17 Euro Lohn für eine Stunde als Bettler
Was ist dran an der Bettelei? Wie gehen die Linzer damit um? Wir haben einen Selbstversuch gewagt.
Es ist ein schöner Frühlingstag. Auf der Landstraße ist reger Betrieb. 11:30 Uhr. Die Menschen flanieren, Alt und Jung, Groß und Klein, Touristen und Einheimische. Da! Ein Mann in zerschlissenen Jeans. Er passt so gar nicht in das Bild dort vor der Ursulinenkirche. Was macht er da mit seinen drei Kartons in den Händen?
Er kniet sich hin auf den Pappkarton. Vor sich ein Baseballkapperl und ein weiterer Karton. Mit Kuli steht geschrieben: „Bitte helfen Sie. Für meine Kinder!“ Nach wenigen Augenblicken klimpert es im Kapperl. Ein älterer Herr hat kurz umgedreht, etwas Kleingeld hineingeworfen. Der schäbig Gekleidete dankt es ihm. Schon nach einer weiteren Minute geht es weiter, hier an der stark frequentierten Stelle in der Sonne. Wieder ein Mann. Wieder ein paar Cent. Für die Kinder.
Bettelei ist nicht verboten
Der Bettler wird kaum beachtet. Einzig Kleinkinder werfen ein, zwei Blicke mehr als sonst erlaubt, sonst gestattet. Immerhin: Keine Schimpfereien, kein heftiges Wegzerren der Eltern vor der ach so großen Gefahr, die der Bettler ausüben könnte. Die Polizei in ihrem Streifenwagen nimmt keine Notiz. Warum sollte sie auch? Schließlich sind das bloße Dasitzen und Betteln ja nicht verboten.
Es sind die älteren Menschen, egal ob Mann oder Frau, die spenden. Manche zücken ihr Brieftascherl schon wenn sie den Mann sehen. Andere bleiben kurz stehen und suchen hastig nach einer Münze. Immerhin. Eine Frau geht zurück: „Sie sind so lieb und bescheiden!“ Und wirft einen Euro ins Baseballkapperl. Der Bettler dankt es ihnen allen.
Das Knien scheint ihm weh zu tun. Eine halbe Stunde ist er schon da. Durchschnittlich jeder Dreißigste hat gespendet. Darunter auch Touristen und junge Mütter mit Kopftuch. Er wechselt in den Schneidersitz. Zwischendurch leert er geschickt etwas Geld aus dem Kapperl. Vielleicht erbarmt das die Menschen mehr, wenn sie sehen, wie wenig er hat?
Eigentlich müsste ihm heiß sein. Er sitzt hier mit Jacke und Haube. Die Jugendlichen auf dem Heimweg von der Schule laufen im T-Shirt vorbei. Eine junge Frau, blond, schick gekleidet. Sie lächelt den Bettler an. „Hallo!“ Ein geschickter Wurf. Wieder ein Euro. Für die Kinder. Beschimpft wird er nicht. Hauptsächlich ignoriert. Und jetzt hat er eine Durststrecke. Also steht er nach einer Stunde auf. Die Glieder, die Knie – sie schmerzen fürchterlich. Er reibt sich mehrere Minuten die Beine. Der Stundenlohn? 17,30 Euro. Die Kupfermuckn-Verkäuferin gegenüber. Er geht hin zu ihr. Gibt ihr das Geld. Sie sagt Danke.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.