Der Schuster der guten Laune
Mit seinen 85 Jahren ist er vermutlich der älteste, noch praktizierende Schuhmachermeister von Wien – ganz sicher aber der älteste hier am Alsergund.
(swe). Hellmut Wolf, Jahrgang 1925, ist seit nunmehr 55 Jahren eine Institution für Schuhreparaturen und vieles mehr in der Porzellangasse. Ein echtes Wiener Original, ebenso unverwechselbar und einzigartig wie seine Schusterwerkstatt, die von Kuriosa geradezu übergeht und schon durch die Auslage neugierig macht. Billigschuhe sind nicht das Seine, er liebt sein Handwerk und er liebt das Leben – beides hat viel mit Qualität zu tun. Hellmut Wolf hat für alle ein gutes Wort oder eine seiner zahllosen Geschichten auf Lager, und er nimmt sich viel Zeit. Man kommt zu ihm, genießt seine ungeteilte Aufmerksamkeit, lässt sich aus seinem Leben erzählen, manchmal auch aufmuntern und geht als Freund.
Dabei ist seine Lebensgeschichte alles andere als nur rosig. Die Kindheit hat er als Lehrersohn mit vier Geschwistern wohlbehütet und mit humanistischer Bildung im 13. Bezirk verbracht, bis er als 17-jähriger Gymnasiast zum Militär nach Frankreich eingezogen und dort an der Front schwer verletzt wurde. Er kam ins Lazarett, verbrachte dann Jahre in Gefangenschaft in Lagern, von denen er heute sagt, er hätte dort die Zeit genutzt, um möglichst viel zu lernen, vor allem handwerklich. Schneidern, Schnitzen, Tischlern und letztlich Schuhmachen. Dabei ist er dann auch geblieben. Gleich nach seiner Rückkehr aus der amerikanischen Gefangenschaft hat er, um seine Familie in dieser harten Zeit durchzubringen, in einem Winter 1.300 Paar Patschen gefertigt, einfach nur, um zu überleben. Sein Fleiß und seine, wie er selber sagt, goldenen Hände, bewährten sich schon am Anfang seines Berufslebens. Bereits nach drei Monaten Lehre konnte er seiner Mutter ein paar rahmengenähter Damenschuhe überreichen. „Die waren noch etwas schief, aber es hat mich fasziniert.“
Umtriebiger Geist
„Schuster, bleib bei deinem Leisten“ war allerdings noch nie sein Fall. Von Jugend an ist er ein begeisterter Fotograf. Er hat Berge bestiegen, Reisen gemacht und einfach alles akribisch in seinem Tagebuch dokumentiert. Er zitiert lateinische Dichter, hat für alles ein Sprichwort parat, seine Mitschriften und Kommentare, die Geschichten und alles, was er sammelt, sind unter lateinischen Titeln fein säuberlich in Ordnern abgelegt. Seit etwa 15 Jahren ist das Tagebuchschreiben für ihn mehr als nur eine liebe Gewohnheit. „Es ist eine Arbeit an meinem ganz persönlichen Zeitdokument“, erklärt er mit glänzenden Augen. „Und wohl auch eine Art, lebendig zu bleiben, eine Spur zu hinterlassen.“
Geschichten für Lisa
Mit der Geburt seiner Enkeltochter Lisa begann er, Kinderbücher zu schreiben und zu illustrieren. Ihr zuliebe schreibt und zeichnet er jeden Tag eine Karte mit unterhaltsamen Geschichten. Und steckt die jeweilige „Karte des Tages“ in eine spezielle Kaffeedosen-Post, die er von seiner Wohnung zum einen Stock darüber liegenden Kinderzimmer seiner Enkelin eingerichtet hat.
„Ich habe zum Glück ein fotografisches Gedächtnis. Und damit das so bleibt, halte ich es täglich auf Trab.“ Genauso wie seinen Körper. Er fährt zu jeder Jahreszeit mit seiner Vespa oder ist im Bezirk mit dem Rad unterwegs. Bleibt nur zu wünschen, dass unser Schuhmachermeister und Poet noch lange für exzellente Handarbeit und unser aller gute Laune sorgt!
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