Interview
Der lehrreiche Griff ins Pandemie-Archiv

Karin Harrasser holt sich in der Krise Rat aus dem Archiv und teilt ihre Fundstücke. | Foto: vog.photo
  • Karin Harrasser holt sich in der Krise Rat aus dem Archiv und teilt ihre Fundstücke.
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Wir haben Kulturwissenschafterin Karin Harrasser gefragt, was wir aus 2.500 Jahre alten Texten über den Umgang mit Pandemien lernen können und welche Gefahren der Gesellschaft jetzt drohen.

LINZ. Karin Harrasser ist Vizerektorin der Kunstuniversität Linz und hat das Projekt "Stay in touch" initiiert. Gemeinsam mit internationalen Kollegen stellt sie eine kommentierte Online-Bibliothek von klassischen und aktuellen Texten aus 2.500 Jahren zusammen, die sich mit Pandemie-Themen befassen.

Wie sind Sie auf die Idee zu dem Projekt gekommen?
Im ersten Lockdown sind uns Kulturwissenschaftlern auf einen Schlag alle üblichen Formen der Kommunikation, wie Seminare oder Tagungen, verloren gegangen. Da ist die Idee entstanden, uns über das zu vernetzen, was wir am besten können: das Lesen. Wir waren auf der Suche nach etwas, das uns dabei hilft, die Pandemie zu verstehen. Da ist der Griff ins Archiv für uns naheliegend.

Beim Finden der Texte ist es nicht geblieben.
Wir haben Einführungen geschrieben, um diese Texte zu erschließen und für alle anderen zugänglich machen. Intern haben wir sie sehr intensiv in der Redaktion behandelt, es gab immer zwei oder drei Lektüre-Durchgänge.


"Man sieht, was schon versucht wurde"

Gerade im ersten Lockdown haben viele auf Literatur zurückgegriffen. Werke wie Albert Camus „Die Pest“ waren plötzlich wieder in den Bestseller-Listen.
Das ist ein vernünftiger Versuch. Wenn man mit der Gegenwart nicht zurechtkommt, ist der Griff ins kulturelle Archiv sinnvoll, weil man immer was lernen kann. Man sieht, was schon versucht wurde, auch politisch.

Was verrät der Blick in die Vergangenheit?
Erstens haben wir gesehen, dass Pandemien immer Ein- und Ausschlüsse produzieren. Das ist sozial enorm problematisch, wie man aus älteren Texten lernen kann. Wie müssen also sehr aufpassen, dass nicht Menschen auf der Strecke bleiben. Zweitens haben wir gesehen, dass ansteckende Krankheiten oft mit Kriegsszenarios einhergehen. Der Kampf gegen einen Erreger kann ganz schnell zu Feindseligkeiten unter den Menschen führen.


"Was es braucht, sind Solidarstrukturen"

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Das Schnelle verstellt den Horizont auf längerfristige Entwicklungen, das sieht man auch jetzt. Ich kenne die Arbeitsgruppe nicht, die überlegt, was die Corona-Pandemie längerfristig bedeuten wird. Da müssten ganz verschiedene soziale Player dabei sein, nicht nur Epidemiologen. Vielleicht gibt es diese Gruppe, aber ich sehe sie nicht. Was es auch braucht, um diese Pandemie besser zu überstehen, sind Solidarstrukturen. Da sind vor allem die Texte von Elias Canetti sehr aufschlussreich, der sich Zeit seines Lebens Gedanken gemacht hat, wie Gesellschaftlichkeit und Seuchen zusammenhängen. Sie stammen aus dem Nachlass und sind bisher noch unpubliziert.

Welcher der bisher vorgestellten Texte hat Sie noch besonders beeindruckt?
Irritierend nahe ist auch der Text von Thukydides über die Pest von Athen im Peloponnesischen Krieg. Da steht schon alles drin, womit wir heute kämpfen.

Wie geht das Projekt weiter?
Wir arbeiten jetzt gerade an einem Schwerpunkt über Pandemie und Kolonialismus.


"Wir leiden schon sehr darunter"

Wie hat sich die Kunstuniversität in diesem Corona-Jahr verändert?
Durch den großen Einsatz von Lehrenden und Studierenden haben wir das Jahr ganz gut hinbekommen. Die Internationalisierung ist jedoch infrage gestellt, weil es kaum mehr Reiseverkehr gibt. Da die Studierenden eigentlich in Ateliers arbeiten, ist es außerdem schwierig, den Lehrbetrieb und die Kommunikation über künstlerische Arbeiten aufrechtzuerhalten. Wir leiden schon sehr darunter, aber kriegen es irgendwie hin.

Und wie geht es Ihnen persönlich nach einem Jahr Pandemie?
Es ist immer noch eine Achterbahn. Die erste Jahreshälfte war unglaublich anstrengend, weil wir als Rektorat mit dieser völlig neuen Situation tagtäglich umgehen mussten. Es ist auch eine Überforderung. Inzwischen fehlt mir sehr viel, vor allem das Soziale und das Reisen. Meine Welt ist mir zu klein geworden.

Hier geht es zu den historischen Texten: http://stay-in-touch.org/

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Foto: Oliver Hoffmann - stock.adobe.com
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