Martin Rütter als Nachhilfelehrer
Martin Rütter kommt 2015 mit seiner neuen Live-Show „NachSITZen“ nach Österreich, am 12. März gastiert er in der Wiener Stadthalle. bz-Tierredakteurin Hedi Breit hat den Hundeprofi zum Interview getroffen.
bz: Seit 2008 läuft „Der Hundeprofi“ auf VOX, es gibt zahlreiche Bücher und DVDs und mehrere Bühnenshows von Ihnen. Ist zum Thema Hundeverhalten und -erziehung nicht schon alles gesagt? Gibt es neue Themen und Probleme oder wird bereits Gesagtes in Ihrer neuen Show „Nachsitzen“ wiederholt und vertieft.
Martin Rütter: Nachsitzen muss man in der Schule, wenn man nicht aufgepasst, den Unterricht gestört hat oder Sachen nicht verstanden hat. Die Show ist nicht für die Hunde, sondern für die Menschen. Aber trotzdem ist es kein Best-of der letzten Shows. Natürlich gibt es Fragen, die sind Klassiker: „Wieso zieht mein Hund an der Leine und wie krieg ich das weg? Und wie kann ich ihn richtig auslasten?“ Aber natürlich ist jedes Thema neu erklärt und aufbereitet. Hunde sind ein dynamisches Thema, es ist immer wieder sehr spannend für Menschen zu sehen, wie die Körpersprache des Hundes funktioniert. Das ist sehr facettenreich und natürlich entwickelt sich auch das Wissen darüber weiter. Zur Erziehung gehört Beziehung und die ist ja nie zu Ende und verändert sich, also glaube ich, werden noch viele Jahre neue Programme kommen.
bz: Das heißt, Sie verändern auch Ihre Methoden, etwa durch neue Forschungsergebnisse?
Martin Rütter: Ja, natürlich! Als ich vor 22 Jahren angefangen habe, war ich ein Außerirdischer für die Leute. Früher ging man in Deutschland auf einen Hundeplatz den Hund abrichten. Da hörte man aus 150 Metern Entfernung „Platz!“ und man hat sich gewundert, warum die Tiere so angeschrien werden. Ich habe angefangen, Hausbesuche zu machen und ich wurde für krank erklärt. Gerade die Älteren haben gesagt: „Hausbesuch? Das ist doch kein Arzt! Was soll das denn jetzt?“. Aber es ist nur naheliegend, dass ein Hund, der zu Hause randaliert wenn ein Besucher kommt, nicht am Hundeplatz trainiert wird. Man muss sich ansehen, wie sich die Menschen dort verhalten. Heute ist es in Deutschland und auch in Österreich absolut normal, dass ein Trainer, der sich auskennt, auch zum Hausbesuch fährt. Man darf das nicht verwechseln mit Hundesport. Wenn ich jetzt sage, mein Hund ist eh prima und ich will Agility machen, dann geh ich zum Hundeplatz. Aber wenn man ein Problem lösen oder den Hund verstehen lernen will, dann muss man unterwegs sein. Das ist für mich logisch, dass sich gewisse Dinge weiterentwickeln und es gibt Dinge, die ich vor 20 Jahren gemacht habe, die für mich heute keinen Sinn mehr machen.
bz: Was haben Sie durch Ihre jahrelange Arbeit in ihren DOGS Zentren und im Fernsehen Ihrer Meinung nach bewirkt?
Martin Rütter: Die erste Fernsehsendung, die ich gemacht habe, war 2001 und es hat sich in Deutschland seither unheimlich viel zum Positiven verändert. Bei uns in Köln gibt es den Grüngürtel, der ist vergleichbar mit dem Prater in Wien. Als ich vor 20 Jahren dort mit dem Fahrrad durchgefahren bin, war ein Hund entweder angeleint oder freilaufend, aber alle haben randaliert und die Leute hatten keinen Einfluss und man hat auch niemanden gesehen, der trainiert. Vor ein paar Wochen sah ich dort einen 80-jährigen Menschen mit seinem dicken Dackel „Sitz“ und „Bleib“ trainieren. Ich war wirklich gerührt und hatte Tränen in den Augen. Und ich bin da natürlich hin und hab gratuliert. Heute sieht man im Grüngürtel Brustgeschirre, Schleppleinen und Futterbeutel. Die Leute machen jetzt etwas mit ihren Hunden. Natürlich sind wir nicht im Nirvana angekommen, und nicht jeder macht alles richtig. Aber es geht mir auch nicht um Perfektionismus sondern darum - und das haben wir geschafft - das Bewusstsein für die Bedürfnisse des Hundes zu schaffen. Und es ist ein wahnsinnig schönes Gefühl, dazu beigetragen zu haben.
Meine erste Fernsehsendung hieß „Eine Couch für alle Felle“ auf WDR. Es hieß damals, wenn wir 80.000 Menschen als Zuschauer gewinnen, machen wir weiter. Tatsächlich haben die Sendung 900.000 Leute angesehen. Ich glaube, warum das funktioniert hat war, weil die Leute gespürt haben, dass dieser Rütter ganz normal ist wie du und ich. Man kann den gut oder schlecht finden, aber er ist total authentisch und glaubt wirklich, was er sagt und macht das gerne. Das hat den Erfolg ausgemacht. Und dann kam eine richtige Welle, alle möglichen Talkshows, an jeder Ecke schoss eine Hundeschule aus dem Boden. Inzwischen ist ein hohes Bildungsniveau da. Man muss aber dazusagen, dass wir im Vergleich zu Österreich ein Entwicklungsland sind. Ihr seid wirklich weiter. Das kann man schon allein am Tierschutzgesetz festmachen. Ihr habt das strengste Tierschutzgesetz in Europa und bei uns ist vieles ganz normal und erlaubt, was bei Euch verpönt ist. Das finde ich wirklich toll und man sieht, dass hier aktiv etwas getan wird. Zum Beispiel, dass die Stadt Wien damals das „Sackerl fürs Gackerl“ kostenlos zur Verfügung gestellt hat, dafür würde keine Stadt in Deutschland je Geld ausgeben. Das heisst nicht, dass Ihr weniger Probleme habt, aber dass es hier deutlich proaktiver zugeht als bei uns.
bz: Das Thema Hund ist ein sehr emotionales. Gerade bei der Erziehung prallen viele Philosophien und vehemente Überzeugungen aufeinander und werden hitzig diskutiert. Warum ist das Hundethema ein so irrationales?
Martin Rütter: Wenn Emotion und Ratio aufeinandertreffen, dann wird es schwierig. Der Hund emotionalisiert uns extrem und das hat auch einen ganz banalen, wissenschaftlich zu erklärenden Grund: Der Hund ist die Tierart, die uns von den Sozialstrukturen her am ähnlichsten ist, noch ähnlicher als Affen. Wie ein Ruderverband aufgebaut ist 1:1 wie eine Menschengruppe aufgebaut ist. Wenn ein Chef eine Firma führen würde, wie ein Hunderudel, hätte er nie ein Problem. Das heißt, wir erkennen uns an vielen Stellen wieder und der Hund erkennt sich wieder, und dadurch entsteht diese Nähe. Der Hund ist die einzige Tierart, die in der Lage ist, ein artfremdes Lebewesen, nämlich uns Menschen, als vollwertigen Sozialpartner zu erkennen. Wenn Du mit einem Pferd arbeitest und es hat die Chance, in eine Herde zu gehen, geht es auch dorthin. Wenn Dein Hund die Wahl hat, mit fremden Hunden nach Hause zu gehen oder mit Dir, geht er mit Dir. Er will bei Dir leben. Und er agiert hier nicht nur opportunistisch, weil er weiß, Du hast die tollsten Leckerchen, sondern weil eine Beziehung entsteht. Durch diese Nähe verschwimmen dann die Grenzen und es wird extrem emotional. Der Hund ist ein vollwertiger Sozialpartner für uns und dann fällt es natürlich ganz schwer, die banalsten Sachen einzuhalten. Eigentlich wissen die Menschen, was ich von ihnen will, aber das Gefühl sagt eben, dass es schwer ist, so konsequent zu sein.
bz: Machen Sie selbst bei ihrem Hund typisch menschliche Fehler?
Martin Rütter: Bei meinem ersten Hund Mina habe ich weniger falsch gemacht als heute. Sie war ein Hund, der toll erzogen war. Im ersten Jahr habe ich mit ihr viele Fehler gemacht, aber dann ist mir der Knopf aufgegangen und es lief wie am Schnürchen. Damals hatte das Relevanz, weil ich sie als Testhund eingesetzt habe mit anderen Hunden und ich habe hunderte Schulen mit ihr besucht, um Aufklärungsarbeit zu leisten.
Heute ist die Situation eine andere. Ich wohne auf einem Reiterhof, wo sich die Hunde frei bewegen können und ich bin auf Tour. Die Hunde müssen Hotelkompatibel sein, sie müssen sich in der Halle und im Auto richtig bewegen. Aber ich merke, dass ich gerade bei der zehnjährigen Rhodesian Ridgeback-Hündin Abbey nicht so dranbleibe, wie ich sollte. Aber trotzdem funktionieren die natürlich und es sind gut erzogene Hunde. Es ist auch nicht mein Anspruch, dass ein Hund wie ein Roboter funktioniert oder dass der Mensch alles richtig machen soll. Auch Hunde untereinander machen ja nicht alles richtig. Wenn eine Hundemama ihren Welpen erzieht, macht sie das auch nicht perfekt, zumindest nicht beim ersten Mal. Aber ich finde, dass das Grundverständnis da sein muss, das ist das Wichtigste.
bz: Hunde haben gelernt, uns zu verstehen, warum fällt uns das umgekehrt so schwer?
Martin Rütter: Der Hund ist in seiner Kommunikation davon abhängig. Der Hund ist als Schmarotzer zu den Menschen gekommen und für ihn war es immer wichtig, auch Artfremde zu beobachten. Er ist ein Beutegreifer, der sehr stark visualisiert, das Beutemuster beobachtet und schaut, wo er attackieren kann. Er arbeitet also sehr viel über die Augen. Dann ist es natürlich so, dass der Hund zu wenig zu tun hat und sich den ganzen Tag wunderbar um uns kümmern kann. Mina und ich waren jeden Tag zusammen. In meinem Büro gibt es eine Schublade mit Stiften, dem Telefon und auch Leckeren für den Hund. Die Schublade ging dauernd auf und Mina blieb regungslos in ihrem Körbchen. Aber allein schon beim Gedanken, ihr ein Leckerchen zuzuwerfen hat sie an meiner Mimik erkannt: jetzt kommt sein Leckerchen-Gesicht. Die hatte auch Zeit dazu, mich zu beobachten. Ich glaube der Grund, warum ich das, was ich mache sehr gut mache ist, weil ich mir immer viel Zeit genommen habe, um Hunde zu beobachten und wirklich hinzuschauen.
bz: Sie haben ein großes komödiantisches Talent. Vergeht Ihnen das Lachen manchmal, wenn Sie sehen, was mit Hunden passiert?
Martin Rütter: Ja. Es gibt einige wenige Momente und dann geht es mir wirklich nicht gut, wenn ich beispielsweise privat unterwegs bin, und sehe, dass ein Hund richtig leidet, aber von den Haltern nicht gesehen wird, dass ein Problem vorhanden ist. Ich habe kürzlich Freunde zu einer privaten Party begleitet, wo es auch einen Hund gab. Die Besitzer haben mir erzählt, dass sich der Hund kaum bewegt und gerne zehn Stunden lang alleine zu Hause bleibt und bei ihrer Rückkehr nach einer kurzen, stürmischen Begrüßung sofort in sein Körbchen verschwindet und ganz entspannt einschläft. Weil mir das eigenartig vorkam, haben wir zwei kleine Kameras aufgestellt, um den Hund zu beobachten und haben gesehen, dass er zehn Stunden lang in größter körperlicher Anspannung vor der Türe liegt und danach einfach aus Erschöpfung einschläft. Dass dieser Hund sechs Jahre lang diese Martyrium erlebt hat, das macht mich fertig. Da kann ich noch so viele Jahre Hundetraining machen, so etwas trifft mich ins Mark, weil das aus mangelnder Kenntnis entstanden ist. Das waren keine Leute, denen es egal ist, dass ihr Hund leidet, die haben es nicht besser gewusst. Und das sind bittere Momente.
bz: Was ist dran an dem Mythos: Wie das Herrl, so das Gscherrl?
Martin Rütter: Da glaube ich hundertprozentig daran, nicht an eine optische Ähnlichkeit, aber dass sich Charaktereigenschaften übertragen können. Ich glaube auch, dass ein Hund einen spiegeln kann, aber man darf es nicht zu banal sehen. Wenn ein Hund aggressiv ist, heisst das nicht automatisch, dass auch sein Halter so ist. Aber ich glaube schon, dass man sich annähert.
Informationen und Gewinnspiel
Martin Rütter gibt Nachhilfe für Frauli und Herrli: Am 12. März 2015 gastiert der sympatische Entertainer mit seiner neuen Show „NachSITZen“ in der Wiener Stadthalle. Tickets für seine Live-Shows sind auf www.oeticket.com erhältlich, alle Live-Termine findet man auf www.martin-ruetter-live.de.
Die bz-Wiener Bezirkszeitung verlost zwei Karten für die Wiener Show und ein Exemplar des Stadtführers für Hunde „FRED & OTTO unterwegs in Wien" mit Autogramm von Martin Rütter. Mitmachen ist ganz einfach: Laden Sie ein Bild Ihres Hundes hoch und sagen Sie uns, warum Sie und Ihr Liebling guten Grund zum Nachsitzen hätten.
Diese Aktion ist beendet.
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