Krisen als Chance zur Veränderung

Aus aktuellem Anlass und zur derzeitigen Situation aufgrund der Corona-Krise eignet es sich gut über unser wirtschaftliches System nachzudenken. Inspiriert wurde ich von dem Artikel "48 - Die Welt nach Corona" von Matthias Horx (Horx 2020).  Neben vielen After-Corona Zukunftsvisionen geht er auch auf die wirtschaftliche Veränderung ein und deutet an, dass der Kapitalismus zwar nicht überwunden werde, aber sich neu erfinde und umstrukturiere.

Krise als Motor des Kapitalismus

Zu meiner allgemeinen Einstellung, was Arbeit und unser kapitalistisches System angeht, habe ich eine (dem Studium geschuldete) kritische Einstellung. Kurz zusammengefasst benötigt der Kapitalismus eine Krise, um Kapital zu vernichten, um sich so zu erneuern (siehe dazu auch Demirovic 2011 und Herrmann 2018). Im Hinblick auf den aktuellen Corona-Virus und die derzeitige Erschütterung des kapitalistischen Systems, ist Kritik auch berechtigt. Ein Virus, der uns zur Isolation zwingt, viele in die Arbeitslosigkeit drängt, neue Prioritäten setzt und unsere Ziele vom Wirtschaftswachstum und Nulldefizit zum Wanken bringt, gibt uns die Möglichkeit darüber nachzudenken und eine Veränderung herbeizuführen.

Heinrich Böll als Denkanstoß

Dazu finde ich die Anekdote von Heinrich Böll „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ (Böll 1963) recht treffend und soll als Denkanstoß dienen.

Böll, der von 1917 bis 1985 lebte, setzte sich zeitlebens kritische mit der Bundesrepublik Deutschland auseinander. Er schrieb die Anekdote für eine Sendung des Norddeutschen Rundfunks zum „Tag der Arbeit“ am 1. Mai 1963. Somit wurde sie zu einer Zeit veröffentlicht, wo die kargen Nachkriegsjahre, gezeichnet von Arbeitslosigkeit, Inflation und Armut, von einer Phase des Wirtschaftswunders (Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung) abgelöst wurden.

Es geht um ein Gespräch zwischen einem Fischer und einem Touristen. Beide haben unterschiedliche Vorstellungen von der Intensität des Lebens und im Fall des Fischers von der Fischerei. Der Fischer hat mit dem morgendlichen Fang genug für die nächsten Tage und kann die restliche Zeit in der Sonne dösen. Der Tourist fantasiert ihm vor was er alles erreichen könne, würde er nur intensiver fischen, sogar ein ganzes Imperium mit Restaurant, Fischfang-Flotte und Fabrik könne er aufbauen. Damit er mit Pensionsantritt seine Ruhe am Hafen und die Sonne genießen könne.

"Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen [...]." (Böll 1963, S.449)

Was wir daraus lernen können

Das Ziel, welches der Tourist erst nach langem intensiven Arbeitseinsatz zu erreichen vermag (nicht mehr arbeiten zu müssen), das hat der Fischer schon erreicht und lebt es täglich. Es zeigt uns, dass man durch Entschleunigung und mit weniger ebenfalls glücklich und zufrieden sein kann. Abseits der Arbeit gibt es genug Möglichkeiten die Zeit sinnvoll zu gestalten und sich selbst zu verwirklichen. Böll fordert den Leser auf sich mit den Werten der Arbeit und dem Streben nach ständigem Wachstum auseinander zu setzen. An Aktualität hat sein Werk nicht eingebüßt.
Positiver Nebeneffekt ist, dass die Umwelt geschont wird und sich erholen kann, da keine Überfischung und keine übertriebene Ressourcennutzung stattfindet. So können wir unsere Klimaziele auch leichter erreichen und den Planeten entlasten.

Kritik an Böll

Kritischer sieht Jochen Mai (Mai 2020) diese Anekdote. Er merkt an, dass der Fischer zu sehr in seiner Komfortzone bleibe und mögliche Träume bereits aufgegeben habe. Leben und Arbeit könnten miteinander harmonisch existieren und der Beruf sogar erfüllend sein könne.

Auch diese Kritik ist berechtigt. Ein Zwischenweg scheint sinnvoll. Eine Diskussion über die vorhandenen Werte und dem Streben nach mehr zu eröffnen ist wichtig. Denn wer kann behaupten, dass der Job wirklich erfüllend ist?

Ein paar Fragen sollen zum Nachdenken anregen:

• Warum ein Erwerbsleben lang einer Arbeit nachgehen, die nicht erfüllend ist und zu wenig Zeit für den privaten, unbezahlten Lebenstraum bietet? Nur um die Pension als Ziel für die Umsetzung der Interessen herbei zu sehnen, falls es gesundheitlich noch möglich ist?
• Kann ich es vielleicht jetzt schon in einem gesunden Ausmaß leben und verwirklichen?
• Ist eine Arbeitszeitverkürzung leistbar? Oder bin ich auf einen Vollzeitjob angewiesen, um die monatlichen Kosten zu decken bzw. ist es aufgrund der unbezahlten Reproduktionsarbeit überhaupt möglich sich zu verwirklichen?

Ich sehe in Böll's Anekdote auch keine Aufforderung zur Faulheit oder Resignation, sondern ein Streben nach weniger und einen Appell zur Veränderung.

Dieser Artikel ist in etwas veränderter Form auch auf meinem neuen Blog "Rosina's All" erschienen.

Quellen:

Böll, Heinrich (1963). Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral. In Schubert, Jochen (Hrsg.) (2006). Erzählungen. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1994, S. 447-449.

Demirovic, Alex u.a. (Hrsg.) (2011). VielfachKrise. Im finanzmarktdominierten Kapitalismus. In Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Beirat von Attac. Hamburg: VSA: Verlag Hamburg.

Herrmann, Ulrike (2018). Warum der Kapitalismus an seinen Krisen nicht zerbricht. Online unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/karl-marx-und-die-krise-warum-der-kapitalismus-an-seinen.1005.de.html?dram:article_id=417136 (zuletzt abgerufen am 18.3.2020).

Horx, Matthias (2020). 48 - Die Welt nach Corona. Online unter: https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona (zuletzt abgerufen am 22.3.2020).

Mai, Jochen (2020). Warum die Parabel über den Fischer und Touristen gefährlich ist. Online unter: https://karrierebibel.de/parabel-fischer-tourist/ (zuletzt abgerufen am 18.3.2020).

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