Von wegen Ruhestand: „Jetzt werde ich Jungunternehmer“

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Beinahe 30 Jahre lang hat sich Willi Krüger als Prokurist der Pitztaler Gletscherbahnen für den Tiroler Tourismus engagiert. Der gebürtige Lübecker hat in Tirol seine Heimat gefunden, seine Wurzeln aber nie vergessen: Er spricht noch heute nahezu akzentfreies Hochdeutsch.

BEZIRKSBLATT: Herr Krüger, 28 Jahre als Pitztaler Gletschermanager, insgesamt beinahe 35 Jahre im Tourismus – droht jetzt der Pensionsschock?
WILLI KRÜGER:
„Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich sicher nicht zuhause Däumchen drehen werde. Das kann ich alleine meiner Frau Eva schon nicht antun. Nein, im Ernst: Ich möchte eine Beratungsfirma gründen, die sich an Unternehmen im Tourismus wendet. Meine Berufserfahrung sollte dabei recht hilfreich sein. Ich werde also Jungunternehmer.“

BB: Mit welchen Gefühlen erinnern Sie sich an die Anfänge am Pitztaler Gletscher?
WILLI KRÜGER:
„Als ich 1983 von Hans Rubatscher engagiert wurde, hatte ich in Innsbruck bereits mein Volkswirtschaft-studium absolviert und sechs Jahre Erfahrung im Tourismus gesammelt. Die Anfänge waren von viel Überzeugungsarbeit geprägt. Nach Innen und nach Außen erforderte die Idee der Gletscher-Erschließung viel Engagement. Vor allem waren zu jener Zeit Handy und Internet noch nicht vorhanden. Mit Festnetz, Telefax und viel ‚Klinkenputzen‘ wurde der Betrieb organisiert. Ich habe alleine dienstlich mit dem Auto mehr als 35 Mal die Erde (Luftlinie) umrundet.“

BB: Die 40-Stunden-Woche war also kein Thema. Vermutlich leidet das Privatleben bei so viel beruflichem Engagement?
WILLI KRÜGER:
„Selbstverständlich muss man familiäre Abstriche machen. Manchmal ist mir meine Tätigkeit durch die vielen Reisen wie ein Zigeunerleben vorgekommen. Ich reise aber auch privat mit meiner Frau sehr gerne, und der Touristiker in mir ist natürlich in jedem Land der Welt neugierig auf das Angebot, die Infrastruktur und was sonst noch alles dazugehört.“

BB: Hat es auch Tiefpunkte gegeben? Was für Erinnerungen waren prägend?
WILLI KRÜGER:
„In diesem Beruf ist man sehr exponiert. Wunderschöne Begegnungen und tolle Menschen habe ich ebenso getroffen, wie leider auch weniger schöne Momente durchlebt. Der tödliche Trainingsunfall von Régine Cavagnoud und eines Nachwuchs-Rennläufers waren schlimme Erfahrungen, obwohl uns keine Schuld traf. Auch als es in Kaprun zu dem schrecklichen Feuerunfall gekommen ist, mussten wir eine schwierige Zeit durchmachen. Unsere Sicht der Dinge zu kommunizieren, war für mich immer die größte Herausforderung. Der Umgang mit den Medien erfordert viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Und gute Nerven.“

BB: Der Bau des so genannten Notweges vom Gletscher ins Tal machte Schlagzeilen, weil keine Baugenehmigung vorlag. Rückblickend die richtige Entscheidung?
WILLI KRÜGER:
„Den Weg zu bauen, war alleine aus sicherheitstechnischen Erwägungen richtig. Auch wenn uns dies oft in Absprache gestellt wurde, war und ist das der einzige Grund. Zu den rechtlichen und sonstigen Nebengeräuschen möchte ich aber keinen Kommentar abgeben. Der Wegbau war notwendig.“

BB: Noch eine Frage zum Thema Sicherheit. Schläft man eigentlich gut, wenn das Leben von tausenden Skifahrern und Snowboardern täglich vom Funktionieren der Technik abhängt?
WILLI KRÜGER:
„Nicht nur von der Technik hängt es ab. Als Seilbahner betreibt man ein witterungsabhängiges Gewerbe. Deshalb hängt es nicht nur von der sorgfältigen Wartung, die natürlich auch von der Behörde penibel geprüft wird, sondern auch vom Wetter ab, was man zu tun hat. Am Pitztaler Gletscher wurde in den vergangenen Jahren sehr viel investiert, Sessellifte erweitert, Gondeln gebaut, und auch in Sachen Beschneiung haben wird den Gletschersee gebaut und die technischen Anlagen erweitert. Ich habe aber tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten so manche schlaflose Nacht verbracht, denn die Verantwortung ist enorm.“

BB: Die Rede ist vom Bau der Wildspitzbahn. Was ist darunter zu verstehen?
WILLI KRÜGER:
„Die Pitz-Panoramabahn wird derzeit abgebaut und von Grund auf modernisiert. Auf den Brunnenkogel wird im kommenden Winter die neue Wildspitzbahn führen, die eine echte Attraktion sein dürfte. Damit wird die Modernisierungslinie am Gletscher konsequent fortgesetzt.“

BB: Nicht jedes Tal schafft es, sich als Marke zu etablieren bzw. den entsprechenden wirtschaftlichen Erfolg zu verbuchen. Was war das Pitztaler Rezept?
WILLI KRÜGER:
„Neben den klassischen Märkten Deutschland, Holland etc. haben wir ständig nach neuen Möglichkeiten Ausschau gehalten. Das war für mich mit besagtem Zigeunerleben verbunden, diente letztlich aber dem erreichten Ziel von Gästen aus mehr als 25 Ländern, die regelmäßig bei uns urlauben. Auch Kooperationen mit dem DSV und dem Behindertensport erwiesen sich als gute Sache. Beinahe alle Renn-Nationen haben bei uns trainiert.“

BB: Dazu gibt es sicher die entsprechenden Zahlen. Hat man alle Ziele erreicht, die man sich vor 30 Jahren gesteckt hat?
WILLI KRÜGER:
„Damals hat man viele Entwicklungen noch nicht annähernd abschätzen können. Und die Zeit war eine völlig andere: ‚Georg ist gletschergeil‘ - dieses Motto ließ damals die Wogen hochgehen. Politik und Klerus fühlten sich bemüßigt, sich dazu zu äußern. Heute ist es das Internet, das zu einer bestimmenden Kraft geworden ist. Zu den Zahlen: Als ich 1983 ins Pitztal kam, wurden 170.000 Nächtigungen in St. Leonhard gezählt. Heute sind es mehr als 550.000, im ganzen Tal rund eine Million Nächtigungen pro Jahr, die zu Buche schlagen. Die Modernisierung am Rifflsee hat nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer wesentliche Impulse gegeben.“

BB: Wohin geht die touristische Entwicklung? Hat sich das Urlauber-Verhalten geändert?
WILLI KRÜGER:
„Das hat es allerdings. Die Gäste sind mehr an ‚Action‘ als an Entspannung interessiert und legen sich mitunter in ihrem Urlaub einen regelrechten Leistungsdruck auf. Dies führt nicht immer zu wünschenswerten Entwicklungen, kann aber auch positive Blüten treiben, wie man am
Benni-Raich-Racecamp sieht, das bei den Gästen sehr gefragt ist.Die Gäste werden insgesamt anspruchsvoller und reklamieren schneller. Tourismus zu leben, ist nicht immer einfach, deshalb möchte ich mich an dieser Stelle auch innig bei meinen rund 100 Mitarbeitern bedanken. Ohne das Engagement von jedem Einzelnen wären die vergangenen Jahrzehnte nicht so erfolgreich gewesen. Jetzt wird aber erst einmal kräftig gefeiert und dann ein paar Tage geurlaubt.“

Das Interview führte
Clemens Perktold

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