Traumatisiert und auf Autorität gepolt

Mag. Philipp Lesiak Wirtschaftshistoriker, Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung. | Foto: BIK
  • Mag. Philipp Lesiak Wirtschaftshistoriker, Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung.
  • Foto: BIK
  • hochgeladen von Christian Trinkl

Vom Zivilisationsbruch des NS-Regimes zum Friedensprojekt der Europäischen Union
Philipp Lesiak vom Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, ortet in seinem Beitrag zum Jahr 1939 ebenfalls eine starke Kontinuität zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg: Das militärische Führerprinzip, die Kriegspropaganda, die antisemitischen Erklärungsversuche der militärischen Niederlagen nach dem Krieg sowie die Traumata aus den Schützengräben und der Hungersnot an der ‚Heimatfront‘ wirkten tief in der Nachkriegsgeneration, die vielfach die einzige Lösung in der Errichtung autoritärer System sah. Die jungen Demokratien waren zu wenig gefestigt, um in Zeiten der Krise gegen den nationalen, ideologischen und rassistischen Extremismus zu bestehen.


LINK: Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs – Unsere Welt brennt zum zweiten Mal

Die Beschäftigung mit diesen Ereignissen findet Philipp Lesiak deshalb so wichtig, da gerade Zivilisationsbrüche wie der Holocaust dafür sorgen können, ‚dass Gesellschaften von den Versuchungen … Probleme vermeintlich einfach und mit Gewalt zu lösen, abgeschreckt werden. Das nunmehr vereinte Europa kann … als gutes Beispiel für aus dem Weltkrieg gezogenen Lehren betrachtet werden.‘ Aber lesen sie selbst:

Was waren die wichtigsten Faktoren, dass sich Krieg_Nationalismus_Autokratie durchgesetzt hat?
Der Zweite Weltkrieg muss in einem engen Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg gesehen werden: die Generation, die als junge Menschen die Kriegsgräuel in den Schützengräben oder die Hungersnot an der „Heimatfront“ erdulden musste, war zutiefst traumatisiert, teilweise auch „verroht“. Das militärische „Führerprinzip“, dem man sich während des Krieges untergeordnet hatte, wirkte in dieser Generation noch nach, ebenso wie die Kriegspropaganda und die in Deutschland und Österreich antisemitischen Erklärungsversuche der militärischen Niederlage. Eben diese Generation war es auch, die in großen Teilen Europas autoritäre Systeme errichtete beziehungsweise zuließ. Der Widerstand und die Mahner waren in der Minderheit, der Ruf nach den „starken Männer“, welche die in den 1930er Jahren virulenten wirtschaftlichen und sozialen Probleme „einfach“ zu lösen versprachen, zu laut. Die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen, jungen Demokratien waren zu wenig gefestigt, um in Zeiten der Krise dem nationalen, ideologischen oder rassistischen Extremismus Paroli bieten zu können.

Was waren die wichtigsten Faktoren, dass Frieden_Verständigung_Demokratisierung gelungen ist?
Anders als nach dem Ersten Weltkrieg, begannen die Alliierten – zunächst vorgeblich auch die Sowjetunion – schon früh im Zweiten Weltkrieg, spätestens 1943, an einer europäischen Nachkriegsordnung zu planen, die für nachhaltigen Frieden sorgen sollte. Einerseits gelang dies aufgrund des langfristigen sozioökonomischen Engagements der USA in Europa – Stichwort „European Recovery Programm“, besser bekannt als „Marshallplan“ – was den Wiederaufbau eines demokratischen und freien Westeuropas auf den Trümmern des zerrütteten Kontinents ermöglichte, andererseits verwehrte der rasch nach Kriegsende beginnende „Kalte Krieg“ einem großen Teil Europas die Beteiligung an diesem Projekt.

Auch der Einsatz der Atombombe am Ende des Zweiten Weltkrieges und der anschließende atomare Rüstungswettlauf zwischen dem Ostblock und den Westblock des „Kalten Krieges“ darf nicht als abschreckender Faktor für zukünftige Kriege vergessen werden. Für die positive Wirkung des amerikanischen Engagements auf den Wiederaufbau und die Demokratisierung in Europa kann Österreich als Beispiel im kleinen betrachtet werden: bis 1955 vierfach besetzt, kamen die westlichen Teile Österreichs in den Genuss der zweithöchsten pro-Kopf Förderung aus dem Marshallplan in ganz Europa, während das sowjetisch besetzte Ostösterreich keine derartigen Hilfen erhielt.

Zwar konnte Österreich 1955 als Gesamtstaat seine demokratische Souveränität wiedererlangen – anders als etwa das geteilte Deutschland – der wirtschaftliche Unterschied zwischen West- und Ostösterreich blieb aber noch auf Jahrzehnte bemerkbar. Die Überzeugung, nur über Kooperation und nicht, wie nach dem Ersten Weltkrieg, Revanchismus die europäische Zukunft gestalten zu können, mündete in das Friedensprojekt der heutigen Europäischen Union.


Was wirkt nach? Was bestimmt die Bilder in den Köpfen der Menschen, den politischen Diskurs?

Vor allem der Zivilisationsbruch des NS-Regimes durch den angewandten Terror gegen alle Feinde der „Volksgemeinschaft“ und insbesondere der Holocaust wirken bis heute nach. In Österreich wird der politische Diskurs allerdings erst seit der „Waldheimaffäre“ 1986 stark von der Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit geprägt. Bis dahin galt die These von Österreich als „erstem Opfer“ Nazi-Deutschlands. Generell wurde der zweite Weltkrieg sowohl im politischen Diskurs als auch in der veröffentlichten Meinung über Jahrzehnte kaum thematisiert und die „Bilder in den Köpfen“ des Zweiten Weltkrieges von jenen rund um die Staatswerdung der zweiten Republik – Stichwort Besatzungszeit oder Unterzeichnung des Staatsvertrages im Mai 1955 – überdeckt.

Seit den 1980er Jahren führen die Generationen, die den Krieg nicht selber miterlebten, neue Diskurse zum und über den Zweiten Weltkrieg bzw. das NS-Regime. Im politischen Diskurs äußert sich dies zumeist im Zusammenhang mit dem „dritten Lager“.


Kann die Beschäftigung mit Vergangenheit zur Veränderung der Zukunft beitragen?

Absolut. Gerade die Zeit seit dem Zweite Weltkrieg belegt, dass Zivilisationsbrüche wie der Holocaust zwar nicht prinzipiell verhindert werden können – dazu gab es zu viele Beispiel bis in die Gegenwart, wobei Stalinismus, die Balkankriege der 1990er Jahre oder der Genozid in Ruanda nur die Spitze des Eisberges darstellen – derartige Erfahrungen bzw. deren Aufarbeitung aber dafür sorgen können, dass Gesellschaften von den Versuchungen, die an sie gestellten Probleme vermeintlich einfach und mit Gewalt zu lösen abgeschreckt werden.

Das nunmehr vereinte Europa, das über Jahrhunderte zuvor von Rivalität geprägt und von zahllosen Kriegen überzogen wurde, kann in der Art und Weise, wie intern mit Krisen und Konflikten umgegangen wird, als gutes Beispiel für aus dem Zweiten Weltkrieg gezogene Lehren betrachtet werden.

Mag. Philipp Joseph Lesiak

Wirtschaftshistoriker und Dissertant an der Karl-Franzens Universität Graz. Verfasser u.a. von wirtschaftshistorischen Studien zum Raum Steiermark, dem Interniertenlager Thalerhof sowie der Flucht österreichischer Juden nach Lettland. Seit 2010 Betreuer der Außenstelle Raabs des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, mit eine Schwerpunkt auf den Folgen des Zweiten Weltkrieges für Niederösterreich, dem „Kalten Krieg“ und „Eisernen Vorhang“.
http://www.bik.ac.at/
http://www.jungeuni-waldviertel.at/content/Lang_1/2973.asp
Die neue Außenstelle in Raabs http://noev1.orf.at/stories/448151

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

4:00

Wassermann – Glückskind des Monats
So wird das Horoskop im April

Alle zwölf Sternzeichen sind schon gespannt, was Astrologe Wilfried Weilandt zu berichten hat. Wie der April wird, wollt ihr wissen? Werft einfach einen Blick ins aktuelle Horoskop! ÖSTERREICH. Der April macht, was er will, das sagt uns schon der Volksmund. Damit es aber nicht ganz so turbulent wird, schauen Astrologe Wilfried Weilandt und Moderatorin Sandra Schütz wieder in die Sterne. Und so viel sei vorweg verraten: Der Wassermann ist das Glückskind des Monats, tapfer müssen hingegen die...

Hier findest du die billigsten Tankstellen in Niederösterreich.
4

Benzin- und Dieselpreise
Die billigsten Tankstellen in Niederösterreich

Hier erfährst du täglich, wo die billigsten Tankstellen in Niederösterreich sind, wie man günstig tankt und auch, wie man am Besten Sprit sparen kann. NÖ. In ganz Österreich ist es am günstigsten Vormittags zu tanken, da die Tankstellen nur einmal täglich, um 12 Uhr, die Spritpreise erhöhen dürfen. Preissenkungen sind jedoch jederzeit und in unbegrenztem Ausmaß möglich. Wir aktualisieren die Liste der günstigsten Tankstellen in Niederösterreich täglich mit den aktuell gültigen Preisen. Die...

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Niederösterreich auf MeinBezirk.at/Niederösterreich

Neuigkeiten aus Niederösterreich als Push-Nachricht direkt aufs Handy

Bezirksblätter auf Facebook: MeinBezirk.at/Niederösterreich

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Niederösterreich und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.