelt teilen sich zwischen zehn und fünfzehn Männer. Die Hygienebedingungen sind katastrophal. Es wurden Duschen aufgestellt, aber die Fäkalien werden in die direkte Umgebung ungefiltert abgeleitet. Kein Wunder das die Männer ihre Notdurft rundherum erledigen müssen. Auf dem Dach eines kleinen Hauses steht ein gelber Wassertank mit der
Aufschrift „Water is not for drink“.
Wenn Trinkwagen Wasser bringen, drängeln sich die Männer um sich mit Trinkwasser notdürftig zu versorgen.
Gegenüberliegend vom Roten Kreuz Zelt ist Dirks Krankenhauszelt. Drinnen behandelt die ungarische Kinderärztin Dr. Judit Mogyoros die offenen Wunden eines ca. 14.jährigen Jungen aus Afghanistan. Er lächelt unter Schmerzen. Ganz alleine ist er in Vućjak und hat keine Familie mehr. Dr. Mogyoros ist ein Lichtblick im Camp, sie hilft wo sie nur kann.
„Unlängst hatten wir eine Operation im Camp“, erläutert Dirk Planert. „Der Mann hatte einen septischen Schock, der hätte fast sein Bein verloren, wenn er nicht sofort behandelt worden wäre. Einer unserer Leute mit der ungarischen Ärztin zusammen, holten den ganzen Eiter aus dem Bein heraus. Die sind unter der Haut fast bis zum Knie hoch. Der Mann kann mittlerweile wieder stehen. Bisher ist jeder Patient der in unser Krankenhauszelt gekommen ist , in einem besseren Zustand wieder hinausgegangen. Auch wenn es hier eine härtere Gangart ist, als man sich vorstellen kann, ist es das Wichtigste für uns, dass jeder Patienten so behandelt wird als ob wir an seiner Stelle wären.“
Menschenrechtsverletzungen vor Europas Haustür
Auf unserem Rundgang durch das Camp kochen manche Männer auf improvisierten Eisenplatten, andere sitzen in Gruppen zusammen und unterhalten sich. Ein Friseur schneidet Haare. Ein anderer Flüchtling sitzt in den Baumkronen und beobachtet das Geschehen. Die meisten liegen allerdings auf bunten Decken in ihren Zelten und starren die Decke an oder schlafen.
Etwas abseits des regulären Weges den Dirk uns führt, gegenüberliegend von Zelten zeigen einige Flüchtlinge Kid Pax und Vivien wo sie eine Bombe gefunden haben. Diese wurde von den Beamten sofort entfernt. Während des Balkankriegs (1992-1995) lief ein Minenfeld hier entlang. Es ändert allerdings nichts an der Lage des Camps.
Ein junger Inder ersucht seine Botschaft im Namen aller Flüchtlinge auf der Mülldeponie Vućjak der kroatischen Polizei mitzuteilen:
„Hallo, wie geht es dir? ich bin .... und komme aus Punjab. Ich habe versucht die Grenze von Bosnien nach Europa zu Fuß zu überqueren. Aber ich war nicht erfolgreich. Danach habt ihr uns deportiert, ihr haben uns geschlagen. Das ist nicht gut. Ich weiß wir überqueren illegal die Grenze. Ich weiß ihr wollt auch, dass es uns gut geht, aber was ihr machen ist nicht gut. Da ist ein großes Loch gefüllt mit Wasser, ihr sagt uns hineinzuspringen, danach prügelt ihr uns alle.“
„Wer macht das ? Die kroatische Polizei? „
„Ja, die kroatische Polizei! Sie sind sehr schlecht. Sie sollen uns bitte als Menschen behandeln. Wir sind Menschen keine Tiere, bitte. Das ist unsere Frage und Bitte an euch, an alle Medien mehr nicht: Sagt der kroatischen Polizei bitte uns nicht zu schlagen. Die Polizei sieht nicht mal wo sie hinschlägt.
Es scheint als ob Menschenrechte eine Gute Nacht Geschichte geworden sind, vor der Haustür Europas. Das alle Menschen frei und gleich sind, davon ist nichts zu sehen. Die bosnische Polizei bewacht das Lager rund um die Uhr wie ein Gefängnis. Die Flüchtlinge sind sich allerdings alle einig, die bosnische Polizei ist gut zu Ihnen.
Die Menschenrechtsorganisationen Humanrightwatch und Amnesty International haben bereits auf Missachtung der Menschenrechte vor Europas Haustüre hingewiesen. „Folter wird immer noch in 90% der Staaten praktiziert“, erläuterte der UN Sonderberichterstatter Manfred Novak bei einer Menschenrechtstagung.
Einem Afghanen wurde die Schulter durch kroatische Polizeibeamte gebrochen. „ Nachdem er von der Grenze zurückgeschickt wurde, musste seine Schulter im Krankenhaus Bihac eingegipst werden, erzählt der Humanist Dirk Planert. Ein anderer Mann aus Afghanistan, der erst gestern von „the Game“ zurückkam, berichtet über Abnahme seines Privateigentums wie Schuhe, Gürtel,Handy, Decke, Schlafsack und Tasche. Nachdem Dirk Planet ihn reden hörte, brachte er ihm sofort einen Schlafsack und eine Matte.
Angst vor dem Winter
„Wir sind ein Team von sechs Leuten, unter ihnen wechselnde kompetente Mediziner. Das Stammteam sind drei. Jetzt muss bedacht werden alles was wir bekommen, sortiert Und gelagert werden sollte. Wenn wir nachts bis zwei , drei Uhr im Zelt arbeiten und Morgens gehts in der Früh wieder los, ist das unmöglich zu packen.“ „ Ich habe neulich, dass gesamte Team zu einem freien Tag verpflichtet“, so Dirk. Wenn wir nicht einmal einen Tag frei machen können pack ich meine Sachen und fahr nach Hause. Das geht nicht.“ So schön das auch ist mit der ganzen Hilfe die kommt, es muss realisierbar und umsetzbar sein. Wenn wir finanzielle Unterstützung bekommen, fahren wir in die Apotheke und kaufen was benötigt wird ein. Es gibt einpaar Medikamente, die gibts in Bosnien nicht, da ist es wichtig das wir die bekommen, da würde auch eine Handtasche reichen - es braucht da kein LKW kommen. „
“Die große Politik bekommt gar nichts auf die Reihe“, kritisiert der Dortmunder zurecht: „Wer bei einer humanitären Katastrophe seinen Arsch, auf gut Deutsch nicht bewegt, hat seinen Job verfehlt.“
Der Winter rückt näher, die Lage wird nicht einfacher. Die Folgen des Balkankriegs prägen das Land auch noch nach mehr als 25 Jahren.
Der Bürgermeister von Bihac fühlt sich von der Regierung in Sarajevo und von der EU in Stich gelassen. 1/3 der Bevölkerung, Junge und Gebildete Bosnier suchen mit ihren Frauen und Kindern ihr Glück in der EU. Die Arbeitslosigkeitsquote liegt bei 60 Prozent in Bosnien, viele Menschen sind verarmt. Verlassene Lagerhallen prägen das Stadtbild.
„Wenn nicht bald eine politische Lösung kommt, bestelle ich Leichensäcke“, sagt der Journalist Planert in sehr ernsten Tonfall. „Es ist unglaublich, dass im Jahre 2019 eine Privatperson medizinische Hilfe von Privatpersonen imitieren muss. Wir leben doch nicht im Mittelalter. „ Ich bin sehr froh, dass MEP Bettina Vollath ein Team zusammenstellt, weil ich doch glaube das nur eine politische Lösung das Flüchtlingsproblem lösen kann, aber kein Einzelner.“
Für die Menschen auf der Müllhalde hat Dirk Planert, der Helfer vor Ort ein Sonderkonto eingerichtet : Empfänger : Dirk Planert, BANK: ING DIBA IBAN: DE51 5001 0517 5537 2011 12 Bic: INGDDEFFXXX
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