Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit

Sterben | Foto: Foto: istockphoto
2Bilder

Tabuthema Tod: Die Hospiz-Gesellschaft Tirol begleitet Sterbende auf ihrem letzten Weg Angebot erst seit den 90ern vorhanden

Es gibt nur eine absolute Gewissheit im Leben eines Menschen, und genau diese wird in unserer Gesellschaft tabuisiert und verdrängt. Wer sich dennoch täglich mit dem Tod auseinandersetzt, das sind die Mitarbeiter der Hospiz-Gesellschaft, die Sterbenden eine würdevolle letzte Zeit ermöglichen.

(rj). Der Psychiater und Philosoph Viktor Frankl meinte einmal, das Leiden mache den Menschen hellsichtig und die Welt durchsichtig. Und genau
diese Hellsichtigkeit ist es, die man zu erfahren glaubt, wenn man mit Pflegedienstleiterin Elisabeth Draxl und Geschäftsführer Werner Mühlböck von der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft spricht. Sind sie doch beinahe täglich mit dem Leiden und dem Tod von Patienten konfrontiert, was trotz aller Erfahrung und Professionalität nicht spurlos an ihnen vorüber geht. Man verliert nicht ganz die Angst vor dem Sterben, aber sie wird einem vertrauter, sinniert Draxl über die persönlichen Auswirkungen ihres Berufs. Und man bekommt eine ganz andere Einstellung zum Leben. Viele Oberflächlichkeiten sind einfach nicht mehr wichtig, zeigt sich die Diplomkrankenpflegerin abgeklärt.

Die Angst vor dem Versäumten
Der Tod ist durchaus ein sozialpolitisches Thema. Es würde sich wohl einiges in unserer Gesellschaft verändern, wenn sich die Menschen ihrer eigenen Endlichkeit bewusster wären. Natürlich besteht die Gefahr, dass man sich dann in der oberflächlichen Suche nach Spaß verlieren würde, aber es könnte auch zu einer viel tieferen Suche nach wahrer Freude führen. Auf jeden Fall sollte das Thema aufgegriffen und Bewusstsein geschaffen werden, appelliert Mühlböck für einen offenen Umgang mit dem Sterben. Die Angst vor dem Tod ist umso größer, je weniger Auseinandersetzung damit stattfindet. Es ist auch weniger die Angst vor dem Sterben an sich, die unsere Patienten beschäftigt, als die Angst vor dem Versäumten im Leben. Vor körperlichen Schmerzen braucht man sich nicht mehr zu fürchten, die Palliativmedizin hat hier große Fortschritte gemacht. Aber es sind die seelischen Qualen, die unseren Patienten oft zu schaffen machen. Wir versuchen deshalb, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um etwa eine Aussöhnung mit Verwandten möglich zu machen, erläutert Mühlböck einen wichtigen Aspekt der Betreuung.

Einfach Zeit haben
Und tatsächlich, die Rahmenbedingungen sind gegeben, nicht nur was die Räumlichkeiten betrifft. Hell und freundlich präsentieren sich die Aufenthaltsbereiche, auch eine Küche ist vorhanden, und in den Zimmern wird alles versucht, um beklemmende Krankenhausatmosphäre außen vor zu halten. Wer sich einen düsteren und traurigen Ort erwartet hat, wird schnell eines besseren belehrt, man fühlt sich auf Anhieb wohl. Um das seelische Befinden der Patienten kümmern sich Psychiater und Seelsorger, die den Sterbenden helfen, mit den schwierigen Fragen nach Sinn, verfehltem Leben und Schuld umzugehen. Und oft reicht es einfach, Zeit zu haben und da zu sein, ergänzt Draxl.

Engagement und erhoffte Enttabuisierung
Die Möglichkeit einer würdevollen Sterbebegleitung gibt es noch nicht lange in Österreich. Erst in den frühen Neunzigern kam die Bewegung von England nach Europa, davor lag es an geistlichen Seelsorgern und einzelnen engagierten Individuen, welche sich die Betreuung Sterbender zum Ziel machten. Inzwischen gibt es in ganz Österreich eine Vielzahl haupt- und auch ehrenamtlicher Kräfte, die alle eine intensive Ausbildung durchlaufen. Die Finanzierung erfolgt teils durch Spenden und teils öffentlich, da es neben den Hospiz- und Palliativstationen, die als eigene Krankenanstalt gelten, auch mobile Teams gibt, die vor allem in ländlichen Regionen unterwegs sind. Dies entspricht auch dem Konzept, Menschen in ihrer letzten Phase in der vertrauten Umgebung zu belassen, insofern das gewünscht wird und medizinisch möglich ist. Auch für die Angehörigen gibt es unterstützende Angebote wie etwa Trauer-Gruppen und Einzelberatungen. Auf politischer Ebene wird versucht, durch gezielte Lobbyingarbeit Anliegen wie etwa die Familienhospizkarenz oder die Möglichkeit der Patientenverfügung durchzusetzen, oftmals mit Erfolg.

Für Mühlböck ein lohnender Einsatz, hofft er doch auf einen Paradigmenwechsel: Das Sterben ist eine wichtige Phase des Lebens und braucht Platz, Raum und Zeit, anstatt verdrängt zu werden.

Trauernde müssen konfrontiert werden

(fh). Seit Sigmund Freuds klassischer Monographie über Trauer und Melancholie aus dem Jahre 1917 wird von psychologischer Wissenschaft und Praxis die grundlegende Annahme geteilt, dass Trauernde zur Verarbeitung ihres Verlustes mit ihren Gefühlen konfrontiert werden müssen. Vermeiden sie diese Konfrontation, laufen sie das Risiko der Fehlanpassung, was durch die nicht verarbeitete Trauer Neurosen und Depressionen zur Folge haben kann. Die Trauernden müssen also Trauerarbeit leisten. Unter Trauerarbeit versteht man den Prozess der kognitiven Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des Verlustes: Die Verwitweten beschäftigen sich immer wieder mit Ereignissen vor und während des Todes und mit ihren Erinnerungen an den Verstorbenen. Die gefühlsmäßige Bindung zum Verstorbenen soll neu definiert werden.

Erschienen am 22.04.2009

Sterben | Foto: Foto: istockphoto
Berufung | Foto: Foto: Jindra
Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.