Richtungsstreit in der Wiener SPÖ: "Man kann Zusammenhalt nicht verordnen"
Eva Maltschnig, Vorsitzende der kritischen SPÖ-"Sektion 8" erklärt im Gespräch mit der bz, warum in 15 Jahren möglicherweise nichts mehr von der SPÖ Wien übrig sein wird, wenn sie es nicht schafft, Personalentscheidungen demokratisch zu treffen.
WIEN. Der mediale Wirbel um die Wiener SPÖ hat sich inzwischen zwar gelegt, vom Tisch ist das dahinter steckende Problem aber noch lange nicht. Der - für die SPÖ ungewohnte - öffentliche Machtkampf zwischen "linkem" und "rechtem" Flügel, der sich in der vergangenen Woche bis hin zu Rücktrittsforderungen an die Stadtregierung und den Bürgermeister zugespitzt hat, zeigt, dass es der Wiener SPÖ nicht gut geht.
Eva Maltschnig, Vorsitzende der "Sektion 8" - die dafür bekannt ist, nicht vor Kritik an der eigenen Partei zurückzuschrecken - erklärt im bz-Interview, warum die einzige Möglichkeit diesen Machtkampf zu beenden darin liegt, Personalentscheidungen durch die Mitglieder zu treffen. Denn jemand der nicht einmal in der eigenen Partei eine Mehrheit hat, werde auch keine Wahl gewinnen können.
In einem Blog-Eintrag bezeichnen Sie die Personaldiskussion in der Wiener SPÖ als „erbärmlich“. Das sind doch recht harte Worte.
EVA MALTSCHNIG: Ich finde es deshalb erbärmlich, weil wir tausend andere Probleme haben, die es Wert wären, mit viel Energie angegangen zu werden. Tatsächlich wird viel mehr Energie in diese Personaldebatte investiert - die aber kein einziges Projekt geschaffen hat oder einen einzigen Wähler von irgendwas überzeugen wird. Das gibt kein besonders gutes Bild ab.
Wie könnte man es besser machen?
So, wie es die meisten anderen Parteien im westlichen Europa tun, nämlich: Personalfragen über Wahlen zu regeln. Da entscheiden die Mitglieder, wer es werden soll. Es gibt viele Beispiele, wo das gut funktioniert hat. Etwa in Berlin nach dem Rücktritt von Klaus Wowereit 2014 war überhaupt nicht klar, wer das Ruder übernehmen soll. Dort hat man gesagt: „Wenn sich kein Kandidat abzeichnet, dann machen wir eben eine Wahl.“ Drei Leute haben sich zur Wahl gestellt, Michael Müller ist es geworden und er ist heute noch Berliner Bürgermeister. Das ist eine gute Variante - vor allem wenn es um unterschiedliche Themenschwerpunkte geht, die einzelne Leute setzen wollen - um klar zu sehen: wofür gibt es eine Mehrheit? Wer bekommt Zustimmung?
Glauben Sie, dass es der SPÖ auch im Rahmen von Wahlen auf Bundes- bzw. Landesebene zum Verhängnis werden könnte, wenn man es nicht schafft, sich intern demokratischer aufzustellen?
Ich glaube schon, dass sich immer mehr zeigt, dass es unterschiedliche Meinungen gibt - allein schon durch die verschiedenen Positionen in den Landesparteien. Diese inhaltlichen Unterschiede werden sogar mehr, als weniger werden. Und ich denke, man kann Zusammenhalt nicht verordnen. Man muss die unterschiedlichen Ideen aushandeln können. Das geht aber nicht, wenn es kein Ventil dafür gibt.
Dafür reichen die Diskussionen in den existierenden Gremien nicht aus?
Nein. Denn es geht auch um das Gefühl der gerechten Vertretung. Was für mich bei dieser ganzen Diskussion um die SPÖ Wien immer mitschwingt, ist diese Behauptung einer Gruppe, sie wäre unterrepräsentiert, weil die Stadtregierung nicht widerspiegeln würde, was die Basis angeblich will. Das Argument, dass die Positionen von jenen, die in Funktionen sind und der Basis näher gekoppelt werden müssen finde ich gut. Aber: momentan kann das jeder behaupten. Denn man weiß nicht, was die Leute tatsächlich wollen. Das ist eine bewusst verwendete Unklarheit. Die Behauptung „Wir sind eigentlich die Mehrheit“ ist ein rhetorisches Spiel - denn man weiß nicht, ob das wirklich Mehrheitspositionen in der Wiener SPÖ sind.
Wie könnte so eine Wahl des Vorsitzenden konkret ablaufen?
Da kann man sich einiges von anderen Parteien abschauen. Es müsste ein Stichtag festgelegt werden und alle Personen, die zu diesem Zeitpunkt SPÖ-Mitglied sind, sind wahlberechtigt. Dann wird es eine Prozedur geben müssen, mittels derer KandidatInnen ermittelt werden, also etwa Unterstützungserklärungen durch Parteimitglieder für eine Kandidaten bzw. eine Kandidatin. Und dann könnte man es machen wie die SPD Berlin, das fand ich recht charmant: Die haben Mitgliederforen in den einzelnen Stadtteilen veranstaltet wo sich die Kandidaten vorstellen und ihre Argumente gegenüber stellen konnten. Und dann gibt es eine Wahl. Die SPD hatte damals eine Beteiligung von rund zwei Drittel und ich glaube, das wäre auch eine gute Gelegenheit, die Mitglieder in Wien zu aktivieren und zu zeigen, dass auch ihr Mitgliedsbeitrag einen Wert hat - nämlich, dass sie etwas wesentliches mitbestimmen können.
Warum hat man sich das bisher nicht getraut - gibt es in der SPÖ unter den „Herrschenden“ Angst, dass sie selbst oder ihr Wunsch-Kandidat nicht durchsetzen könnte?
Es geht auf jeden Fall um das Thema Kontrollverlust. Weil man mit so einer Variante natürlich nicht „das Zepter übergeben“ kann. Aber: das ist eine Demokratie und keine Monarchie. Und da ist es nun mal so, dass man sich um Mehrheiten bemühen muss. Und die internationale Erfahrung hat gezeigt: Wer es nicht mal in seiner eigenen Partei schafft, eine Mehrheit zu bekommen, wird sich auch bei Wahlen nicht durchsetzen können.
Ist das ein österreichisches Phänomen, dass es keine Kultur von demokratischen Entscheidungen innerhalb der großen Parteien gibt?
Es ist schon auch ein österreichisches Phänomen, wobei man sagen muss, dass die Grünen und die NEOS viel fortschrittlicher sind, was diese Dinge betrifft. Die bestimmen ihre Kandidaten durch Vorwahlen. Rot, Schwarz und Blau machen das nicht und das liegt wohl auch an dem Spezifikum des österreichischen Parteienstaats. Andere Parteien in anderen Ländern mussten sich da einfach schon viel früher öffnen, weil die nie diesen Gestaltungsspielraum in Regierungen hatten, wie die österreichischen Regierungsparteien. Die mussten sich überlegen wie sie die besten Köpfe für ihre Teams gewinnen. Die hatten somit immer das „Problem“, unterschiedliche Meinungen in einer Partei unterzubringen.
Und in der SPÖ?
Gerade in der SPÖ ist es lange so gewesen, dass man nicht zugeben konnte, dass es überhaupt unterschiedliche Meinungen gibt. Die italienienische Partito Democratico würde das anders gar nicht schaffen - die war früher ein Konglomerat aus unterschiedlichen Parteien, die zusammen gefasst wurden. Und der einzige Weg, wie man die unterschiedlichen Meinungen abbilden kann, ist über Wahlen. Vor allem fühlen sich die Mitglieder dann auch repräsentiert.
Gibt es Hoffnung, dass bereits Häupls Nachfolger bzw. Nachfolgerin gewählt werden könnte oder braucht das noch ein paar Generationen?
Ich hoffe, das passiert früher als in ein paar Generationen, weil dann geht es um nichts mehr, es wird zu spät sein. Ich habe den Eindruck, dass den Leuten die Dramatik dieser Sache nicht bewusst ist. Sie gehen davon aus: Der Bürgermeister ist uns sowieso sicher, egal mit wem wir antreten, im schlimmsten Fall verlieren wir halt ein paar Prozent. Aber das stimmt nicht mehr. Es kann gut sein, dass in 15 Jahren nichts mehr übrig ist von der SPÖ Wien. Und ich glaube, dass es extrem wichtig wäre, das sofort anzugehen. Und selbst wenn Michi Häupl noch einmal kandidieren will - dann soll er das bitte machen. Aber dann muss es auch für jene Leute, die wollen, dass er es nicht mehr macht, die Möglichkeit geben, zu sagen: ich stelle mich auch zur Wahl. Wenn ich Häupl wäre, fände ich das gut - weil dann können die Leute nicht mehr nur laut schreien, dann müssen sie beweisen, dass sie tatsächlich populärer sind und bessere Ideen haben.
Apropos bessere Ideen: Am Mittwoch gab es erstmals eine öffentliche Diskussion zwischen SPÖ-Chef Christian Kern und FPÖ-Chef H.C. Strache, die sehr „amikal“ gelaufen ist. Das hat bisher noch kein Vorsitzender der SPÖ gemacht. Was halten Sie davon?
Ich fand vor allem Kerns Schlusssatz gut: „Inhaltlich trennen uns mittlere Welten“. Weil darum geht es: Man muss durchaus sagen, dass die FPÖ politische Vorschläge hat und da muss man - mit allen Konsequenzen - diskutieren, was diese bedeuten. Das ist viel wertvoller als zu sagen: „Mit dem rede ich nicht, weil das ist ein Rechter.“
Zur Person
Eva Maltschnig, geboren 1987 in Zell am See, war Chefin des Verbands sozialistischer StudentInnen in Wien und Generalsekretärin der Österreichischen HochschülerInnenschaft. Seit 2014 ist sie Vorsitzende der Sektion 8 am Wiener Alsergrund, einer SPÖ-Teilorganisation, die sich Partei- und Politikveränderung zum Ziel gesetzt hat. Sie ist außerdem Autorin des Buches "Warum Demokratie Parteien braucht", das im Jahr 2012 im Czernin Verlag erschienen ist.
Hintergrund
Bericht: Parteivorstand: Steht Stadtregierung vor Umbau?
Bericht: Richtungsstreit: Öffentliche Rücktrittsforderungen in der Wiener SPÖ
Bericht: SPÖ Wien: "Faymann-Rächer" wollen Bürgermeister absägen
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.