NINA - Ein Kurzkrimi von Norbert Stöckl

Nachdenklich lehnte sich Doppler zurück und warf die Beine auf den Schreibtisch. Der Glanz des Leders seiner schwarzen Mokassin schimmerte im matten Schein der Tischlampe, während er den Kopf stimmig zu Ravels Bolero im Takt wiegte.
Endlich wieder daheim, in seiner kleinen Detektei in Hernals, nach dieser endlos langen Zeit.
Vorsichtig griff Paul nach dem Bilderrahmen, der nur darauf wartete betrachtet zu werden. Eine wunderschöne Frau, Mitte Vierzig, mit blonden, schulterlangen Haaren lächelte ihm einladend entgegen. Wie schade, dass er sich trotz größter Anstrengung auch nicht an das kleinste Detail ihrer gemeinsamen Vergangenheit erinnern konnte.
Infantile Amnesie oder aber vorübergehendes amnestisches Syndrom hatten die Ärzte seinen Zustand betitelt, als er nach acht Wochen, einem dramatischen Sturz zu Folge, wieder die Augen öffnete und nicht mehr wusste wer er eigentlich war. Na wenigstens hat die lange Rehabilitation geholfen seine ehemalige Mobilität wieder zu erlangen. Ja doch, es funktionierte fast alles wie vor einem Jahr - bis auf seine Erinnerung, der er sich stets seiner Frau bediente.
Tag für Tag war Nina an seinem Bett gesessen und hatte ihm sein Leben buchstäblich erzählt. Von den Jahren seiner Jugend bis hin zu ihrer Partnerschaft. Der Tag des Unfalls wurde ihm bewusst lange Zeit verschwiegen.
Ein wenig unsicher stellte Paul das Bild wieder zurück und wandte sich dem verstaubten Aktenwagen zu. Elmaurer, Giselka, List und Steinbaum, das waren also die letzten Aufträge gewesen. Nein, mit diesen Fällen wollte er sein Schicksal nicht in Verbindung bringen. Aber was zum Teufel hatte ihn damals nur um ein Uhr Nachts auf die Höhenstraße getrieben?
Erneut blickte er wieder auf das Bild seiner Nina. Irgendetwas störte ihn an ihr - wenn er auch nicht wusste was es war. Eine so anziehende Frau hätte sich ihr Dasein bestimmt anders vorgestellt, als mit einem zeitlich begrenzten Idioten ihr Leben zu verbringen. Ein Jahr lang hatte sie ihn gezielt von der Außenwelt abgeschirmt, behütet wie einen Diamanten, den es galt erst den richtigen Schliff zu verpassen - aber warum?
Noch einmal drückte er die Taste der kleinen HiFi-Anlage und wartete auf die ersten, zarten Klänge des Boleros. Dieses Meisterwerk an Harmonie dessen Leidenschaft sich bis hin zur Ekstase steigert, hier in diesem Büro? Giselka, Giselka…der Name tauchte plötzlich wie ein Flashlight vor ihm auf.
Neugierig griff er nach dem Akt und öffnete ihn. Er war völlig leer.
Halt, da stand doch etwas in seiner Handschrift auf der Innenseite geschrieben. Ob es sich dabei vielleicht um eine Telefonnummer handelt?
Im nächsten Moment hatte er auch schon eine Idee. 1102 60 12 - wenn man die Zahlen von rechts nach links liest, dann könnte es auch ein Datum sein, nämlich der 21.6.2011, also genau eine Woche vor seinem schrecklichen Unfall. Wo mochte er nur sein, dieser geheimnisvolle Akt, der ihm schon damals als gar so wichtig erschien war?
Aufgeregt streiften seine Blicke durch den Raum. Der Schreibtisch oder das Sofa - viel zu banal - ebenso wie die diversen anderen Einrichtungsgegenstände mit aktivem Verwendungszweck. Nein, es musste schon etwas sehr Persönliches sein, ein Gegenstand allgemeiner Akzeptanz ohne jeglichen Anstoß zu tieferem Interesse.
Den letzten Gedanken zu Ende gebracht drehte er sich auf dem Sessel herum und starrte auf eine Radierung - Blick über Wien. Vorsichtig hob Paul sie herab. Die Rückseite war mit einem Karton verklebt, der bei genauerer Betrachtung den zarten Schnitt eines Stanley-Messers offenbarte. Ein geheimer Briefschlitz? Dopplers Schläfen hämmerten wie wild.
Aufgeregt fasste er hinein und fühlte die glatte Fläche einer Klarsichthülle, die er behutsam herauszog.

"Da hast du ihn also versteckt?", ertönte plötzlich eine bekannte Stimme vom Vorraum herüber.
Paul zuckte zusammen, während die schemenhafte Gestalt sich langsam aus der Dunkelheit näherte. Das Klacken von hohen Absätzen erfüllte den Raum.
"Ni…Nina…", stotterte er fragend. "…bist du es?"
Der Lichtkegel der Schreibtischlampe offenbarte ihm zwei wohlgeformte Beine, deren verführerische Schenkel von einem nur kurzen Rock reizvoll verdeckt wurden.
"Gib ihn schon her!"
Auffordernd streckte sich ihm ihre Hand entgegen und Paul erkannte sofort den silbernen Armreif mit dem Drachenkopf, den er Nina erst vor wenigen Wochen bei Thomas Sabo gekauft hatte.
"Aber Schatz, was willst du mit dem Akt?"
"Unser verdammtes Leben retten, du Narr!", zischte sie ihn an und erschien nun zur Gänze in seinem Blickfeld. Ihre Augen funkelten wie zwei blaue Saphire, als Paul blitzartig zurückschreckte.
Blau, das war es also, was ihn die ganze Zeit über irritiert hatte.
Gewandt drehte er die Fotografie in ihre Richtung.
"Deine Augen?"
"Shit!", entfuhr es ihren Lippen und hilflos stützte sie sich ab.
Sekundenlang starrten sie einander an, unfähig sich eines Wortes zu bedienen. Nina zitterte und dicke Tränen sammelten sich in ihren Augen.
"Ja, sie waren braun…ihre Augen waren braun, nicht blau wie die meinen!", dann griff sie nach der Klarsichthülle und legte Paul ein Foto nach dem anderen auf den Tisch.
"Aber das bist ja DU…mit einem fremden Mann!"
Sie schluckte: "Nein, nicht ich, sondern Nina, deine damalige Nina! Und er war mein Mann!"
"D…Dein Mann?", stotterte Paul und wartete auf eine Erklärung, die auch sogleich erfolgte.
"Gerd Giselka, ein Grazer Geschäftsmann auf seinen ständigen Reisen nach Wien! Ich hatte dich beauftragt ihn zu beschatten. Nenne es Schicksal, als wir beide uns zum ersten Mal sahen - oder Liebe auf den ersten Blick? Die starke Ähnlichkeit mit deiner Frau hatte dich schon damals ganz schön aus der Ruhe gebracht. Nie werde ich den Abend vergessen, als du mich in deine Kanzlei gerufen hattest. Zornig hast du mich beschimpft dich an der Nase herumgeführt zu haben, wohlwissentlich, dass die Frau auf den Fotos doch nur deine Nina sein konnte. Du hast geweint und mich an dich gedrückt, und später haben wir miteinander geschlafen!"
Nina stockte und blickte auf Paul, um anschließend weiter fortzufahren.
"Woche für Woche haben wir uns getroffen, den Fremdgängen unserer Partner schon lange keine Bedeutung mehr beigemessen…bis zu jener Nacht, als du mir den herrlichen Ausblick über Wien zeigen wolltest. Eng umschlungen sind wir dagestanden und haben auf die schlafende Stadt geblickt, als plötzlich ein zweiter Wagen geparkt hatte. Restlos gelähmt habe ich dagestanden, als ich im nächsten Moment auch schon zu Boden ging. Es war Gerd!
Schützend hast du dich vor mich gestellt und seine Schläge pariert. Wieder und wieder hat er versucht mich zu erreichen, doch du hast mich verteidigt und ihm letztendlich die Nase gerbrochen. Ich sehe noch heute sein schmerzverzerrtes Gesicht, während dich Nina laut beschimpte!"
"Und dass du es weißt, das Haus gehört mir…", ergänzte Paul und stemmte seinen Kopf in die Höhe.
"Ja…", antwortete Nina völlig perplex, "…das waren ihre letzten Worte gewesen…du kannst dich wieder erinnern?"
Er nickte ihr zu.
"Ich denke schon, zumindest sehr schemenhaft…doch was geschah dann?"
Zärtlich griff sie nach seinen Händen und drückte sie sanft.
"Der laute Knall, Sekunden nachdem die beiden davongebraust waren, die Explosion und dann das schreckliche Feuer…du bist ihnen hinterher, so schnell du nur konntest und plötzlich bist du gefallen, irgendwie umgeknickt und mit dem Kopf auf den Begrenzungsstein aufgeschlagen. Das viele Blut…ich habe dich gehalten, gewartet bis die Rettung kam…oh Schatz, was habe ich nur für Ängste ausgestanden, dich für immer zu verlieren!"
Sehnsüchtig richtete sie sich auf und trippelte hastig um den Schreibtisch herum.
"Und Nina…Gerd…verbrannt?", flüsterte Paul und zog sie zu sich auf den Schoß.
"Nina? Aber die gibt es für dich doch noch immer, erblondet und mit strahlend blauen Augen, hast du dir das nicht immer gewünscht?"

Ihr/Euer NorbS

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