Hauptbahnhof: Die Stille inmitten der Hektik
Nobert Klein ist Seelsorger am Wiener Hauptbahnhof. Im "Raum der Stille" hört er zu und hilft.
FAVORITEN. Rund 150.000 Menschen hetzen täglich über den größten Bahnhof Österreichs – den Wiener Hauptbahnhof. An einem Ort mitten im größten Trubel ist aber Ruhe angesagt: Im „Raum der Stille“ ist es niemals laut, obwohl sich hier nur allzu Menschliches abspielt. Hier arbeitet Bahnhofsseelsorger Norbert Klein.
Er deutet auf drei in ein Eck gelehnte Stofftaschen: „Vor ein paar Wochen kam eine ältere Dame zu mir, eine Deutsche. Sie fragte, ob sie ihre Sachen abstellen darf. Seither stehen diese Taschen hier. Die Dame kommt jeden Tag wieder, um etwas abzuholen oder zu bringen. Hier steht alles, was sie besitzt.“
Der „Raum der Stille“ ist eine Einrichtung der Erzdiözese Wien, einzigartig in Österreichs Bahnhöfen. Nichts an diesem Ort sticht ins Auge. Direkt davor leuchtet in aufdringlichem Orange die Reklame des Autovermieters Sixt, der versucht, Kundschaft anzulocken.
Täglicher Besuch
Kurz vor 12 Uhr öffnet eine ältere Dame mit mittellangen Haaren die Tür einen Spalt, schlüpft herein, setzt sich auf einen der Stühle im Gebetsraum und ruht sich kurz aus. Die Obdachlose kommt täglich. Die Nächte verbringt sie in einem Caritas-Zentrum.
Das ist der Alltag des Bahnhofseelsorgers: Klein informiert Besucher, er hilft und hört zu. Er war acht Jahre lang in der Psychiatrie als Seelsorger tätig, seit April 2016 arbeitet er am Hauptbahnhof.
Der Schreibtisch neben der Tür ist Büro- und Infotisch zugleich. Daneben steht ein Aktenschrank. Neben Bürokram sind hier auch Broschüren, Listen und Gebetsteppiche verstaut. Für Muslime. Sie sind willkommen, auch wenn sich das Gebet für viele von ihnen in einem katholischen Gebetsraum schwierig gestaltet. Sie beten hier täglich, in einem Nebenraum, in dem Putzkübel und Reinigungsmittel stehen, eine Leiter und ein paar aufgestapelte Stühle – die Reserve. Rund drei Quadratmeter Platz bietet das Eck, aber es ist frei von katholischen Zeichen und Symbolen. „Wir haben einfach geschaut, wo Osten ist“, sagt Klein und deutet auf die großteils kahle Wand mit dem Feuermelder: „Die Umgebung ist egal, der Untergrund muss rein sein.“
Herr Klein erzählt von seinem Alltag, besonnen und ruhig wirkt er. Den „Weinstein“ am Hauptbahnhof, wie ihn Seelsorger Norbert Klein liebevoll nennt, besuchen alle Alters- und Gesellschaftsgruppen, täglich zwischen 50 und 100 Personen. Manche von ihnen kommen einmal, bleiben einige Minuten, ruhen sich aus und gehen wieder. „Laufkundschaft“ nennt sie Klein. Andere, etwa die Hälfte der Besucher, kommen immer wieder. Für sie ist dieser Raum ein „Ankerpunkt“ in ihrem Leben.
Dann öffnet sich die Tür einen Spalt, eine Dame kommt herein und Herr Klein macht das, was er jeden Tag macht: Er ist da.
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