Heim-Alternativen sind nötig

Heimleiter und Vorstandsmitglied der „Agre Altenheime Tirol“ Gottlieb Sailer mit Heimbewohnerin Johanna Krismer.
  • Heimleiter und Vorstandsmitglied der „Agre Altenheime Tirol“ Gottlieb Sailer mit Heimbewohnerin Johanna Krismer.
  • hochgeladen von Herbert Tiefenbacher

Gottlieb Sailer, Vorstandsmitglied Agre Altenheime Tirol, analysiert Pflegesituation im Bezirk

Der Leiter des Wohn- und Pflegeheims St. Josef Grins, Gottlieb Sailer, arbeitet als Vorstandsmitglied der „Agre Altenheime Tirol“ in der Gruppe „Zukunft Pflegesysteme Tirol“ mit. Im Interview mit den BEZIRKSBLÄTTERN analysiert Sailer die Pflegesituation im Bezirk Landeck.

BEZIRKSBLATT: In den Arbeitsgruppen auf Landesebene werden neue Wege, Verbesserungen und Lösungen im Bereich der Altenpflege diskutiert. Gibt es schon Ergebnisse?
GOTTLIEB SAILER: Noch nicht. Aber ohne den Ergebnissen vorgreifen zu wollen, kann ich Tendenzen bereits heute nennen: 1. Es braucht mehr bedarfsgerechte Angebote und eine stärkere Vernetzung der bestehenden Struktur und Träger. 2. Will man die in der Pflegedebatte allseitig erhobenen Forderungen - solange wie möglich zu Hause leben – gerecht werden, müssen auch die notwendigen Unterstützungsmöglichkeiten angeboten werden.

BB: Was sind Ihrer Erfahrung nach die Probleme der Patienten und Angehörigen?
GOTTLIEB SAILER: Hilfe wird sehr oft spät angenommen. Es ist schwer die Leute rechtzeitig für das Thema zu erreichen. Wegen mangelnder Information sind Angehörige und Patienten oft überfordert. Es braucht daher noch mehr „Soziale Brandmelder“ in den Gemeinden, damit niemand durch den Rost fällt und Aufklärung vor Ort stattfindet. Gerade im ländlichen Raum leisten die Hausärzte dazu einen großen Beitrag und bilden das Bindeglied zwischen Patienten und Hilfsorganisationen. Ehrenamtliche müssten mehr Anerkennung bekommen.
Es braucht aber die zentralen Anlaufstellen („Case Management“). Sie informieren die Betroffenen über alle Betreuungs- und Pflegeangebote und erarbeiten bedarfsgerechte Lösung für jeden Patienten. Zu denken ist zudem an Gesundheitsförderung und Prävention für die Pflegebedürftigen, deren Angehörige und die Pfleger; z. B. Ernährungs- und Demenzberatung, Gedächtnistraining, Seniorenveranstaltungen in den Gemeinden, altersgerechte Schaffung von Wohnraum.

BB: Wie schaut es im ambulanten Bereich aus?
GOTTLIEB SAILER: Hier gab es mit der Neueinführung der landesweit einheitlichen Selbstbehalte für Hauskrankenpflege und Heimhilfe für viele eine wesentliche Verbesserung. Speziell für Patienten mit geringerem Einkommen wurde die Betreuung und Pflege leistbar.

BB: Gibt es ein Manko?
GOTTLIEB SAILER: Die Erfahrung zeigt, dass Patienten mit einem hohen Pflegeaufwand eine 24-Stunden-Hilfe in Anspruch nehmen. Es sind die ambulanten Dienste zu verbessern. Wir haben noch keinen Nachtdienst, es gibt teilweise Probleme bei der Wochenendbetreuung – und wir brauchen mehr leistbare Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige wie Kurzzeit-, Übergangs, Urlaubs- und Tagespflege.
Wir haben teilweise recht gute Netzwerke und viel ehrenamtliches Engagement und teilweise noch gut funktionierende Nachbarschaftshilfe. Wenn es uns gelingt, alle Kräfte zu bündeln und besonders im ambulanten und ehrenamtlichen Bereich ein engmaschiges Netzwerk aufzubauen, werden wir den Weg ins Heim etwas hinaus schieben können. Hier sind wir alle gefordert.

BB: Und die teilstationären Angebote?
GOTTLIEB SAILER: In Tirol sind rund 23 Prozent der Heimbewohner in den Pflegestufen 0, 1 und 2. Im Bezirk Landeck sind es 17 Prozent, in unserem Heim in Grins nur fünf Prozent. Das heißt, dass Menschen mit geringerem Betreuungsbedarf vorwiegend von Angehörigen gepflegt werden. Zwischen „Daheim“ und „Pflegeheim“ brauchen wir besonders für Menschen in den unteren Pflegestufen weitere Angebote. Vor allem beim Betreuten Wohnen und bei der Tagespflege haben wir auch in unserem Bezirk Aufholbedarf.

BB: Wie ist das stationäre Angebote?
GOTTLIEB SAILER: In den fünf Wohn- und Pflegeheimen des Bezirks Landeck werden derzeit zirka 320 Betten angeboten. In beschränktem Ausmaß gibt es auch die Möglichkeit der Urlaubs- und Kurzzeitpflege zur Entlastung der pflegenden Angehörigen und Übergangspflege nach einem Krankenhausaufenthalt. Das Land und der Bund unterstützen zwar diese Entlastungsmöglichkeiten finanziell, aber es bedarf Nachbesserungen. Zudem ist ein Mindestangebot an Kurzzeitpflegebetten sicher zu stellen. Der Bedarf an Langzeitpflegebetten kann gedeckt werden. Es gibt zwar immer wieder Engpässe. Die werden aber in guter Zusammenarbeit im Bezirk gelöst.
Wenn es uns nicht gelingt bedarfsgerechte Alternativen zu den Pflegeheimen anzubieten, werden wir uns auch im Bezirk Landeck bald mit Erweiterungen der Heime beschäftigen müssen.

Das Interview führte Herbert Tiefenbacher

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