ZWÖLF JAHRE - Ein Kurzkrimi von Norbert Stöckl
Lange nichts mehr geschrieben NorbS, sagte ich zu mir selbst und setzte mich eines Abends wieder vor den PC um meine Gedankenfragmente zu formen.
Da war doch diese Idee mit der Kriminal-Kurzgeschichte. Vielleicht ist es ja geschickter nicht ganze Bücher als Mehrteiler, zerfleddert in unzählige Kapitel, online zu präsentieren? Die heutige Welt ist gehetzt, eingeteilt in Minuten - wer findet da schon Muße, Woche für Woche, einen Fortsetzungsroman zu lesen…also...
ZWÖLF JAHRE - Ein Kurzkrimi aus Favoriten
Genussvoll zündete sich Julius eine Zigarette an und rückte den schweren Bleikristallaschenbecher wieder zurecht. Der schwarze Lederhandschuh umspannte seinen Handrücken, während er mit dem Zeigefinger unwillkürlich das Rot auf dessen Kante verschmierte.
Müde streckte er die Beine von sich und versank noch tiefer in der Ungemütlichkeit der noblen Garnitur, als die antiquierte Pendeluhr an der Wand die elfte Stunde des Abends verkündete.
"Zwölf Jahre meines Lebens, zwölf Jahre einfach weg…und jetzt, wo alles erledigt ist, verspüre ich nicht das geringste Gefühl der Erleichterung. Von wegen, die Schatten der Vergangenheit würden mit einem Male verschwinden. Oh nein, sie sind noch immer da und werden es auch immer sein!"
Achtsam machte Julius einen letzten Zug, dämpfte den Stummel dann aus, um ihn anschließend wieder in der Zigarettenpackung zu deponieren. Nichts sollte auch nur im Geringsten irgendwelche Rückschlüsse auf seine Person erlauben.
"Eine tolle Erfindung, diese Ganzkörper-Overalls mit den passenden Schuhüberziehern! Preiswert und effektiv, aber vor allem einfach zu beschaffen, ohne viel Aufsehen und nicht nachvollziehbar, Wochen zuvor über das Internet. Ich werde ihn auf dem Heimweg wieder entsorgen, so wie beim letzten Mal!"
Der Schlafrock der am Boden liegenden Person spiegelte selbst jetzt noch die Überheblichkeit dieses Subjekts wieder, dem er doch letztendlich sein beschissenes Leben zu verdanken hatte.
"Zwölf Jahre wären wohl auch dir noch verblieben, genauso wie dem Herrn Doktor. Na wenigstens durftest du ihn um einige Tage überleben!"
Mit aller Kraft mühte er sich auf, schritt auf den feudalen Schreibtisch zu, der nur wenige Meter von der Sitzecke entfernt den Raum beherrschte und kippte den Besuchersessel auf den Teppich. Auch wenn er hier nie gesessen hatte, so sollte es doch den Anschein vermitteln als wäre eine Unterhaltung dieser Tat vorangegangen. Der ansehnliche Ohrenstuhl dahinter, ein Prunkstück aus massiver Eiche, war lediglich zur Seite geschoben und passte genau ins Bild. Julius öffnete seinen Rucksack und holte den Akt Dolski hervor, den er noch vor wenigen Stunden unbemerkt aus dem Büro des Opfers entwendet hatte. Offen platzierte er ihn auf den Tisch - natürlich ein klein wenig nach links geneigt, wie bei Rechtshändern so üblich.
"Peter Dolski, der Wahnsinnige der Frau und Kinder nach einem Ehestreit ermordet haben soll ist vor drei Tagen aus seiner U-Haft geflohen. Ein wahrlich glücklicher Zufall, der dieser Tat noch mehr an falscher Fährte verschafft. Seltsam, aber das schwarze Kostüm am Kleiderhaken, auf der Klinke der Doppelflügeltür zum Nebenzimmer, erinnert mich an deinen Auftritt heute Vormittag. Ob du es wohl wissentlich gleich hängen hast lassen?"
Julius näherte sich dem Anziehungspunkt seines Interesses und erkannte nun auch die fein säuberlich zusammengelegten Strümpfe sowie den schwarzen Spitzentanga über den inneren Bügel gebreitet. Ein dazu passender Hut mit grobgenetztem Schleier komplettierte den grotesken Anblick. Behutsam fasste er nach dem Kragen und führte ihn sanft an seine Nase. Der schwere Duft teuren Parfüms durchdrang seine Sinne, während er fast wehmütig zur Seite blickte. Die kleine Blutlache um den brünetten Haarschopf herum sowie die bunt verstreuten Zigarettenstummel holten ihn schnell wieder in die Realität zurück.
"Eigentlich schade um dich.", flüsterte er hinüber. "Eine so attraktive Frau, Mitte Fünfzig! Warum hast du einfach nur immer auf diesen jungen Doktor gehört und kein bisschen auf sein Gegenüber? Wahrscheinlich warst du ja damals schon so interessiert, wo Ihr doch bis vor zwei Jahren noch eine Affäre hattet. Übrigens, eine spannende Konstellation als ich dich heute noch gemeinsam mit seiner Frau auf der Beerdigung beobachtet habe. Dieses zarte Geschöpf, mit tränenerfüllten Augen, so unwissend wie ein neugeborenes Kind und doch betrogen von dir!"
Julius war mittlerweile neben sein Opfer getreten, als er im nächsten Moment leicht ausholte und mit dem Fuß sanft in ihre Seite stieß. Dann kniete er nieder, überprüfte den nicht mehr vorhandenen Atem und stemmte sich beruhigt wieder in die Höhe.
"Schuldig im Sinne der Anklage…der Hinrichtung an dieser jungen Frau verurteilt, ohne auch nur die geringste Chance zu bekommen dich von meiner Unschuld zu überzeugen! Ja, ich habe Lena damals nach Hause gefahren. Es regnete und sie hatte schwer zu tragen. Ich half ihr dabei ihr neues Regal zusammenzubauen, danach tranken wir Kaffee! Weißt du überhaupt was es heißt all die Jahre von den anderen gemieden und tagtäglich als 'Der Schlächter' seines Lebens bedroht zu werden, nur wegen ein paar läppischen Schuhabdrücken in ihrer Wohnung? Frau und Kind hat es mich gekostet, von meinem Job und dem Zuhause ganz zu schweigen! Zwölf Jahre habe ich dir und diesem jungen Staatsanwalt zu verdanken. Tod und Verderben habe ich euch beiden gewünscht, hinter Gittern Pläne geschmiedet euch zu richten - zwei Morde - doch die Strafe dafür habe ich ja bereits abgesessen. Ein Freibrief…unterschrieben mit deinem Blut!"
Ein letztes Mal sah Julius auf die Tote hinab, dann verließ er den Tatort über den Garten. Als wäre nichts geschehen entledigte er sich seiner Schutzkleidung, stopfte diese in den Rucksack und entschwand im Dunkel der Nacht.
"Und, was sagen Sie dazu, Frau Dr. Sperling?", fragte der junge Turnusarzt gegen Mittag des nächsten Tages, nachdem er den Leichnam wieder in die Kühlbox geschoben hatte.
Die rothaarige, mollig-attraktive Gerichtsmedizinerin wandte sich um und schaute gelangweilt über den Rand ihrer Brille.
"Als ob ein eingeschlagener Kopf gleich immer auf einen Mord hinweisen müsste…ein typischer Sturz, sonst nichts…wie war doch der Name?"
"Prenner, Julius Prenner - angeblich hat er zwölf Jahre unschuldig gesessen weil er seine junge Arbeitskollegin zerstückelt haben soll. Eine neuerliche DNA-Analyse von vor einem Jahr hat dann einen der Nachbarn als den wahren Täter überführt. Wer weiß schon was damals wirklich geschah…ein tragisches Ende, spätnachts die Stufen vor seiner Wohnung hinunterzustürzen!"
Dr. Sperling zuckte mit den Schultern: "Da haben Sie recht, Dr. Kucha, aber jetzt wollen wir uns mal mit unserer ehrenwerten Richterin befassen, denn dieser Schädel hat sich nicht von selbst gespalten!"
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