Ein Punk orgelt sich ins Konzert – urleiwand
Was für ein Abend! Dramatisch, unvergleichbar, phänomenal.
Begonnen hat’s mit Antonín Dvořáks „Der Wassermann“, eine symphonische Dichtung. Ein Märchen von einem jungen Mädchen und einem einsamen mythologischen Wesen. Man hört das Plätschern des Wassers die Wut über unerfüllte Liebe, den Mord an dem inzwischen gezeugten Kind, den Schmerz der Mutter. Kaum ein anderes Stück ist so musikalisch nachvollziehbar. Dem Radio Symphonie Orchester Wien unter ihrem Chefdirigenten Cornelius Meister gelingt die Balance der Empfindungen sehr einfühlsam.
Die Hi-Tech-Orgel ist schon groß und mächtig im großen Saal des Wiener Konzerthaus aufgebaut - ein Monster. 34 Jahre ist der Organist alt. Sein Werkzeug wurde nach seinen Ideen gebaut, er bedient es virtuos. Sergej Rachmaninoff steht auf dem Programm. Eine Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier (ursprünglich für Violine) und Orchester in einer Bearbeitung von Cameron Carpenter für Orgel und Orchester. Kennen Sie sich noch aus? Nein? - macht nix. Der Solist entlockt dem Instrument noch nie gehörte Töne. Man fühlt sich in andere Sphären versetzt. Das Wechselspiel zwischen dem RSO und dem Organisten formt ein großartiges Klanggemälde. Es hat die Aura eines Außenirdischen, den uneingeschränkten USP (unique selling proposition). Das RSO und der Organist passen herrlich zueinander. Wäre ich um ein paar Jahre jünger, würde ich das Spiel „urleiwand“ empfinden.
Es gibt noch eine Steigerung bei den Zugaben:
Johann Sebastian Bach
Französische Suite Nr. 5 G-Dur BWV 816 (7. Satz: Gigue) (Bearbeitung für Orgel: Cameron Carpenter) (1722-1725)
Richard Wagner
Vorspiel zu «Die Meistersinger von Nürnberg» (Bearbeitung für Orgel: Cameron Carpenter) (1862-1867)
Carpenter spielt wie in Trance. Das Instrument gibt alles her, was sein Schöpfer ihm eingehaucht hat. Selbst der Konzertmeister des RSO beobachtet die Beinarbeit des Organisten mit Erstaunen.
Jubel ohne Ende.
Eigentlich sollte das Konzert mit einer derartigen Performance zu Ende gehen, was auch zwei meinen Kollegen taten.
Der Vollständigkeit halber berichte ich noch, dass nach der Pause die Symphonie Nr. 2 von Bohuslav Martinů gespielt wurde. Im Nebel des vorhergegangen Ereignisses lausche ich dem böhmischen Komponisten, der von 1923 bis 1940 in Paris lebte und beim Einmarsch der Deutschen nach Amerika floh. Zwischen Volksliedern, einem Schuss französischer Zwiebelsuppe und dem Sound der neuen Welt bewegt sich sein Schaffen. Cornelius Meister ist der richtige Mann am richtigen Platz. Verhalten, doch dann mit vorantreibenderer Kraft und stürmisch, um zum Abschluss im Land Leonard Bernsteins zu landen.
Next RSO im Konzerthaus: Mundry, Andre, Saunders am 19.11.2015. Dirigent ist Sylvain Cambereling.
Infos und Tickets: www.konzerthaus.at
Reinhard Hübl
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