Im Kollektiv sind sie unschlagbar!
Ein fröhliches Häufchen Mädels und Jungs tummeln sich auf dem Podium im Wolkenturm von Grafenegg. Es sind die Mitglieder des European Union Youth Orchestra (EUYO). Ihr Können wollen sie einmal mehr unter Beweis stellen - zum zweiten Mal in dieses Saison. Sie haben sicherlich gute Tutoren, denn der Staatsopern-geprüfte Dirigent Gianandrea Noseda hat kaum Schwierigkeiten, dem Kollektiv seinen Stempel aufzudrücken.
Als Aufputz wird Angela Gheorghiu aufgeboten. Die rumänische Sopranistin, die bei den Salzburger Festspielen in Werther für Elina Garanča eingesprungen ist, wirkt bei Verdis "Pace, pace, mio Dio" aus La Forza del Destino nervös, um dann in "Tu che le vanitae conoscetiâ" aus Don Carlos durch ihre Virtuosiät aus dem Vollen zu schöpfen. Ihre Elisabetta zeugt in vielen Zwischentönen von großer Empfindsamkeit. Ihre verbotene Liebe zum Infanten wird geahndet. Für das niedere Volk endet das gewöhnlich am Scheiterhaufen, die Adeligen würfen wählen: Verbannung oder Kloster. Ihr Leid ist spurbar, verzweifelt sucht sie Halt bei Gott.
All dies sind nur Vorspiele auf Mahlers 5. Symphonie. Am Anfang steht der Trauermarsch. "In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt" - wünscht sich der Komponist. Nun, das fällt etwas zu fröhlich aus. Das ist aber schon wirklich der einzige Patzer, der dem EUYO passiert. Mankers "Alma" in Petronell verwendete Teile daraus für das sinnbildliche Begräbnis Mahlers. Von sechs Rappen gezogen wird der Sarg durch den Innenhof des Schlosses geführt. Es geht einem durch Mark und Bein, wie hier der Tod illustriert wird. Auch im Film "Tod in Venedig" findet Mahlers Fünfte ihren Niederschlag.
Zurück nach Grafenegg: Die Komposition wirkt manchmal sperrig, doch dann wieder sehr homogen. Es ist das Werk eines Künstlers, der neben seinen persönlichen Befindlichkeiten - vor allem durch seine Frauengeschichten - oftmals von Selbstzweifel geplagt war. Es darf einem nicht wundern, dass so unterschiedliche Schöpfungen entstanden sind. Man hat Mühe, in die Gedankenwelt Mahlers einzutauchen. Die Verzweiflung tritt in orchestralem Sturm, in enormen Eruptionen, Steigerungen und Zusammenbrüchen zu Tage. Die Suche nach dem Paradies bewegt das gesamte Werk. Liebesbezeugungen in fröhliche musikalische Kunst verpackt, ist er dennoch skeptisch: "Ganz kann er dem Glück nie trauen", heißt es im Programmheft.
Maestro Gianandrea Noseda aus Mailand kann auf ein motiviertes Orchester-Ensemble zurückgreifen. Die jungen Musiker halten dem Druck, eine außengewöhnliche und fordernde Partitur zu spielen, Stand. Man möchte glauben, dass sie die Musik inhalieren und zum gegebenen Zeitpunkt dem Schöpfer vor den Altar legen. Das Publikum staunt über so viel lächelnde Professionalität. Jemanden aus dem Kollektiv herauszuheben wäre vermessen. Dennoch: Der junge Paukist spielt die Aufführung so achtbar, als wären alle Endorphine auf ihn vereint. Erstaunlich! Das EUYO hat in Grafenegg eine neue Heimat gefunden.
Für mich ist die Sommersaison in Grafenegg damit beendet. Es war ein aufregender, spannender und beeindruckender Spielplan. Rudolf Buchbinder hat es wieder geschafft, sein Publikum durch Verschiedenartigkeit in der Einheit zu überzeugen. Vielen Dank!
Als Gäste sind an den kommenden Tagen noch die Wiener und die Berliner Philharmoniker aufgeboten.
Das "normale" Grafenegg-Programm findet am 03.10.2015 mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter der Leitung des neuen Chefdirigenten Yutaka Sado und der Solisten Maria João Pires am Klavier eine Fortsetzung im Schloss. Haydn, Mozart und Brahms stehen auf dem Programm.
Infos und Tickets: www.grafenegg.com
Reinhard Hübl
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