Wiener Aids Hilfe
"Es gibt immer noch große Berührungsängste vor HIV"
Mirijam Hall ist die neue Vorsitzende der Aids Hilfe Wien. Die Assistenzärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Klinik Ottakring im Interview mit der BezirksZeitung über ihre neue Position und die Notwendigkeit des kostenlosen Zuganges zu Medikamenten.
WIEN/MARIAHILF/OTTAKRING. 19.000 Menschen machen in Wien pro Jahr einen HIV-Test. Von 400 österreichweiten Neuinfektionen entfallen die Hälfte auf Wien. Wir haben mit der neuen Vorsitzenden Mirijam Hall über die Entwicklungen der Aids Hilfe gesprochen.
Sie sind die erste Frau in der Position als Vorsitzende der Aids Hilfe Wien. Wie kam es dazu?
MIRIJAM HALL: Ich bin schon seit mehreren Jahren im Vorstand aktiv. Mein Vorgänger war im letzten halben Jahr verhindert, daher habe ich es schon interimistisch gemacht. Es war schlussendlich eine gemeinsame Entscheidung, eine Ärztin und Frau an die Spitze zu bringen.
Sie wollen mit Geschäftsführerin Eva Brunner die sexuelle Gesundheit noch mehr in den Fokus rücken. Wie?
Unser Leistungsspektrum hat sich in den vergangenen Jahren in Richtung sexuelle Gesundheit entwickelt. Es geht also nicht nur um HIV. Wir sehen, dass die Nachfrage an Testungen im Steigen ist. Die HIV-Tests sind am häufigsten. Chlamydien-Test ist sehr gefragt. Noch sind wir in Wien noch so gut versorgt wie nötig.
HIV und Aids wird oft miteinander vermischt. Können Sie uns den Unterschied erklären?
HIV ist das Virus, mit dem man sich infiziert. AIDS ist der daraus folgende Krankheitskomplex. Es kann sein, dass man HIV positiv ist und nie etwas mit Aids zu tun hat. Es ist in Österreich mittlerweile so, dass mit gutem Therapieschema die meisten mit dem Virus gut leben können.
Man kann also mit HIV ein normales Leben führen?
Prinzipiell ist das Zeitfenster zwischen der Infektion und dem Therapiestart kleinzuhalten. Mit HIV hat man eine normale Lebenserwartung. Man muss natürlich Medikamente schlucken. Die Herausforderung der nächsten Jahre ist heute eher so, dass wir HIV-Infizierte in Pflegeheimen haben.
Wie viele Menschen sind in Wien mit dem HI-Virus infiziert?
Man geht generell von 0,1 Prozent der Bevölkerung aus. Es gibt jedes Jahr rund 400 Neuinfizierte in Österreich. Die Hälfte in Wien.
Sie sagen, dass Sie Lust darauf haben, die Aids Hilfe Wien weiterzuentwickeln. Wo steht sie und wo wollen Sie hin?
Der Fokus liegt auf der sexuellen Gesundheit und nicht rein auf HIV. Wir haben neben den Testungen große Bereiche, wo es um Prävention geht. Das ist eine große Stärke der Aids Hilfe. Wir holen sie in das neue Jahrtausend. Der Außenauftritt und die Kampagne ´Lust auf Reden´ wurde schon umgesetzt. Es geht um Bewusstsein des gesunden Umgangs mit Sexualität, wenn man bedenkt, wie früher Kinder in Kontakt mit Sexualität gekommen sind. Die Schule ist ein wichtiger Partner, wo man über Safe Sex reden kann. Es gehört auch dazu, eine Sprache dafür zu finden. Die Schulworkshops sind extrem gut gebucht: 290 bisher nur in diesem Jahr.
Welche Einfluss hat die Sexualität allgemein auf die Gesundheit?
Einen sehr großen, wenn man über Infektionen redet. Es wird im medizinischen Bereich oft vergessen. HIV-Positive müssen heute nicht mehr so viel Angst haben, den Partner anzustecken. Zwischen Infektion und Therapie sollten keine Jahre vergehen. Das Immunsystem wird dadurch geschwächt und ist Hauptangriffspunkt. Je länger man wartet, umso schwieriger ist es zu behandeln und umso schwieriger wird es den Status unter der Nachweisgrenze zu erreichen.
Sie sind Gynäkologin in der Klinik Ottakring. Spielt HIV dort eine große Rolle?
In der Klinik Ottakring ist HIV immer Thema. Wir haben auch HIV-positiv Schwangere. Aber eine Schwangerschaft und HIV ist nichts mehr, was sich ausschließt. Es ist schlau, gut zu planen. Das Übertragungsrisiko fürs Kind ist völlig vernachlässigbar.
Wie läuft ein möglicher HIV-Test ab?
Ein HIV-Labortest ist kostenfrei und anonym möglich. Wenn man zu uns ins Haus kommen will, muss man eine Termin machen. Tests auf andere sexuelle übertragbare Krankheiten sind kostenpflichtig. Wir bieten neben HIV auch Tests auf Hepatitis B und C, Chlamydien und Tripper, Gonorrhö und Syphilis an.
Wenn wir über sexuell übertragbare Infektionen bzw. Krankheiten sprechen - wie gut sind die Wienerinnen und Wiener im Jahr 2023 aufgeklärt?
Es braucht noch viel Antidiskriminierungsarbeit, weil es immer noch große Berührungsängste gibt. Wir hatten einen Fall, dass bei einem HIV-Infizierten die 24-Stunden-Pflege aufgekündigt wurde. Auch in der Zahnmedizin kommt es auch immer noch vor, dass sie keine HIV-Infizierten behandeln. HIV ist weiter ein Thema, dass noch nicht abgeschlossen ist. Leider Gottes ist der medizinische Bereich nicht ausgenommen.
Die "Aids Hilfe Wien" befindet sich am Mariahilfer Gürtel 4 im 6. Bezirk. Telefonisch erreichbar unter 01/599 37 sowie per Mail an office@aids-hilfe-wien.at. Infos gibt es unter www.aids.at. Alle Zusatzangebote sind unter www.testwoche.net zu finden.
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