Die Nacht, in der die Gustloff sank
Es war der 30. Jänner 1945, das Ende des 2. Weltkriegs war nahe und die Russen kamen Nazideutschland immer näher. Wer konnte, versuchte sich nach Gotenhafen (heute: Gdingen), durchzuschlagen, der ostpreußischen Grenzstadt zu Polen. Dort wartete der Nazi-Kreuzer Wilhelm Gustloff auf Flüchtlinge.
Mitten drunter war auch die damals 21-jährige Favoritnerin Edith Spandl. "Ich war Marinehelferin und lernte auf der Insel Föhr 'Dididadidit', das Funken", erinnert sich die heute 90-Jährige. "In Gotenhafen wartete das KdF-Schiff Wilhelm Gustloff um uns zu evakuieren. Es waren hauptsächlich Frauen und Kinder an Bord."
Soldat als Schutzengel
Die Marinehelferinnen wurden in einem Raum gleich neben den Maschinen im Bauch des Schiffes untergebracht. "Wir haben es dort unten kaum ausgehalten!", erzählt Spandl. Gemeinsam mit ihren Kameradinnen Stixi und Annemarie schlich sie sich die Stiegen wieder hinauf.
"Ein Soldat kam uns entgegen und fragte, was wir hier oben denn wollten. Ich hab gesagt: 'I krieg da unten ka Luft!' 'Geh, du bist ja a Wienerin', hat er geantwortet. Das war unser Schutzengel, denn wir durften hinauf aufs Sonnendeck und uns dort hinsetzen", erinnert sich Spandl.
Das Ende der Gustloff
"Es war Mitternacht und bitterkalt. Das Schiff war schon zum Auslaufen", so die Pensionistin weiter. "Wir haben auf einmal einen Kracher gehört, der erste Torpedo, der unser Schiff getroffen hat. Die Gustloff ist seitlich gekippt und wir sind am Hintern über die Stufen zum 1. Deck hinunter gerutscht, so schief ist es schon gelegen."
Unvergesslich prägten sich die Bilder in Edith Spangls Erinnerungen ein: "Wir sahen Menschen in der See, im Hafenbecken treiben, mit ihren Kindern in den Armen", weint sie. "Die waren schon erfroren, das war furchtbar anzuschauen!"
1.000 Menschen gerettet
Die drei Marinehelferinnen kletterten mit anderen Schiffsbrüchigen in eines der Rettungsboote. "Wir mussten schnell aufs offene Meer hinaus rudern, denn der Sog des sinkenden Schiffes drohte uns mitzureißen." Die ganze Nacht lang saßen sie in diesem Boot bis sie von einem Torpedoboot aus dem Wasser gefischt wurden.
"Ich habe gehört, dass nur 1.000 Menschen gerettet wurden. 9.000 Menschen versanken in eisigen Tiefen", ist Spandl noch heute tief erschüttert. "Und ich war die einzige Wienerin unter den Geretteten."
Wiedersehen mit dem Schutzengel
Anschließend kam Edith Spindl in ein britisches Lager nach Wilhelmshaven, von wo aus sie weiter nach Wien zurück fuhr. "
Jahre später habe ich im Fernsehen einen Film über den Untergang der Gustloff gesehen", erzählt sie. "Dort habe ich den Mann entdeckt, der damals unser Schutzengel war. Ich rief den ORF an und fragte nach seinem Namen. Er kam dann sogar nach Wien, der Herr Fuchs war das. Wir haben immer Kontakt gehabt."
Der zweite Geburtstag
Seit damals feiert die 90-jährige Edith Spandl gemeinsam mit ihrer Familie an jedem 30. Jänner ihren 2. Geburtstag. "Macht's nie wieder Krieg! Kein Nationalsozialismus mehr, bitte, nein! Und wehrt euch gegen diese Randalierer", appelliert sie abschließend an die Nachwelt: "Diese Hitlerei – dem Hitler hätt' ich woll'n treten!"
Über die Wilhelm Gustloff
Die Torpedierung der Wilhelm Gustloff am 30. Jänner 1945 durch ein russisches U-Boot, ist weltweit die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten. Ursprünglich als Kreuzfahrtschiff für rund 2.000 Passagiere ausgelegt, starben auf der Gustloff in dieser Nacht von insgesamt rund 10.000 Flüchtlingen 9.000 Menschen einen grausamen, eiskalten Tod.
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