Interview mit Birgit Birnbacher
Die Stadt Salzburg als "Befreiung"
Die Salzburger Autorin und Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher im Interview über ihr neuestes Buch, die Bedeutung von Arbeit und ihre Pongauer Wurzeln.
SALZBURG. "Wovon wir leben" heißt das neueste Buch der Salzburger Autorin Birgit Birnbacher und behandelt genau das – nämlich den Wert und die Bedeutung von Arbeit. Während Krankenschwester Julia aufgrund eines einzigen Fehlers ihren Job verliert und zurück in ihre Pongauer Heimat "muss", wagt "Städter" Oskar mit seinem bedingungslosen Grundeinkommen in Julias Heimat einen Neustart. Zwei Neuanfänge, dazwischen viele Dorfbewohner, die aufgrund der Schließung der Schokoladenfabrik, ihren Job verloren haben. Autorin Birgit Birnbacher spricht im Interview über ihre Faszination mit dem Thema Arbeit, das "Kümmern" der Frauen, ihren Herkunftsort und die Stadt Salzburg als "Befreiung".
MeinBezirk.at: Ihre Bücher widmen sich stark soziologischen Fragestellungen, Sie selbst sind Soziologin. Sind Sie vom Schreiben zur Soziologie oder von der Soziologie zum Schreiben gekommen?
BIRGIT BIRNBACHER: Ich glaube, das kann man so gar nicht sagen. Beides bedingt einander. Beides hat mit Sprache zu tun.Vor allem, wenn man sich in der Soziologie für die gesprochene Sprache in Form von zum Beispiel Interviews interessiert, dann hat man ja sehr viel mit Sprache zu tun und gewinnt sozusagen aus der Sprache, also dem Gesagten, Erkenntnis.
Das Thema Arbeit zieht sich durch Ihren letzen Roman. Was bedeutet Arbeit für Sie persönlich?
BIRNBACHER: Ich habe sehr viel darüber nachgedacht in meinem Leben, wie ich damit umgehe, dass einem in unserer Gesellschaft auferlegt wird, womit man seine Zeit verbringt. Dass man eben in einem bestimmten Stundenausmaß in der Woche, mit diesem und jenem seine Lebenszeit verbringen muss. Ich hatte oft Arbeit, die mir sehr viel Freude bereitet hat. Manchmal hatte ich Arbeit, die ich wahnsinnig langweilig gefunden habe. Und ich glaube, dass mich das mehr als andere zum Nachdenken angeregt hat.
Was interessiert Sie literarisch an dem Thema?
BIRNBACHER: Literarisch ist es so, dass Arbeit, zumindest in privilegierten Positionen, mit Entwicklung, aber auch natürlich mit dem Gegenteil, fast mit Zwang und Unterdrückung, zu tun hat. Und das sind diese beiden Pole, die auch die Persönlichkeiten sehr stark prägen. Das Thema finde ich einfach interessanter als Liebe oder Beziehungen oder sonst irgendwelche literarischen Themen, die ohnehin schon tausendfach bedient sind. Arbeit ist so vielschichtig.
Männer arbeiten und Frauen kümmern sich, das ist ein Eindruck, den man "Wovon wir leben" abgewinnen kann. Ist das heutzutage nicht schon ein Klischee?
BIRNBACHER: Nein. Aber ich habe mir das auch gedacht, denn in meiner persönlichen Lebensrealität ist das mittlerweile fast ein Klischee. Ich kenne fast nur noch Männer, die sich involvieren in die Familienarbeit, die in Karenz gehen. Es ist aber einfach nach wie vor so, dass Männer besser verdienen als Frauen. Mein eigener Mann ist jetzt gerade in Karenz, den hat es fast umgehauen, als er gesehen hat, wie gering das Kinderbetreuungsgeld ist. Der hat gesagt: "Wer soll davon leben können?" Dann habe ich aus Spaß gesagt: "Frauen". Und so lustig ist das gar nicht. Wenn das Kinderbetreuungsgeld so hoch wäre, dass auch Männer sich besser vorstellen könnten, davon zu leben, dann würde es viel leichter fallen, auch in die Karenz zu gehen. Es hakt noch an den Details. Selbst in den Familien, die das schon praktizieren, ist es so, dass Gleichberechtigung, zumindest aus meiner Erfahrung, oft strukturell schwierig gemacht wird. Und darum ist es kein Klischee. Es ist immer noch so, dass die Frauen viel mehr machen als die Männer.
Was wäre der dringlichste Schritt der Familienpolitik?
BIRNBACHER: Die Politik sollte es den Familien ermöglichen, frei entscheiden zu können.
Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass ihr letzter Roman in ihrem Heimatbezirk, dem Pongau, spielt?
BIRNBACHER: Nein, es gibt keinen besonderen Grund. Ich versuche immer, sehr nah an mir selbst zu schreiben. Es wäre einfach unauthentisch, wenn ich jetzt so tun würde, als wäre ich irgendwo anders. Es ist natürlich immer ratsam, glaube ich zumindest, dass man weiß, wovon man spricht, wenn man über etwas schreibt. Das Wissen über den eigenen Herkunftsbezirk kann man sich, glaube ich, gar nicht aneignen durch Recherche, dieses Wissen hat man.
Für die Protagonistin in "Wovon wir leben" ist die Stadt Salzburg eine Art "Befreiungsort". War das auch für Sie so?
BIRNBACHER: Für mich war das schon so. Im Innergebirg wird es ja manchmal fast als Provokation aufgefasst, wenn man in die Stadt Salzburg zieht. Da versteht man es sogar noch besser, wenn man nach Wien geht. Aber nach Salzburg? Da erntet man ja wirklich großes Unverständnis. Für mich war das damals als junger Mensch eine totale Befreiung. Dieses Gefühl spüre ich heute noch. Ich wohne hier einfach wirklich sehr gerne.
"Zuhause' im Innergebirg, das von der Stadt kilometermäßig bloß eine Autostunde entfernt gewesen wäre, zugleich aber durch ein Bergmassiv und vier Tunnel abgetrennt ist, habe ich lange nicht geträumt, eines Tages in der Stadt zu leben. Träumen stand nicht auf dem Plan."
– Auszug aus dem Buch "Wovon wir leben"
Ihr Heimatbezirk Pongau wird eher nüchtern beschrieben, nicht gerade lobpreisend. Wie war die Resonanz?
BIRNBACHER: Es regt die Leute immer etwas auf. Egal, was man schreibt. Das ist etwas, womit ich mittlerweile gut leben kann.
Kritik aus der eigenen Heimat ist sicher besonders hart. Wie gehen Sie damit um?
BIRNBACHER: Natürlich finde ich es schade, wenn Freunde beleidigt sind, die dann sagen: "Meine Güte, so schlimm ist es bei uns auch nicht." Aber es gibt die, die dann das Gespräch suchen, und es gibt die, die beleidigt sind. Mit denjenigen, die das Gespräch suchen, mache ich eigentlich sehr gute Erfahrungen. Wir sagen dann irgendwann: "Wir sehen das einfach unterschiedlich".
Zur Autorin
Birgit Birnbacher (*1985) lebt in Salzburg und ist in Goldegg aufgewachsen. Für ihren Debütroman "Wir ohne Wal" erhielt sie den Rauriser Literaturpreis, 2019 erhielt sie den Ingeborg Bachmann-Preis. "Wovon wir leben" ist Birnbachers dritter Roman.
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