Der stressige Kampf um einen Platz im Gymnasium

- hochgeladen von Silvia Forstner
In Wien wird es dieser Tage ernst mit dem Wechsel aus der Volksschule in eine Sekundarstufe. Rund die Hälfte der Noch-Volksschüler möchte in eine AHS wechseln.
Die erste Klasse sei noch schön, sagen mir Eltern und Lehrer an einer Volksschule in Liesing, aber bereits mit dem Ende der zweiten Klasse hört der Spaß auf, werden doch häufig schon die Zeugnisnoten der dritten für einen etwaigen Aufstieg in ein Gymnasium herangezogen und dann geht es ausschließlich um das eine: den Übertritt in ein Gymnasium.
Eine Mutter erzählt: “Eigentlich vergeht seit den letzten Sommerferien kein Tag, an dem ich nicht daran denke, wo mein Sohn nach der vierten Klasse zur Schule gehen wird. Es ist vor allem die Angst, etwas falsch zu machen, ihm den Weg zu verbauen, wenn er jetzt nicht den Sprung auf ein Gymnasium schafft. Dadurch hat sich auch die Atmosphäre in der Klasse verändert. Zuerst wurde nicht offen darüber gesprochen, schon gar nicht darüber, welche Schulen man in die engere Wahl zieht. Die anderen Eltern werden auf einmal zu Konkurrenten um die begehrten Plätze auf dem Gymnasium. Misstrauen kam unter uns Eltern auf.
Das Ganze gewinnt schnell an Eigendynamik. Auch das Verhältnis der Kinder untereinander änderte sich schlagartig. Freunde gingen auf Distanz, Neid kam auf, der Leistungsdruck nahm enorm zu. Unserem Sohn gegenüber haben wir zwar immer versucht, ganz gelassen zu sein, uns nicht anmerken zu lassen, wie wichtig uns sein Wechsel auf ein Gymnasium ist, aber die Kinder haben Antennen und merken das ganz genau. Zuletzt war es dann auch unser Sohn der unbedingt auf ein Gymnasium wollte. Er hat immer gute Noten geschrieben, meist Einsen und Zweien. Plötzlich aber war eine Zwei für ihn eine schlechte Note. Die Kinder selbst messen all ihre Leistungen und Noten nur noch daran, ob sie fürs Gymnasium taugen. Es gab Tränenausbrüche, wenn Lehrer eine Schularbeit zurückgaben.
Außerdem sagte seine Lehrerin, vom Notenschnitt und der Selbständigkeit sei ein Wechsel in das Gymnasium kein Problem, aber unser Sohn sei recht zurückhaltend, er könne dort untergehen, zumal die Kinder in der ersten Klasse dort, häufig keines der anderen Kinder kennen. Und sie gab zu bedenken, dass es für die Kinder eine herbe Enttäuschung sei, wenn das Gymnasium sie nicht nimmt.
Nicht nur für die Kinder. Ich glaube, wenn wir von allen drei Gymnasien, für die wir uns bewerben, eine Absage bekommen, fühle ich mich wie eine Versagerin. Und für meinen Mann käme es einem Untergang gleich. Ich erlebe, dass sich Männer plötzlich nicht mehr über Autos messen, sondern über den Bildungsweg ihrer Kinder. Es ist durchaus Thema in Managerrunden, wo denn die Kinder zur Schule gehen. Eigentlich schrecklich, was da alles für Erwartungshaltungen auf den Kindern abgeladen werden. Und manchmal habe ich auch Zweifel, ob das wirklich der richtige Weg ist, ob das nicht alles zu viel ist. Aber dann kommt gleich wieder die Angst hoch, die Angst, unserem Sohn die Zukunft zu nehmen.
Wir bewerben uns also an drei Gymnasien, zwei öffentlichen und einem privaten. Mitunter gibt es dort Auswahlverfahren, die mich an ein Assessement-Center erinnern. Bei einer Schule geht es ausschliesslich um Noten, bei der zweiten aber muss auch noch ein Test absolviert werden, und bei der dritten gibt es ein Gespräch und einen Test-Vormittag.
Das Gespräch hatten wir schon, ich habe kein gutes Gefühl. Unser Sohn war eher einsilbig und antwortete auf die Frage “Warum willst du eigentlich auf ein Gymnasium gehen?” nicht sehr originell: “Erst wollten das meine Eltern, aber ich jetzt auch.” Klang wahrscheinlich nicht sehr überzeugend. Von anderen Eltern weiss ich, das sie wochenlang vorher solche Gespräche üben, aber ich wollte das nicht. Ich glaube, man hätte unserem Sohn einstudierte Sätze angehört. Noch schlimmer ist es beim Test. Ein Freund meines Sohnes kann sich schon seit Weihnachten nicht mehr verabreden, weil er fast jeden Nachmittag Mathematik lernt oder Aufsätze schreibt, um die Prüfung zu bestehen. Eine Freundin, deren Tochter letztes Jahr den Bewerbungsmarathon hinter sich gebracht hat, erzählte mir von schrecklichen Szenen: Kinder haben vor lauter Verzweiflung ihre Stirn auf die Tischplatte geschlagen, weil sie mit den Aufgaben nicht zurechtkamen. Im Foyer tummelten sich Hunderte angespannter Eltern, die ihre herausgeputzten 9jährigen vor sich herschoben und noch kurz vor dem Prüfungsraum Anweisungen gaben. Mich haben diese Berichte erschreckt, aber sie konnten mich dennoch nicht von einer Bewerbung abhalten – das Gymnasium ist schliesslich die beste Bildungseinrichtung in Wien.” Soweit die Aussagen einer Mutter.
Ich denke in dieser Geschichte findet sich auch der eine oder andere von uns in seinem Bestreben um die bestmöglichste Bildung für sein Kind wieder und kann die Ängste und Bemühungen dieser Mutter dabei gut nachvollziehen.
Der Kampf ums Gymnasium wird von Jahr zu Jahr härter! Das sagt viel über unser Schulsystem aus und wie unzufrieden die Eltern darüber sind. Es wäre daher dringend an der Zeit, diese wenig erfreuliche Situation umgehend zu entschärfen und Bedingungen zu schaffen, die den enormen Druck von allen Beteiligten nimmt und die das Lernen und Lehren in der Volksschule zu einem positiven und freudigen Ereignis macht. Zu schade, dass die Bildungspolitik in Österreich so sehr von parteipolitischen Gegensätzen geprägt ist, die ein vernünftiges Vorgehen oft unmöglich machen.
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