Gerasdorf stellt sich der Vergangenheit

Istvan Gabor Benedek kam seit 1944 zum ersten Mal wieder an den ehemaligen Ort des Judenlagers und hielt während des Gedenkaktes eine berührende Rede.
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  • Istvan Gabor Benedek kam seit 1944 zum ersten Mal wieder an den ehemaligen Ort des Judenlagers und hielt während des Gedenkaktes eine berührende Rede.
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Istvan Gabor Benedek war sechs Jahre alt, als er 1944 mit seiner Mutter, seinem Bruder und zwei Großmüttern vom ungarischen Debrecen in das Judenlager Gerasdorf deportiert wurde. Die Stadtgemeinde Gerasdorf hat den 70. Jahrestag zur Befreiung Österreichs zum Anlass genommen, dieses dunkle Kapitel ihrer Stadtgeschichte aufzuarbeiten und nun mit einem würdigen Gedenkakt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Vizebürgermeister Lukas Mandl berichtet von den Anfängen der Aufarbeitung: "Zu Beginn der Recherche war nicht absehbar, dass so viel Informationsmaterial auffindbar sein würde, dass es Zeitzeugen gibt die ihre Erinnerungen teilen wollen, und dass es einen Überlebenden gibt, der mit seinen Berichten die schreckliche Wirklichkeit bezeugt und der nochmals an die Stätte seiner Inhaftierung zurückkehrt und am heutigen Tag der Gedenkfeier bei uns ist."

Arbeitslager und zwei KZs überlebt
Der Bub Istvan Gabor Benedek verbrachte einen Teil des Jahres 1944 in Gerasdorf musste den Ort nach Auflösung des Arbeitslagers im Herbst mit seiner Familie verlassen. Er wurde in das Konzentrationslager Bergen-Belsen und danach nach Theresienstadt gebracht. Nach der Befreiung wurde er in Budapest wohnhaft und ergriff den Beruf Journalist und Schriftsteller. Das Arbeitslager Gerasdorf beschreibt Benedek trotz allen Entbehrungen als glücklichen Zufall, der sein Leben rettete: "Wären wir nicht gemeinsam mit 280 Personen anderer jüdischer Familien so wie die meisten ungarischen Juden nach Auschwitz gekommen, hätte das für uns den sofortigen Tod bedeutet."

Ortsbevölkerung half den Lagerinsassen trotz Verbot
Othmar Scheider, gebürtiger Gerasdorfer und Historiker, wusste selbst bis vor gut einem Jahr nichts über die Existenz des Judenlagers. Er wurde auf Ersuchen der Stadtgemeinde im Aufarbeitungsteam tätig und begann nach Zeitzeugen zu suchen. "Dies gestaltete sich anfangs sehr schwierig, der Ort schwieg zu diesem Thema. Man muss bedenken, dass die Zeugen damals selbst Kinder waren, denen von ihren eigenen Eltern oft nicht viel erzählt wurde, um sie zu schützen." Erst nach und nach in Einzelgesprächen öffneten sich die Erinnerungen, meist unter großer emotionaler Anteilnahme und manchmal auch mit Tränen. Bei diesen Gesprächen kam zu Tage, dass zwischen den Gefangenen und einzelnen Personen der Bevölkerung während den Arbeitseinsätzen auch eine persönliche Beziehung aufgebaut wurde, die in manchen Fällen sogar über das Kriegsende hinaus andauerte, wie noch erhaltene Briefwechsel zeigen. Es ist Gerasdorfer Frauen zu verdanken, dass sie das Verbot der Essensverpflegung außerhalb des Lagers aussetzen konnten, und durch die Verteilung von Brot oder Erdäpfeln viele Leben retteten, vor allem das von Kindern.

Gerasdorfer Bäcker Ehepaar war Rettung
Die Mutter von Istvan Gabor Benedek wurde zur Zwangsarbeit der Bäckerei Anna und Matthias Seidl zugeteilt. Herr und Frau Seidl unterstützten die deportierte Familie unter anderem mit ausrangierter Kinderkleidung ihres eigenen Sohnes Helmut. "Besonders vor unserer Abreise im Herbst erhielten wir winterfeste Sachen. Durch den Mantel von Helmut Seidl konnte ich die Kälte im KZ Bergen-Belsen überleben," beschreibt Benedek die Menschlichkeit, die er in dieser Schreckenszeit erfahren durfte. Helmut Seidl war ebenfalls bei dem Gedenkakt anwesend und er und Benedek sahen einander zum ersten Mal seit 1944 wieder.

Straße nach Mutter benannt
Bei der feierlichen Würdigung der heute bekannten sieben Toten und der unmenschlichen Bedingungen des Judenlagers Gerasdorf und wurde in einem Gedenkakt am Gelände des ehemaligen Schauplatzes beim Bahnhof ein Gedenkstein von Vertretern der Regierung und der ungarischen und israelischen Botschaften enthüllt. Die Straße entlang des ehemaligen Lager-Geländes wurde nach der Mutter von Benedek in Rosza Braun Gasse benannt. "Meine Mutter war eine außergewöhnliche Frau. Sie hat all ihre Kräfte und Willensstärke für ihre zwei Buben und die beiden Großmütter aufgebracht und alles dafür getan, dass ein Überleben möglich war. Eine Großmutter ist jedoch im KZ verhungert," sagt Benedek, der auch andere Verwandte nie mehr wieder sah.

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