Schon 2000 Familien haben bei "Wigwam" Hilfe gesucht
Oft sind „unauffällige“ Kinder betroffen – Lehrer und Angehörige könnten helfen
Die Nöte von Kindern psychisch kranker Eltern werden zu oft übersehen
KIRCHDORF, STEYR. Jeder vierte Mensch leidet im Laufe seines Lebens an einer psychischen Erkrankung. Experten gehen davon aus, dass in unserer westlichen Gesellschaft zu jedem Zeitpunkt rund 20 Prozent der Bevölkerung als psychisch krank bezeichnet werden können. Bei der Versorgung dieser Personen wird oftmals auf eine Gruppe von Menschen vergessen: deren Kinder. Das Kinderschutzzentrum Wigwam weist auf dieses Manko hin.
„Mediziner, Therapeuten und Betreuer haben den Patienten als Individuum im Fokus“, sagt Sonja Farkas, Leiterin des Kinderschutzzentrums Wigwam in Steyr. „Nicht immer wird gefragt: gibt es Kinder? Wie sehr ist das Kind von der Krankheit des Elternteils betroffen? Wer versorgt das Kind in Akutphasen?“
Ein Drittel der Kinder leidet still
Die Reaktionen der Kinder auf psychisch kranke Eltern sind wissenschaftlich erforscht. Rund ein Drittel der Kinder agiert äußerlich ohne Beeinträchtigung. „Diese Kinder sind ruhig und unauffällig, und genau darum ist niemand für sie da“, sagt Farkas. „Sie brauchen aber Menschen, die erkennen, dass sie mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen haben.“ Lehrer und Angehörige oder ein gesunder Elternteil seien in diesem Fall gefragt. Farkas: „Das setzt natürlich voraus, dass die Krankheit im Umfeld des Kindes nicht verschwiegen und tabuisiert wird.“
Professionelle Helfer müssen Parteilichkeit überdenken
Bei den professionellen Betreuern psychisch Kranker ist ebenfalls ein Umdenken nötig. „Ärzte, Therapeuten und Betreuer von psychisch kranken Personen müssen ihre Perspektive reflektieren und auch für eine andere Parteilichkeit offen sein – nämlich jene der Kinder.“
Der Ansatz sei natürlich radikal. Er führe weg von der individuellen Behandlung hin zu einer familienorientierten Behandlung.
Paradoxon für Kinderschutzzentrum
Das Kinderschutzzentrum Wigwam ist für Kinder und Jugendliche zuständig, die von physischer, psychischer und sexueller Gewalt oder Vernachlässigung bedroht oder betroffen sind. „Kinder von psychisch Kranken sind nicht zwangsläufig von Gewalt oder Vernachlässigung betroffen“, sagt Farkas, „Wir sind da in einer Zwickmühle, wir sind als Kinderschutzzentrum per Definition nicht zuständig, sehen die Nöte der Kinder aber.“
Psychisch Kranke oftmals sehr bemüht um Kinder
In keinem Fall wolle man als Kinderschutzzentrum psychisch kranke Personen stigmatisieren. „Sehr viele psychisch kranke Personen haben auch stabile Phasen, sind kompetent und können ihre Krankheit und die Auswirkungen auf die Kinder reflektieren“, sagt Farkas. „Sie benötigen dringend Unterstützung, dafür gibt es aber gegenwärtig viel zu wenig Angebote.“
Beratung und Therapie für Betroffene
Zwei Drittel der Kinder reagieren auf psychische Erkrankungen der Eltern auffällig. Sie sind in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung offensichtlich beeinträchtigt oder sie agieren aggressiv, dissozial oder mit Depressionen. „In solchen Fällen muss mit Beratung und Psychotherapie professionell geholfen“, sagt Farkas. „Wobei es dann nicht darum gehen sollte, die Kinder so zu therapieren, dass Sie die schädigenden Zustände besser aushalten.“
Bewusstsein für das Problem steigt
Prävention und Aufklärung ist für das Kinderschutzzentrum Wigwam daher von ebenso großer Bedeutung. Farkas: „Hier ist die Kooperation von allen Beteiligten nötig – vom Krankenhaus über die Kinder- und Jugendhilfe, die Kindergärten und Schulen.“ Das Bewusstsein zu dem Thema sei jedenfalls da. Veranstaltungen des Kinderschutzzentrums zu dem Thema stoßen stets auf großes Interesse.
Kinderschutzzentrum Wigwam
Das Kinderschutzzentrum Wigwam (mit Beratungsstellen in Steyr und Kirchdorf) berät Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren, die von Gewalt betroffen oder bedroht sind sowie deren Angehörige, Helfer und Helferinnen. Im Wigwam arbeiten acht PsychologInnen, PsychotherapeutInnen und SozialarbeiterInnen.
Seit der Gründung im Jahr 1999 haben rund 2.000 Familien im Wigwam Hilfe gesucht.
Aktuell befinden sich 90 Familien in Beratung und Therapie. 13 Familien warten derzeit auf Betreuung.
Rund 80 Prozent der betreuten Kinder und Jugendlichen sind weiblich.
60 Prozent der KlientInnen sind 7 bis 14 Jahre alt, 25 Prozent zwischen 15 und 18 Jahre und 15 Prozent sind jünger als 7 Jahre.
Im Jahr 2014 wurden 866 Stunden Psychotherapie geleistet, 574 Stunden Beratung, 419 Stunden Prozessbegleitung, und 340 Stunden Helferinnenberatung.
Infos: <a target="_blank" rel="nofollow" href="http://www.wigwam.at">www.wigwam.at</a>
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