„Bahnhofsgeschichten“ der Volksbühne Fritzens!
Einsteigen zu einem sentimentalen Goodbye

Ein besonderes Theatererlebnis, das es einem leichter macht, den Abschied von der Generationen prägenden Halle mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu nehmen.
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  • Ein besonderes Theatererlebnis, das es einem leichter macht, den Abschied von der Generationen prägenden Halle mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu nehmen.
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Eine stimmige Reise in die Vergangenheit, liebevoll inszeniert, mit Herzblut gespielt: „Bahnhofsgeschichten“ der Volksbühne Fritzens!

Die Bahnhofshalle Fritzens-Wattens, ebendort das Kioskbuffet mit Tabaktrafik, die Preistafel von anno dazumal: Landjäger S 12,--, Bier S 16,--, Fleischkäsesemmel S15,-- etc. Grete & Marianne sitzen vor einem Spritzer, Männer gesellen sich hinzu. So beginnt eine Zeitreise, quasi als erste Station, im Off eine Frauenstimme (jener der Tiroler Mimin Gabriele Mitternöckler) – aha, der Bahnhofslautsprecher informiert. Die Autoren Alexander Alscher und Hannes bzw. Karoline Klingler (auch Spielleiter) drängen zur Abfahrt. Musik ertönt, ja, wir Älteren kennen sie noch, auch die Kleidung, natürlich: 70er Jahre! Stolz besprechen die zwei Damen ihre ersten Errungenschaften zeitgemäßen Lebens: ein Kühlschrank, nach dem Staubsauger! Urlaub zwar gestrichen, Hausbau verschoben, Auto detto – aber es geht bergauf. Eine Fremde in der Wartehalle sucht eine Arbeitsstelle, eine Unterkunft, Margarethe mit Baby, wir werden sie wieder treffen. Da, ein fast nackter Mann, braungebrannt, Max Anlass aus Wattens, eine Art WALULISO tiroler Prägung, geduldetes Original (mutig interpretiert von Manfred Thaler). Doch der Zug fährt weiter zur Station zwei: 80er-Jahre, Chabeso, Stollwerkzuckerl, Teenagerschülerinnen mit Schlaghosen und voller „Kriegsbemalung“ sprechen vom Lehrer Moser, von Swarovski und der Papierfabrik, prominente Arbeitgeber, bei dem ihre Eltern arbeiten. Ein schwer verkaterter Postler wankt zum Buffet (gelungen authentisch gespielt von Anton Lutz), im Hintergrund deutscher Schlagercharme. Station drei (1993) lässt einen Sandler mit geklautem Einkaufswagen ins Bild, alles wird gesammelt, Volksmusikanten bereichern die Halle und verführen zum Mitklatschen bei der Tiroler Ersatzhymne (Florian Pedarnig, verzeih ihnen); die vormals arme Margarethe hatte sich emanzipiert, ist Journalistin und kontert die frechen Ansagen der illuminierten Männer beim Kiosk. Ein ÖBB-Servicemann füllt die WC-Automaten mit Kondomen, die flotte Ulrike aus der Bundesrepublik bezirzt die drei Musiker, der Zirbenschnaps soll als „Dosenöffner“ wirken, political correctness : ein Fremdwort. Station vier: (2003) Oh, da hat sich was geändert, siehe Preistafel: Der Euro ist ins Land gezogen: € 1,50 der Kaffee! Und da wird an Rubbellosen gerubbelt, plötzlich Rettungsautos, Polizei, Blaulicht, Schüsse im Hintergrund, Perlustrierung der Fahrgäste, der „Tiroler Leonardo da Vinci“ alias Holzer nimmt Anna, Margarethes Tochter als Geisel, sie ist nun Marketingleiterin bei Swarovski, die Sache endet glimpflich. Der portugiesische Gastarbeiter beim Tonwerk stellt in einer Nacht seinen ganzen Lottogewinn über € 10,000,– in Schwaz auf den Kopf! Alles true stories! Station fünf (2013) Modern Times! Jung hilft Alt beim Fahrkartenautomaten, das Internet ist allgegenwärtig, ein schwarzer Pfarrer irritiert zuerst einmal, er nimmt’s mit Humor. Station sechs (2023) Anna wird umgeschult auf Kommunikation, arbeitet im Buffet. Ein dubioser Wanderhändler verkauft Kochtöpfe und deklariert sich als „einzig ehrlicher Pole“, ein indischer Tourist entdeckt die Wohltaten des Schnupftabaks und kauft den ganzen Vorrat der Trafik, Margarethe ist nun im Rollstuhl und gerät damit auf die Geleise, die Feuerwehr muss her! Da wird der Wunsch laut: Zeit ist’s für einen barrierefreien Umbau des Bahnhofs!

Es war eine großartige Idee, Schauspieler aus den umliegenden Gemeinden einzubinden, ist es doch der alle wichtige Bahnhof für Fritzens, Baumkirchen, Wattens, Wattenberg, Kolsass. Bei 26 Darstellern, wovon neun zum ersten Mal auf der Bühne standen, können nur stellvertretend einige Namen des großartig zusammenwirkenden Ensembles genannt werden. Alexander Alscher als indischer Gast und portugiesischer Arbeiter als komödiantisches Highlight, Gerhard Schwaninger, witzig als Pfarrer Desmond und Servicebeamter, Dieter Farbmacher gefällt als plauschender Schrankenwart und Gendarm, Sieglinde Heumader wirkt glaubwürdig mütterlich als Kioskdame, Tobias Göstl brilliert als Ziehharmoniker und goscherter Saufbruder Emil, Maria Schabus schlüpft gekonnt in diverse Figuren im Wechsel der Jahre, Michael Ortner gelingen ebenfalls seine changierenden Personen, Christine Höfle kann ihre Frauenrollen überzeugend in Szene setzen. Der nostalgische Abgesang zum baldigen Abriss der einst recht interessanten Bahnhofshalle wurde erst durch den ehemaligen ÖBB – Sprecher und jetzigen Landesrat René Zumtobel ermöglicht, der übrigens bei der besprochenen Vorstellung anwesend war. Ein besonderes Theatererlebnis, das es einem leichter macht, den Abschied von der Generationen prägenden Halle mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu nehmen.

Eine Theaterkritik
von Peter Teyml


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