Handelsverband
Rainer Will: "Bildet Amazon Lehrlinge in Österreich aus?"
Der Einzelhandel ist mit über 15.000 Lehrlingen der am stärksten nachgefragte Lehrlingsausbildner Österreichs. meinbezirk.at hat mit Rainer Will, dem Geschäftsführer des Handelsverbands, über die Lehrausbildung gesprochen. Der Handelsverband vertritt 150 Einzelhändler, bei denen rund 250.000 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Der Handel gehört ja zu den größten Lehrlingsausbildner im Land. Wie steht es um die Lehre?
RAINER WILL: Von den 15.000 Lehrlingen werden knapp 11.000 allein im Lehrberuf Einzelhandelskaufmann/-frau ausgebildet. Die Bandbreite ist allerdings riesig: Allein beim größten Handelsunternehmen des Landes werden zurzeit 18 unterschiedliche Lehrberufe angeboten.Alle Schwerpunkte im Handel wurden zuletzt grundlegend überarbeitet. Was mich persönlich besonders freut: Wir haben die E-Commerce-Lehre durchgesetzt. Der Handelsverband hatte sich jahrelang und als erste Organisation in Österreich für einen überarbeiteten, die Digitalisierung berücksichtigenden Lehrplan und damit für eine eigenständige E-Commerce-Lehre eingesetzt. Heuer geht es endlich los. Es ist höchste Zeit, dass die Digitalisierung in den Lehrplänen des Handels ankommt. Nur so kann Österreich für seine Jugend Landebahnen in die Zukunft bauen.
Wird der Handel trotz Digitalisierung auch künftig zu den größten Lehrlingsausbildner gehören?
Davon gehen wir aus. Der digitale Wandel bringt völlig neue Geschäftsmodelle hervor. Neue Technologien haben aber nicht nur Einfluss auf den Online-Handel, sie führen auch zu einer Digitalisierung im stationären Handel. Nicht nur E-Commerce wächst, auch die Bruttoumsätze im stationären Einzelhandel sind im ersten Halbjahr 2018 um 1,3 Prozent auf rund 34,6 Milliarden Euro gestiegen. Der Einzelhandel konnte bisher ein Mitarbeiterplus von 1,2 Prozent erzielen. Die österreichischen Handelsbetriebe brauchen zeitgemäß und top ausgebildete Lehrlinge. Übrigens steigen in keiner anderen Branche mehr Lehrlinge in Vorstandsposten auf.
Wo besteht bei der Lehrausbildung Handlungsbedarf aus Ihrer Sicht?
Das Ziel bei der Lehrausbildung sollte eine ganzheitliche Ausbildung zukünftiger Fachkräfte im Omnichannel-Handel sein. Der Lehrlingsgipfel der Wirtschaftsministerin war ein erster wichtiger Schritt. Nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir die nötigen Strukturen schaffen und den aktuellen Fachkräftemangel bekämpfen. Unser Bildungssystem ist nach wie vor zu starr, wir brauchen einen Ausbau der Lehre mit Matura. Noch wichtiger wären modulare Systeme, die unternehmensspezifische Elemente zulassen.
Was kann die Politik beitragen, um die Lehre attraktiver zu machen
Die Politik muss die strukturellen Rahmenbedingungen verbessern. Aktuelle EU-Regulierungen bevorzugen globale Händler und Plattformen. Dabei sind es vor allem mittelständische Händler, die hierzulande den Großteil der Lehrlinge ausbilden. Oder kennen Sie auch nur einen einzigen österreichischen Amazon-Lehrling? Im Bereich der Lehre müssten die Handelsunternehmen noch stärker unterstützt werden. Vor allem Klein- und Mittelbetriebe sollten bei der Hand genommen werden.
Was tun die Handelsbetriebe, um die Lehre attraktiv zu machen?
In Zukunft wird der Handel vor allem von jenen Unternehmen dominiert werden, die mehrere Kanäle verknüpfen und dem Kunden sowohl online als auch offline ein lückenloses Einkaufserlebnis bieten können. Dafür braucht es massive Investitionen: in Strukturen und in top ausgebildete Mitarbeiter. Fast alle heimischen Handelsbetriebe haben dies längst erkannt und die Lehre an die Spitze ihrer Prioritätenliste gesetzt. Derzeit erleben wir in allen Lehrberufen einen Wettbewerb um die besten Köpfe. Um mitmischen zu können, versuchen die Unternehmen, mit besonderen Incentives zu punkten, etwa monetäre Belohnungen für engagierte Lehrlinge oder gemeinsame Lehrlingsreisen. Viele Händler haben zuletzt auch ihre Zielgruppe ausgeweitet und probieren beispielsweise, gezielt Schulabbrecher anzusprechen.
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