Arisierung und Restitution
Was wurde aus dem Besitz der zwischen 1938 und 1945 vertriebenen und ermordeten burgenländischen Juden, wie erging es den Roma und politisch Verfolgten?

Mag. Dr. Gerhard Baumgartner mit Referatsleiterin: Dr.in Pia Bayer und Kolleginnen | Foto: Ferenc
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Auf heutige Werte umgerechnet, geht es um eine Summe von geschätzten knapp 100 Millionen Euro. 
Die beispielslose Vertreibung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung begann im Burgenland schon im Jahr 1938 – deutlich früher als anderswo im „Deutschen Reich“.
Der Historiker Dr. Manfred Baumgartner berichtete im Rahmen seines Vortrags in der Synagoge in Kobersdorf eindringlich von in mühsamer Kleinarbeit recherchierten Zahlen, Fakten und Schicksalen in Bezug auf die „Arisierung“ jüdischen Eigentums und die für die Überlebenden häufig unüberwindlichen Hürden, ihre Restitutions-Ansprüche geltend machen zu können.

KOBERSDORF.
Dieser Beitrag ist etwas länger geraten, als auf meinbezirk.at üblich. Aber ich glaube, es ist wichtig, den Verlauf der damaligen Enteignungen und die perfiden Schachzüge - sowohl anfänglich auf Seiten der Gemeinden als auch später der Verantwortlichen des Nazi-Regimes, ins Bewusstsein zu bringen.
Die Veranstaltung in der Synagoge Kobersdorf fand in Kooperation mit den Burgenländischen Volkshochschulen statt.

Drei Etappen der Enteignung

Die Enteignungen können rückblickend in drei Etappen unterteilt werden: in den Jahren 1938/39 geschehen sie im gesetzesfreien Raum. Gestapo und örtliche Behörden sind federführend. Auf heutige Werte umgerechnet fließen in diesem Zeitraum Summen um die 9 Millionen Euro in die Kassen der Gestapo und auf ein eigenes Konto der Vermögensverkehrsstelle, Verwendungszweck ist perfider Weise die Finanzierung der Vertreibung.

Vortrag in der Synagoge in Kobersdorf | Foto: Ferenc
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Rechtsbeugung durch die Gemeinden

Die Häuser und der Grundbesitz der Vertriebenen werden von den Gemeinden unter Verwendung unterschiedlicher Taktiken enteignet. „Es kommt zu einer Rechtsbeugung durch die Gemeinden. Beispielsweise schrieb die Gemeinde den vertriebenen Juden irgendeine neue Gemeindesteuer oder Umlage vor, von welchen diese ja aufgrund der Vertreibung kein Wissen hatten und die sie daher nicht zahlen konnten. Für diese nicht gezahlten Steuern oder Gebühren wurden daraufhin Exekutionstitel ausgestellt und der Grundbesitz wurde versteigert. Die Versteigerungen waren nicht öffentlich, es waren nur ausgesuchte Personen zugelassen“, beschreibt Dr. Baumgartner diese erste Phase der Enteignungen, die quasi „unter der Hand“ und ohne gesetzliche Grundlagen stattfanden.

Abwertung 

Aber es geht noch weiter: der übrige Erlös wurde auf Sperrkonten der ehemaligen Besitzer überwiesen, die diese zur Finanzierung ihrer Auswanderung nutzen durften. Die Visa dafür waren seinerzeit wahnsinnig teuer. Und sie wurden für die Betroffenen durch ein weiteres perfides Detail nochmals nahezu unbezahlbar: die Gelder auf diesen Sperrkonten wurden so abgewertet, dass sie nur noch ein 17tel des normalen Werts der Reichsmark hatten, berichtet Dr. Baumgartner. So wurden die ohnehin hohen Kosten noch einmal um das 17fache teurer. Vom einstigen Besitz blieb für viele nichts.

Geld für die Kriegskassen

„Das Ganze ändert sich im Jahr 1939, denn da beginnt ja der Krieg und der braucht viel Geld“, so Dr. Baumgartner.
„Die Beamten der österreichischen Landesverwaltung wurden durch deutsche Verwaltungsbeamte ersetzt. Und die suchten jetzt Geld. Sie beginnen jetzt, die Phase der wilden Arisierungen im Burgenland noch einmal zu durchleuchten. Sie rollten alle Fälle im Burgenland noch einmal auf, und diese Dokumente sind für uns heute eine wichtige Informationsquelle, sonst wüssten wir das alles nicht so genau. Und sie schlagen sozusagen die Hände zusammen über dieses Chaos. Man trifft die Entscheidung, die Diskrepanz zwischen dem, was in den Versteigerungen wirklich gezahlt wurde, und dem eigentlichen Wert der Immobilien, den sogenannten „Entjudungserlös“ von den Käufern einzufordern.“ Dies geschah in Form von Krediten, die auf 10 bis 20 Jahre ausgelegt waren.

Zu einem weiteren Instrumentarium der Ausplünderung der flüchtenden jüdischen Bevölkerung wird dann die schon knappe 10 Jahre zuvor eingeführte sogenannte Reichsfluchtsteuer, die den Abfluss von Kapital verhindern sollte. Sie wird zu einem bedeutenden Faktor im Reichshaushalt.

„Gesetzlich war es außerdem so, dass die jüdische Bevölkerung seit 1933 nicht mehr nicht mehr Reichsbürger waren, ihnen waren die Bürgerrechte entzogen worden. 1941 beginnen die Deportationen in Vernichtungslager. Diese liegen aber meist nicht im Territorium des “Deutschen Reiches“, sondern im heutigen Polen oder in Tschechien. Und alle Juden, die sich nicht mehr auf dem Territorium des "Deutschen Reichs" befanden, galten automatisch als Reichsfeinde. Auf dieser Grundlage wurde ihr gesamtes Vermögen eingezogen.“, so Dr. Gerhard Baumgartner.

Soldaten wollten auch etwas vom "Kuchen"

1943 wurde die Arisierung des jüdischen Vermögens eingestellt.
Der Grund: es gab große Proteste unter den Frontsoldaten, die sich über eine Benachteiligung beschwerten. „Die sagten, das kann ja nicht sein. Das ist eine Bevorzugung derjenigen, die zuhause sind, die bereichern sich an den jüdischen Grundstücken und wir bekommen nichts ab, weil wir kämpfen.“ Ab dem 31.5. 1943 endet aufgrund dieses Protests die Genehmigung zum Erwerb von jüdischem Eigentum.

Schwierige Bedingungen in der Nachkriegszeit

Aber auch nach der Zerschlagung des Nazi-Regimes 1945 gab es keine Gerechtigkeit für die Überlebenden oder ihre Kinder.
Diejenigen Überlebenden, deren Häuser aufgrund des Gesetzes von 1943 nicht verkauft wurden, hatten nun dadurch letztlich sogar einen  Nachteil, so Baumgartner: „Dadurch, dass wir von den Sowjets besetzt waren und niemand glaubte, dass diese Besetzung so bald vorbei sein würde, gingen die Immobilienpreise in den Keller.“ Die Überlebenden leben meist im Ausland und alle, die jetzt verkauften, bekamen sehr schlechte Preise. Erst Anfang der 1950er Jahre zeichnete sich dann ab, dass die Sowjets doch endlich abziehen würden.
Diejenigen, deren Häuser vor 1943 im Zuge der „Arisierung“ verkauft worden waren, bekamen letztlich mehr restituiert.

"Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen" - Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945 bis 1952 über die Entschädigung der Juden | Foto: Ferenc
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Beweislast bei den Geschädigten

Außerdem wurde die gesamte Beweislast auf die Überlebenden abgewälzt. Sie mussten aktiv einen Antrag auf Restituierung stellen, was, versprengt über die ganze Welt, in der damaligen Zeit ein schwieriges Unterfangen war. Man musste einen Anwalt nehmen, häufig waren die Eltern ermordet worden, nur die Kinder hatten überlebt, sie brauchten Besitznachweise und die finanziellen Mittel. An diesen Hürden scheiterten letztlich Viele bei der Inanspruchnahme ihrer Rechte.

"Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen" - Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945 bis 1952 über die Entschädigung der Juden | Foto: Ferenc
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Dennoch war die Restitution von Immobilien und Grundbesitz das Einzige, was zumindest halbwegs gut funktionierte, da dieser Besitz durch die Grundbücher und Verträge gut dokumentiert war. Ganz anders war die Situation bei Firmenvermögen. „Das funktionierte eigentlich überhaupt nicht. Die 644 betroffenen jüdischen Geschäfte und Firmen hätten heute einen ungefähren Wert von 75 000 000€“, so Dr. Baumgartner. „Diese Werte sind den Vertriebenen und Verfolgten nachhaltig verlorengegangen, das ist kaum mehr nachvollziehbar.“

Enteignung burgenländischer Sinti und Roma

Die zweite Bevölkerungs-Gruppe, die betroffen war, sind die Sinti und Roma.
Es gab in ungefähr 120 burgenländischen Dörfern eigene Romasiedlungen. Diese wurden ab Januar 1940 ebenfalls durch Vermögensbeschlagnahmung ausgeplündert, die Menschen deportiert.
Vermutlich wurden in den burgenländischen Romasiedlungen 4000 bis 5000 Gebäude zerstört. Viele davon waren in schlechtem Zustand, aber immerhin 20% entsprachen laut Dr. Baumgartner dem damaligen Standard. Entschädigungen bekamen die Roma-Familien dennoch weitgehend nicht und das hatte einen Grund: „Die Hauser sind mit ganz wenigen Ausnahmen auf Gemeindegrund gestanden, also ein sogenanntes Superädifikat. Eine rechtliche Konstruktion, bei der das Grundstück jemandem anderen gehört als das Haus. Das hätte man natürlich können im Grundbuch eintragen lassen, was aber die meisten Roma nicht wussten und daher auch nicht gemacht hatten. Und die Gemeinden waren natürlich auch gar nicht interessiert, das irgendwie groß kundzutun, dass man das machen kann.“ Nach 1945 konnten daher die wenigsten der überlebenden Roma ihren Hausbesitz nachweisen. Und wenn sie das nicht konnten, dann bekamen sie auch keine Restitution.

Dr. Baumgartner: „Wir haben heute die Situation, dass wir von hunderten Überlebenden Fotos haben mit ihren früheren Häusern drauf, sie aber nie beweisen konnten, dass sie diese auch besessen haben." Außerdem sei es eine tragische Tatsache, dass der Großteil der Besitzer ohnehin die Verfolgung durch die Nazis nicht überlebt hat, nur 10% der burgenländischen Roma-Bevölkerung ist dies gelungen.“

Für die eigene Hinrichtung zahlen

Die letzte Gruppe, die von politisch motiviertem Vermögensentzug Betroffenen, sei auch noch erwähnt. Dies sind die Menschen, die im politischen Widerstand waren und verurteilt wurden.
Deren Vermögen wurde dann zur Deckung der Gerichtskosten oder gar der Hinrichtungskosten einbehalten. „Ich glaube ich kenne keinen Fall, wo eine Familie versuchte, die Kosten für die Hinrichtung zurückzubekommen“, setzt Dr. Baumgarten den Schlusspunkt zu unserem Gespräch.

Was als Erkenntnis bleibt:

Die Überlebenden des Holocaust mussten nicht nur die Trauer um ihre ermordeten Angehörigen, die eigene Verfolgung und Traumatisierung, den Verlust der Heimat und dem schwierigen Neubeginn, häufig in einem fremden Land, ertragen. Den allermeisten von ihnen wurden auch die teils großen finanziellen Verluste niemals adäquat ersetzt, während andere davon bis heute profitieren. Auch im Burgenland.

Synagoge Kobersdorf
über die Veranstaltung
Dr. Gerhard Baumgartner

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