Am Abstellgleis gelandet

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Marwa hat sich an das harte Leben gewöhnt. Die Spitzen der groben Steine, die als Schutz vor dem bei Regen schnell schlammig werdenden Boden dienen, drücken sich bei jedem Schritt durch die dünnen Sohlen ihrer Schlapfen durch. Sie richtet den leuchtend türkisen Schal, der ihre Haare bedeckt, zurecht und geht, eingehüllt in ihre bodenlange Kleidung, weiter. Vor einem Jahr und drei Monaten hat sie ihren Sohn in einem der vielen Flüchtlings-Zeltlager in der libanesischen Bekaa-Ebene entbunden. Jetzt kann es jeden Tag soweit sein, sagt ihre Hebamme, die auch als Flüchtling im Lager lebt. Marwa wird wieder entbinden, „vielleicht heute schon“, sagt sie und streicht über ihren gewölbten Bauch. Die 20-Jährige ist vor zwei Jahren aus Idlib in Syrien vor dem Krieg in den Libanon geflohen.

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"Es war ein schönes Land"

Die Erinnerung an das Syrien von früher zaubert einen feinen Glanz in Marwas Augen. Sie will, dass die Welt, dass Europa sieht, wie sie und rund 500 syrische Flüchtlinge im Camp "Cesar" leben. Sie führt die Besucher ins Innere eines der Zelte. Den Boden bildet ein Betonsockel, der im einzigen Zimmer mit Teppichen ausgelegt ist, in der Mitte steht ein „Sobia“ – ein Ofen, der mit Heizöl befeuert wird. Die Wände bestehen aus Plastikplanen, die an Holzlatten befestigt sind. Die alte Nähmaschine in der Ecke wollen Marwa und ihre Schwestern verkaufen, denn Einkommen haben sie keines. Und für die Fläche ihres Zeltes muss jede von ihnen 100 Dollar monatlich an den Grundbesitzer „Cesar“ Miete zahlen. Von der Caritas und auch anderen Hilfsorganisationen erhalten sie Unterstützung – Essens- oder Kleidergutscheine. Nach Europa wollen sie nicht wirklich, „was sollen wir in Europa?“, fragt Marwa. Aber wie es im Libanon weitergehen soll, weiß sie auch nicht so recht.

Leben in der Warteschleife

Marwa und alle anderen der rund 1,2 Millionen registrierten sowie geschätzten 500.000 nicht registrierten Syrien-Flüchtlinge – die Hälfte davon sind übrigens Kinder – im Libanon werden nie Teil der libanesischen Gesellschaft werden. Denn als Flüchtlinge werden die Menschen aus der ehemaligen Besatzungsmacht zwar akzeptiert, das besonders fragile Gleichgewicht ihrer Gesellschaft – etwa 35 Prozent sind Christen, der Rest Muslime, etwa die Hälfte der Menschen unterstützen den syrischen Präsidenten Bashar Al Assad, die Hälfte die Anti-Assad-Kräfte – wollen die 4,5 Millionen Libanesen aber nicht mehr aufs Spiel setzen. Die Erinnerungen an den jahrelangen Bürgerkrieg sind ihnen eine Mahnung. Die Syrien-Flüchtlinge dürfen deshalb offiziell nicht arbeiten, können sich keine neue Existenz im Libanon aufbauen und erhalten auch keinerlei staatliche Unterstützung. Es ist nicht mehr als ein Überleben in der Warteschleife. „Man kann es ihnen nicht verübeln, wenn sie nach Europa kommen wollen“, formuliert es Österreichs Botschafterin im Libanon, Ursula Fahringer.

Die Bekaa-Ebene ist die frühere Kornkammer des Römischen Reiches. Der Boden dort ist so fruchtbar, dass man fünf Mal im Jahr ernten kann. Jetzt vermieten Bauern Teile ihrer Ackerflächen an Flüchtlinge, die dort mithilfe internationaler und regionaler NGOs ihre Zelte aufgestellt haben. Auf den landwirtschaftlich genützten Feldern arbeiten oft Kinder und Frauen aus Syrien – illegal und für eine Handvoll Dollar pro Tag. Am großen Kreisverkehr in der Stadt Zahleh ist der Arbeitsmarkt für die Männer aus Syrien, die meist auf Baustellen arbeiten: Eine Gruppe von Männern steht am Straßenrand, beobachtet den Verkehr, hält Ausschau nach Autos, die ihr Tempo verlangsamen. Sobald klar ist, dass hier ein potenzieller Arbeitgeber im Anrollen ist, stürmen sie zum Fenster an die Beifahrerseite und hoffen, dass sie es sind, die den Job ergattern.

Spannungen vor Ort steigen

Was den libanesischen Arbeitgebern billige Arbeitskräfte bringt, kostet andere Libanesen den Arbeitsplatz, und das sorgt zunehmend für Spannungen in der sonst so toleranten Gesellschaft. „Libanon is more than a country, Libanon is a message“ – dieser Slogan gilt seit dem Ende des Bürgerkrieges für alle Libanesen als Anleitung zur gegenseitigen Toleranz. Jetzt machen sich manche Sorgen, dass sich die „Botschaft“ des Libanon ändern wird. „Die Gesellschaft wird kollabieren, wenn wir nicht etwas tun“, ist Bruno Atieh, der Direktor des Flüchtlingsbüros der Caritas Libanon, überzeugt. Ja, man wolle den Flüchtlingen helfen, aber für den kleinen Libanon – er ist etwa so groß wie das Bundesland Tirol – sind fast zwei Millionen Flüchtlinge zu viel.

Einer von drei Einwohnern im Libanon ist ein Flüchtling. Das libanesische Schulsystem hat seine Kapazitäten durch die Einführung von Vormittags- und Nachmittags-Schichten verdoppelt. Und trotzdem gibt es für mehr als 350.000 syrische Flüchtlingskinder keinen Platz in einer Schule, viele von ihnen haben seit vier Jahren keine Schule besucht. Die einst reichen Libanesen sind schon lange vor der Flüchtlingsproblematik zu einer verschwindenden Minderheit geworden, etwa die Hälfte der Menschen im Libanon lebt unter der Armutsgrenze. Weil es keine offiziellen oder organisierten Flüchtlingsquartiere gibt, drängen die vielen Flüchtlinge auf den Wohnungsmarkt. Immobilienbesitzer füllen mit ihnen Gebäude, die noch im Rohbau sind. Für ein einzelnes Zimmer zahlen syrische Familien zwischen 200 und 250 Dollar Monatsmiete. Das spüren auch die Libanesen, die für eine Wohnung nun nicht mehr 300, sondern mindestens 500 Dollar Miete bezahlen müssen. Das alles führt dazu, dass sich die Stimmung im Libanon langsam gegen die Flüchtlinge richten könnte.

Für länger eingerichtet

Im Flüchtlingscamp "Cesar" rollt ein zerbeulter und zerkratzer blauer Kleinbus eines libanesischen Händlers im Schritttempo ein. Mühsam und schaukelnd bahnt er sich seinen Weg über den unebenen Erdboden, bevor er in einer der Hauptgassen des Lagers stehen bleibt. Auf dem Dachträger warten leuchtend orange Wäschekörbe, bunte Handbesen aus Plastik und große Töpfe für die Gaskochstellen auf Abnehmer. Am Straßenrand haben einige Campbewohner kleine Gemüsebeete eingerichtet, nahezu jedes Zelt verfügt über eine Satellitenschüssel. Die Menschen haben sich darauf eingestellt, dass sie noch länger hierbleiben werden.

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